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Spaß oder Ärgernis? 08.10.2020, 14:45 Uhr

Motorradlärm: Welche Regelungen gelten zukünftig?

In der warmen Jahreszeit wurde das Hobby Motorradfahren wieder verstärkt ausgeübt. Und die Diskussion zwischen den Bikern und Motorradgegnern wieder aufgenommen. Das ganze gipfelte in angedrohten Fahrverboten und im Juli in einer Biker-Demonstration. Wer hat Recht in der Debatte?

Besonders gerne fahren die Biker durch malerische Landschaften. Manchmal auch mit lärmend röhrendem Motor. Quelle: Panther Media/ Anna Omelchenko

Besonders gerne fahren die Biker durch malerische Landschaften. Manchmal auch mit lärmend röhrendem Motor. 

Foto: Panther Media/ Anna Omelchenko

Anfang Juli demonstrierten zehntausende Biker gegen mögliche Fahrverbote aus Lärmschutzgründen. Die bayerische Staatsregierung unterstützte die Proteste der Motorradfahrer gegen zeitlich beschränkte Fahrverbote an Sonn- und Feiertagen und sprach sich gegen die Einschränkungen aus. Mit ihren Demonstrationen Anfang Juli hätten die Biker „bei uns sozusagen in Bayern bei der Staatsregierung offene Türen eingefahren“, sagte Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) nach einer Sitzung des Kabinetts.

Hintergrund für die Proteste ist ein Beschluss des Bundesrats, der die Bundesregierung auffordert, entsprechende Verbote durchzusetzen – damit der Motorradlärm unter anderen in beliebten Ausflugsgegenden reduziert werden kann. Die Länderkammer sah „dringenden Handlungsbedarf“, für besondere Konfliktfälle, Geschwindigkeitsbeschränkungen und „zeitlich beschränkte Verkehrsverbote an Sonn- und Feiertagen aus Gründen des Lärmschutzes“, zu ermöglichen [1].

Doch nicht nur die CSU widersetzt sich der Forderung des Bundesrats, auch der Städte- und Gemeindebund hat sich gegen einen möglichen Motorradbann an Sonn- und Feiertagen ausgesprochen. „Der vom Bundesrat vorgeschlagene Weg mit beschränkten Motorradfahrverboten an Sonn- und Feiertagen ist nicht der richtige Ansatz“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Allerdings will der Bundesrat „Motorsteuerungen“ verbieten lassen, „die individuell vom Fahrer einstellbare Soundkulissen ermöglichen“, eigentlich sind hier Auspuffklappen gemeint, die nach dem aktuellen Stand der Technik zuglassen sind(siehe unten). Der Beschluss des Bundesrats gipfelt in der Forderung nach einem Lärm-Grenzwert von 80 Dezibel1), und zwar in allen Fahrzuständen. Der Industrie-Verband-Motorrad (IVM) findet das „Unrealistisch“ [2]. Der IVM setzt sich zusammen mit dem Bundesverband der Motorradfahrer e. V. (BVDM) gezielt für die Minimierung von Schallemissionen bei Motorrädern ein [8]. Tirol hat das Thema besser gelöst, hier gelten seit dem 10. Juni diesen Jahres Fahrverbote für Motorräder, deren Standgeräusch 95 Dezibel überschreitet, auch für Touristen. Wer gegen die Sperrung verstößt, muss mit einer Geldstrafe von 220 Euro rechnen, teilte die Landesvertretung mit. Die Maßnahme resultiert aus einer Lärmstudie aus dem vergangenen Jahr. Aus dieser gehe hervor, dass der Motorradverkehr an den Sommerwochenenden und insbesondere das hochtourige Fahren bei Beschleunigungs- und Bremsvorgängen am meisten störend für die Befragten sind, so Lärmexperte Christoph Lechner vom Amt für Emissionen, Sicherheitstechnik und Anlagen (ESA) [5]. Währenddessen wird in Deutschland noch über die 80dB-Grenze diskutiert.

Rund 20 Prozent der Motorräder sind zu laut zugelassen

Ein solcher Grenzwert wäre das Ende des Verbrennungsmotors auf zwei Rädern, so die Zeitschrift Motorrad. Das Problem dabei: viele aktuelle Modelle sind schon zu laut zugelassen, insgesamt sind es rund 20 Prozent der Motorräder. Ein Beispiel: Auf dem Nürburgring dürfen Motorräder, bei denen in der Nahfeldmessung mehr als 95 Dezibel festgestellt werden, nicht mehr fahren. Viele serienmäßige Sportmaschinen erreichen bei dieser Messung aber 98 bis 105 Dezibel. Die dürfen zwar nicht auf den Nürburgring, aber z. B. legal durch die Eifel fahren. Rund 30 Prozent der Motorradfahrer fallen durch „massive Lärmentwicklung“ auf, behaupten etwa die Vereinigten Arbeitskreise gegen Motorradlärm (VAGM) auf ihrer Website und berufen sich dabei auf das Umweltbundesamt und eine Studie des Motorradherstellerverbands ACEM. Die Studie verweist darauf, dass bei 35 Prozent aller Motorräder in Europa illegale Abgasanlagen verbaut sind, allerdings unter Verwendung von in die Jahre gekommener Quellen. Dennoch kam die ACEM-Studie schon damals zu dem Ergebnis, dass sogar leistungsstarke Sportmotorräder oberhalb von 80 km/h in der Regel leiser sind als Pkw, sofern es sich nicht gerade um Kleinwagen handelt. Das Umweltbundesamt äußert sich auf die Studie wie folgt: „Es liegen keine Daten vor, wie viele Motorräder außergewöhnlich laut im Straßenverkehr betrieben werden“ [2]. Der konstruktive Dialog zwischen Motorradfahrern und Motorradgegnern wird zunehmend schwieriger [8]. Dies trifft vor allem ländliche Gegenden, da die schön gelegenen Bundesstraßen sich für die Sonntagsausfahrt eignen. Anwohner hingegen empfinden die andauernde Lärmbelästigung als nervtötend, wenn es am Wochenende pro Tag etwa hundert solcher Motorräder sind, alle zehn Minuten kommt so eine Brülltüte. Diesen Lärm legen die Menschen dann pauschal auf alle Fahrer um und lehnen das Motorradfahren insgesamt ab [3; 4].

Das Thema beschäftigt den Ort Sasbachwalden schon seit zehn Jahren, so die Bürgermeisterin Sonja Schluchter. Mit Einschränkungen und Fahrverboten haben die Motorradfahrer wohl nicht mehr gerechnet. Wenn es sich in Tirol durchsetzt, wäre das eine gute Möglichkeit, weil es nur die Lauten trifft. Sie erhalte viele Zuschriften von Motorradfahrern, die erst sehr besorgt waren angesichts der Initiative, aber dann gemerkt haben, dass es nur gegen die zu lauten Fahrer geht und das finden sie richtig. Mit der Aufstellung eines Lärmdisplays ist die Situation auch besser geworden. [7]. Die Lärmdisplays, zeigen den Fahrern, wie viel Lärm sein Fahrstil verursacht. Aber auch durch verstärkte Kontrollen kann hier Abhilfe geschaffen werden, um Fahrer mit manipulierten Auspuffanlagen aus dem Verkehr zu ziehen [3].

Was ist eigentlich eine Brülltüte?

Technisch gesehen kann der Schallleistungspegel von Motorrädern gesteuert und vermindert werden. Teil des Motorradspasses ist es jedoch für die Passionierten, mit laut knatterndem Auspuff zu fahren. In den Tüten, so nennen viele Motorradfahrer ihre Auspuffanlagen, gibt es zwei unscheinbare Klappen, die für die akustische Wirkung des Motors zuständig sind (Bild 1). Die bei Schweinfurt ansässige Firma KessTech hat sich auf verstellbare Klappenauspuffe spezialisiert. Jährlich bis zu 10.000 verstellbare Klappenauspuffe für Harley-Davidson, BMW und Indian werden in der Montagehalle produziert, das Stück für 2500 bis 3700 Euro. Von allen Harley-Käufern ließen sich etwa 80 Prozent in den ersten zwei Jahren einen neuen Auspuff montieren, sagt der Geschäftsführer Christian Schütte. Seine Kunden, oft Anwälte und Ärzte, wollen einen kernigen und voluminösen, aber legalen Sound. Dafür betreibt die Firma einen gewaltigen Aufwand nach einem simplen Prinzip: Der Auspuff muss in Fahrsituationen leise sein, wo Regularien es gebieten oder es offizielle Messungen gibt. Ansonsten kann er seinen Sound rauslassen. In so einer Auspuffanlage von KessTech steckten deshalb mehr als 8000 Zeilen Software-Code, sagt Schütte. Anhand von 134 Parametern erkenne sie, ob das Motorrad gerade Geräusch-, Abgas- oder Leistungswerte einhalten müsse oder seine volle Leistung entfalten könne. In Bereichen, wo Lärmregeln gelten, schließt sich automatisch die Klappe am Ende des Auspuffs. Das geschieht zur Überraschung des Fahrers auch mal mitten im Ort, wenn er zufällig im zweiten oder dritten Gang 50 Kilometer pro Stunde fährt. Denn das ist eine der Fahrsituationen, in denen auf Teststrecken offiziell gemessen wird. Über 80 km/h gibt es keine Regularien für Grenzwerte mehr, da sind die Klappen offen, wenn der Fahrer das will und mit dem Knopf am Lenker seinen Auspuff in den „On Mode“ gestellt hat [6] (Bild 2).

Grauzone der Legalität

Tüv-Experte Roger Eggers sieht das kritisch. Das Hauptproblem dieser hoch entwickelten Klappenauspuffe ist, dass sie genau auf den Prüfzyklus abgestimmt sind und darüber sind sie häufig viel zu laut. Die Regulierung erfolge dann nicht nur durch die sich schließenden Auspuffklappen sondern auch über Einspritzanlage und Motorleistung. Bei Motorrädern sei dies im Vergleich zu den fringierten PKWs jedoch legal. Die einzige sinnvolle technische Lösung sei daher, dass auch bei hohen Drehzahlen in niedrigen Gängen Grenzwerte geschaffen werden und die Einhaltung überprüft wird. Wenn die Industrie allerdings nicht reagiere, führt an den Fahrverboten kein Weg vorbei. Die Lärmgrenzwerte werden von den Vereinten Nationen und der EU in Fachausschüssen erarbeitet. Dort wird seit Monaten um neue Regeln gerungen, diese sollen von 2024 an als Euro 5 eingeführt werden [6]. Eine generelle Vorschrift der EU, dass Motorräder leiser gebaut werden müssen, wäre eine Lösung. Allerdings ist die EU gar nicht dafür zuständig, Typzulassungsbestimmungen zu ändern, sondern die ECE der UN. Dazu müssten sich also mehr als 190 Staaten weltweit einigen. International aufgehängt wird die Diskussion noch schwieriger. Länder wie Indien oder Vietnam mit großen Zweiradflotten werden die deutschen Probleme gar nicht verstehen. Und selbst wenn man sich auf neue Grenzwerte und Testverfahren einigt: Die würden nur für Neufahrzeuge gelten. Es würde bis zu 15 Jahre dauern, bis wir überhaupt einen merkbaren Anteil an Fahrzeugen gemäß den neuen Vorschriften auf der Straße haben [4; 8].

Verhältnismäßig wenig Motorradfahrer

In Deutschland zugelassene Pkw legen nach Zahlen des Kraftfahrbundesamts rund 65-mal so viele Kilometer zurück wie Motorräder. Sie sind außerdem auch nachts, bei schlechtem Wetter und das ganze Jahr über unterwegs, und das nicht wie Motorräder bevorzugt in dünn besiedelten ländlichen Gebieten, sondern in Städten, wo die Menschen dicht an dicht leben. [2] Der Bundesrat wäre daher gut beraten, mehr Vertrauen in die Motorrad fahrenden Bürger zu zeigen, so Lenzen. Vor allem aber sollte er bei Gesetzesvorschlägen den Grundsatz der Gleichbehandlung nicht vergessen, findet er. „Wir Motorradfahrer haben ein Recht zu fahren, und für das werden wir auch eintreten. Aber wir haben genauso die Pflicht, Rücksicht zu nehmen. Das müssen wir in die Köpfe hineinkriegen. Es fängt bei Kleinigkeiten an, zum Beispiel nicht an jedem Ortsausgang im zweiten Gang zu beschleunigen, sondern mal einen höheren Gang zu nehmen. Fahrspaß hat man trotzdem, aber man fährt deutlich leiser. Wir sollten die Perspektive der Anwohner einnehmen und uns fragen, welches Verhalten sie sich wünschen würden“, so Lenzen vom BDVM [4]. Auf klare Regelungen hinsichtlich der Grenzwerte muss wohl noch gewartet werden. Mindestens bis zur Euro 5 Norm. 

Literatur

  1. Lärmdebatte: Bayern kündigt Widerstand gegen mögliche Fahrverbote für Motorradfahrer an 07.07.2020, Spiegel online
  2. Motorradlärm: „Dann aber Fahrverbote für alle.“ Ein Kommentar von Markus Becker, Spiegel online 30.05.2020
  3. Nefzger, E.: „Alle zehn Minuten kommt eine Brülltüte“, Interview mit Volker Heinen, Polizeihauptkommissar beim Verkehrsdienst der Kreispolizeibehörde Düren, NRW, Spiegel online, 23.7.2020
  4. Nefzger, E.: Drohende Fahrverbote „Wir Motorradfahrer haben die Pflicht, Rücksicht zu nehmen“, Interview mit Michael Lenzen, gelernter Redakteur und seit 25 Jahren Vorstandsmitglied des Bundesverbands der Motorradfahrer (BVDM) Spiegel online, 6.7.2020
  5. Österreich: Tirol beschließt Fahrverbote für laute Motorräder. Spiegel online 29.05.2020, 14.13 Uhr
  6. Wittmann, M.: „Born to be laut“, Zeit Nr. 31/2020, 20. Juli 2020
  7. Götz, S.: „Es muss machbar sein, dass Motorräder leiser werden“, Interview mit Bürgermeisterin Sonja Schuchter und Rolf Frieling von der Biker Union. Zeit Online 28. Juni 2020.
  8. Fahrverbote für Motorradfahrer wegen Lärmschutz/ Antwort Bundesregierung/ Drucksache 19/19969, https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/204/1920477.pdf

1) Der Grenzwert bezieht sich auf den gemessen 7,5 m Abstand.

Von Annika Hilse