Mein Ziel: Führungskraft
Heiko Mell analysiert den Karriereweg seiner Leser und Leserinnen kritisch und zeigt auf, wie frühe Brüche und Umwege seine Aufstiegschancen heute begrenzen.

Ziel Führungskraft: Warum der Weg über interne Chancen trotz Umwegen oft der nachhaltigere ist.
Foto: PantherMedia / minervastock
3.291. Frage/1:
Ihre Analysen sind für mich immer unterhaltsam, Ihre Offenheit ist stets Anlass zur Reflexion. Ich bin Anfang 30, Bachelor Wirtschaftsingenieurwesen (2,1) und arbeite seit mehr als fünf Jahren als Sachbearbeiter in der Arbeitsvorbereitung eines mittelständischen Metallverarbeiters. Mein Ziel war und ist es, Führungskraft zu werden.
Antwort/1:
Haken wir erst einmal Ihre Fakten und Besonderheiten bis zum Berufseinstieg ab – der in der obigen Darstellung so „harmlos“ aussieht:
Über Ihre Schulbildung erfährt man aus dem Lebenslauf nichts, hier scheint es jedoch Auffälligkeiten gegeben zu haben. Ich darf das aus dem Weglassen dieses Aspekts ebenso schließen (hätten Sie ein 2er Abitur, stünde es dort) wie aus dem Scheitern der ersten großen Ausbildungsphase: FH-Maschinenbaustudium „ohne Abschluss“. Das hat Sie offenbar völlig aus der Bahn geworfen, denn danach kommt eine einjährige „Orientierungsphase mit diversen Anstellungen“. Schließlich haben Sie sich für eine kaufmännische Lehre entschieden, vermutlich mit Abschluss, den wir aber nicht kennen.
Ihr Ausbildungsbetrieb, der heutige Arbeitgeber, hat Ihnen dann eine besondere Chance gegeben: Der „verkrachte Ingenieur“ und „Kaufmann mit Lehrabschluss“ bekam eine Anstellung in der AV – und Sie haben sofort ein berufsbegleitendes Studium zum Wirtschaftsingenieur aufgenommen, das mit vorzeigbarem Ergebnis abgeschlossen wurde. Das ist ca. drei Jahre her – erst seitdem sind Sie im Sinne einer seriösen Karriereplanung ein ernstzunehmender „Spieler“ in diesem System (Studien ohne Abschluss zählen nicht und eine Lehre allein reicht weder als Basis für anspruchsvolle Tätigkeiten noch für ebensolche Ziele).
„Bleiben und warten oder wechseln und hoffen?“
Ich muss das so akribisch analysieren, denn weiter unten ergibt sich die Frage „bleiben und warten oder wechseln und hoffen?“. Und für die Antwort darauf gilt: Es gibt Menschen mit einer tollen, geradezu vorbildlichen Basis im Lebenslauf. Dort ist nahezu alles ideal. Wenn es bei denen intern nicht so besonders gut klappt mit der Erreichung anspruchsvoller Ziele, kann man ohne Einschränkung zu externen Bemühungen raten. Alles ist so positiv in der Darstellung, dass nahezu jeder Bewerbungsempfänger eine Einladung zum Vorstellungsgespräch ausspricht – die erste Hürde wird souverän genommen.
Das nun trifft auf Sie ganz bestimmt nicht zu! Ihr berufsrelevanter Anfang war schwierig und von kritischen Ereignissen und Phasen geprägt, Ihre ernstzunehmende Berufserfahrung beträgt drei Jahre – damit könnten Sie viele Mitbewerber um eine anspruchsvolle Zielposition nicht auf die Plätze verweisen.
Ihr Blick sollte daher immer erst auf interne Chancen gerichtet sein. Im vertrauten Umfeld wissen zwar die Entscheidungsträger auch um Ihre Probleme im Werdegang, die vergessen sie aber im täglichen Umgang mit Ihnen; sie werden „überstrahlt“ von dem persönlichen Eindruck, den Sie im Tagesgeschäft hinterlassen. Dort sind Sie der „Peter Müller“, der etwas leistet, der ggf. das Zeug zur Führungskraft hat – und nicht der Mann mit dem gescheiterten ersten Studienversuch, welcher ihn völlig aus der Bahn geworfen hatte, woraufhin er über eine kaufmännische Lehre erst wieder zum ursprünglichen Ziel „Ingenieur“ finden musste.
Ein kleines Handikap bleibt aber auch intern: Gerade in überschaubaren mittelständischen Unternehmen besteht die Gefahr, dass man lange braucht, um das Image des ehemaligen Lehrlings loszuwerden. Das geht, aber es bedeutet besondere Anstrengungen Ihrerseits, erhöhten Einsatz, vorbildliches Engagement und ein Auftreten, bei dem nichts mehr an den damaligen Lehrling erinnert. Aber das ist eine deutlich kleinere Belastung als jene, die Sie bei externen Bewerbungen hinnehmen müssten.
Fazit I: Man zahlt für alles im Leben einen Preis – für das, was man an Problemen selbst zu verantworten hat ebenso wie für das, was man nun wirklich ohne eigene Schuld in seinem Leben hat hinnehmen müssen. Letztlich zählen nur die Fakten, die Resultate, die Erfolge. Nun zu Ihrer Situation:
Frage/2:
a) Seit gut zwei Jahren arbeite ich mit an einem wichtigen Projekt. Meine Aufgaben sind in dieser Zeit gewachsen und ich bin mittlerweile so etwas wie der inoffizielle stellvertretende Projektleiter. Allerdings verschiebt sich das Ende des Projektes immer wieder nach hinten. Langsam steigt in mir das Gefühl auf, ich verpasse den richtigen Zeitpunkt zum Aufstieg.
b) Mein direkter Vorgesetzter ist zusätzlich Betriebsleiter an einem anderen Standort, weshalb ich ihn nur selten sehe. Ich denke, unsere Beziehung ist gut, aber nicht übermäßig herzlich. Der übergeordnete Geschäftsführer hat mir vor einiger Zeit gesagt, wenn ich so weitermache, stünden mir alle Türen offen.
c) Vielleicht bekomme ich nach Ende des Projekts die Chance, Leiter der AV zu werden, da mein Chef diese Position derzeit in Personalunion ausfüllt. Allerdings laufen aus meiner Sicht beide Verantwortungsbereiche meines Vorgesetzten „rund“, und ich habe auch keine weiteren Hinweise in dieser Richtung bekommen.
d) Wenn ich es darauf anlegte, hätte ich sicher extern die Möglichkeit zum Aufstieg (es gab vereinzelte Angebote). Aber ich glaube, es liegt ein besonderer Wert darin, ein Projekt bis zum Schluss durchzuziehen und nicht vorher auszusteigen. Ich glaube, dass man es mir übelnehmen würde, wenn ich vor Abschluss des Projektes ginge (u. a. Zeugnis).
e) Ich nähere mich einigen Ihrer zeitlichen Orientierungspunkte (zehn Jahre in einem Unternehmen, Aufstieg bis Mitte 30). Empfehlen Sie mir den externen Aufstieg jetzt? Soll ich warten? Was tue ich, wenn sich das Projekt weiter verzögert?
f) Gibt es eine Chance, dass mein Beitrag für das Projekt schon als erste Führungserfahrung im Arbeitszeugnis Erwähnung findet?
Antwort/2:
Zu a + e: Sie haben bei Ihren zehn Dienstjahren die – ziemlich fachfremde – Lehre mitgezählt, die können Sie völlig unberücksichtigt lassen. Auch die Zeit, in der Sie nach dem Lehrabschluss, aber noch als nebenberuflicher Student im heutigen Job gearbeitet haben, zählt hier nicht voll. Und ob Sie zehn oder zwölf Dienstjahre dort hätten, macht praktisch keinen Unterschied. Unter dem Aspekt „Jahre pro Arbeitgeber“ stehen Sie also noch lange nicht unter Druck.
Zeit als das kostbarste Gut im Karrierebereich
Und Ihr Alter? Nun, Sie haben Zeit, das kostbarste Gut im Karrierebereich überhaupt, verloren. Ihre „Experimente“ im Ausbildungsbereich haben Sie etwa 5,5 Jahre gekostet! Auf dieser Basis dürfen Sie nun nicht die allerstrengsten Maßstäbe an Ihren weiteren Karriereerfolg anlegen. Diese Versäumnisse jetzt schnell aufzuholen, ist schlechterdings unmöglich. Also sollten Sie mit Ihren Erwartungen an das andere Ende der Skala rücken. Und da heißt es: „Mit 40 Jahren sollte spätestens ‚Leiter‘ auf Ihrer Visitenkarte stehen – sonst kommt wahrscheinlich nichts mehr.“ Also sagen wir einmal ganz pauschal: Bis zu einer richtigen Ernennung zur Führungskraft haben Sie mit Ihren speziellen Gegebenheiten noch fast fünf Jahre Zeit.
Zu b: Wer aufsteigen will, braucht dazu in der Regel das Wohlwollen seines direkten Vorgesetzten – ohne dessen Befürwortung geht wenig. Hier müssen Sie sich mehr bemühen, um seine Anerkennung zu gewinnen.
Die ebenfalls sehr wichtige positive Einstellung des nächsthöheren Vorgesetzten (Geschäftsführer) haben Sie offenbar schon; passen Sie auf, dass Sie die nicht verlieren (enttäuschen Sie ihn nicht!). Achtung: Ein Geschäftsführer pflegt einen (auch einen sehr geschätzten) Sachbearbeiter nicht aktiv zu befördern – und schon gar nicht gegen die Meinung der ihm unterstellten Führungskräfte. Sein Wohlwollen hilft aber, wenn seine unterstellten „Leiter“ Ihre Beförderung vorschlagen; mehr ist aus dieser Konstellation in der Regel nicht rauszuholen.
Übrigens muss auch der Leiter jenes bedeutenden Projekts Ihre Leistung aktiv würdigen – er muss später im Erfolgsfalle Ihren Beitrag loben und hervorheben oder müsste jetzt Ihre offizielle Ernennung zum stellvertretenden Projektleiter vorschlagen.
Sie haben also drei über Ihnen stehende Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Erwartungen und Forderungen, die Sie gezielt „bei Laune“ halten müssen. Das erfordert viel taktisches Verständnis – gute fachliche Leistungen sind eine selbstverständliche Voraussetzung, reichen aber allein nicht aus.
Zu c: Das klingt gut, ist aber im Augenblick noch Träumerei. Im Idealfall müsste die Idee von Ihrem Vorgesetzten kommen, der sich dann davon Entlastung verspräche. Sie müssten hier so geschickt vorgehen, dass er das für seine Idee hält. Wenn Sie ihm ohne entsprechende Vorbereitung (nach erfolgreichem Projektabschluss) „einfach so“ Ihre Beförderung vorschlagen, werden Sie damit kaum Erfolg haben. Und, siehe oben, Sie müssen zunächst Ihr Verhältnis zu ihm verbessern, in seinen Augen „sein Mann“ werden und sehr wertvolle Arbeit leisten.
Zu d: Ihre Chance sehe ich derzeit eher in als extern (siehe ebenfalls oben). Nur wenn Sie sehen, dass das ganze Projekt den Bach hinuntergeht, ist ein rechtzeitiger Absprung vermutlich das kleinere Übel. Falls allerdings von Seiten Ihres Arbeitsgebers vor Projektende der Vorschlag zu Ihrer Beförderung kommt, spricht natürlich nichts dagegen. Aber grundsätzlich ist Ihre Überlegung richtig: Wenn Sie jetzt kündigten, müssten Sie mit Verärgerungen rechnen.
Zu f: Nein, alles was recht ist! Ein „inoffizieller stellvertretender Projektleiter“ ist nichts, woraus man Führungserfahrung ableiten könnte. So etwas ist schon für den Projektleiter nicht leicht, der ja i. d. R. nicht der disziplinarische Vorgesetzte der Projektmitarbeiter ist (aber fachliche Führungspraxis ebenso erwirbt wie eine ganze Reihe weiterer wertvoller Erfahrungen).
Fazit II: Die typische spätere Führungskraft zeichnet sich u. a. dadurch aus, dass sie auch die Probleme (Schule/Studium) vor dem Berufseintritt regelgerecht bis vorbildlich löst. Und: Fehler bzw. Probleme aus der Vergangenheit hängen Ihnen in Gegenwart und Zukunft stärker und nachhaltiger an als vorzeigbare Erfolge – diese verblassen stärker und schneller. Besonders problematisch wird es, wenn in einem derart „vorbelasteten“ Werdegang später noch ein weiteres kritisches Ereignis hinzukommt. Dann findet sich schnell jemand, der vom „Wiederholungstäter“ spricht. Aber Sie, geehrter Einsender, haben eine reale Chance, das alles hinter sich zu lassen.

Karriereberater Heiko Mell.
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