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01.03.2017, 00:00 Uhr

Psychologische und physikalische Wirkung von Verkehrslärm

Die klassische Forschung über die Auswirkungen von Lärmbelästigung im Hinblick auf nicht-auditorische gesundheitliche Auswirkungen setzt zumeist auf etablierte Indikatoren wie Lden oder Lnight, beide unter Berücksichtigung der A-Bewertung. Der Beziehung zwischen psychoakustischen Indikatoren und objektiven Gesundheitsparametern wird auch in Soundscape-Studien wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Im Projekt „INTRANOISE“ werden die Auswirkungen von Straßen- und Schienenverkehrslärm auf menschliche Schlafmuster untersucht und die Beziehung zwischen der subjektiven Wahrnehmung von 100 Testpersonen und objektiv gemessenen psychoakustischen und physiologischen Parametern erforscht. Alle Messungen finden im Feld in realen Alltagssituationen statt. Auf der Grundlage vergangener Erfahrungen im Bereich von Feldmessungen des Instituts für Straßen- und Verkehrswesen der Technischen Universität Graz wurde eine standardisierte Methode für objektive akustische Messungen im Wohnumfeld von Probanden entwickelt. Die Gesamtmenge und -qualität der akustischen Belastung eines Probanden wird durch einen zeitsynchronen Vergleich zwischen den Ergebnissen eines Verkehrslärmbelästigungsfragebogens mit objektiv gemessenen psychoakustischen Parametern ermittelt. In diesem Beitrag werden das Studienkonzept und die Ergebnisse einer ausgewählten Stichprobe von 82 Teilnehmern vorgestellt.

Quelle: Panther Media/ Michael Röder

Quelle: Panther Media/ Michael Röder

Die wichtigsten Effekte von Lärm, beschrieben in der zugehörigen Literatur, lassen sich wie folgt zusammenfassen [1; 2]:

  • Beeinträchtigung des Wohlbefindens durch den Belästigungsgrad,
  • Beeinträchtigung des Schlafs durch verschiedene Arten von Schlafstörungen,
  • physische Stressreaktionen durch die Aktivierung des auto­nomen Nervensystems,
  • arterielle Hypertonie und assoziierte Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch ischämische myokardiale Dysfunktionen.

Die Exposition gegenüber Lärm in der Umgebung von Verkehrsquellen ist ein immer wichtiger werdendes Merkmal für Gesundheitswirkungen [3; 4]. Auswirkungen der direkten Wirkung von Schallenergie auf das menschliche Gehör sind gut dokumentiert und akzeptiert [5; 6]. Verkehrslärm passiert auf einem Niveau deutlich unterhalb des Geräuschpegels, der Schäden am Gehör verursacht, sodass die auditorischen Effekte vernachlässigbar sind. Im Gegensatz hierzu sind nicht-auditorische Effekte von Lärm nicht das direkte Ergebnis der Einwirkung von Schallenergie. Stattdessen können diese Effekte als Ergebnis von Lärm als allgemeiner Stressor angesehen werden. Daher die Verwendung des Begriffs Lärm anstatt von Geräusch. Lärm bezeichnet unerwünschte Geräusche. Zu nicht-auditorischen Effekten von Lärm gehören Belästigung, psychische Gesundheit, Schlafstörungen und physiologische Funktionen, sowie Auswirkungen auf kognitive Funktionen wie Sprachkommunikationen und kognitive Leistungen [7]. Diese Auswirkungen von Lärm sind weniger gut dokumentiert und werden in der Fachwelt als auditive Effekte bezeichnet.

Große Teile der Bevölkerung (Schätzungen sprechen von etwa 28 % der Gesamtbevölkerung in der Europäischen Union) sind in ihrer Lebensqualität, ihrem Wohlbefinden oder ihrem Schlafmuster ständig beeinflusst, was zu einem erhöhten Gesundheitsrisiko führt [8].

Die Frage nach einem aussagekräftigen, klinisch-relevanten Schwellenwert für den durch Verkehr verursachten Lärmpegel wird kontrovers diskutiert und bisher konnte kein klarer Konsens erzielt werden. Ebenso ist noch unklar, welche Parameter angewandt werden sollten, um eine schwere gesundheitliche Beeinträchtigung zu bewerten.

Meistens wurden Daten entweder aus epidemiologischen Feldstudien oder aus Studien, durchgeführt in Schlaflaboratorien, gewonnen. Diese Laborstudien haben den klaren Vorteil von standardisierten Bedingungen, in denen Testergebnisse ermittelt werden (z. B. Polysomnographie – PSG) [9 bis 11]. Ein solcher Grad an Standardisierung der Testbedingungen kann in Feldstudien nicht erreicht werden, wo ein breites Spektrum an Einflussfaktoren präsent ist. Solche Studien erlauben jedoch eine bessere Simulation der tatsächlichen In-situ-Bedingungen und ermöglichen auch epidemiologische Studien mit repräsentativen Stichprobengrößen [12 bis 15]. Anzumerken ist, dass in allen epidemiologischen Studien in Ermangelung von objektiv messbaren Variablen nur Fragebögen, die die subjektive Einschätzung von lärmbedingten Beschwerden widerspiegelten, für die Bewertung herangezogen wurden.

Die subjektive Einschätzung von lärmbedingtem Unbehagen kann im Allgemeinen nur mit Schwierigkeiten vorhergesagt werden [16]. Aufgrund der Informationsqualität eines bestimmten Geräuschs, wie semantischer oder pragmatischer Aspekte und der bewussten Einstellung einer Person, ist das lärmbedingte Unbehagen sehr situationsspezifisch und kann daher nicht zuverlässig modelliert werden. Wie zuvor berichtet, ist es dabei wichtig, fuzzy-mathematische Soft-Computing-Verfahren zu berücksichtigen, die die Beziehung zwischen lärminduzierten Beschwerden und objektiven Lärmparametern beschreiben [17].

Belästigung als Ergebnis der Belastung durch Verkehrslärm

Der Begriff Belästigung wird im Zusammenhang mit Umwelteinflüssen verwendet, ist aber weiterhin Gegenstand von Unklarheiten. Der Begriff Belästigung wird im Allgemeinen verwendet, um negative Gefühle, wie Störung, Unzufriedenheit, Unmut, Irritation und Ärgernis auszudrücken. Nach Guski et al. [18] könnte diese Liste, aber auch noch um die Einbeziehung von somatischem Schaden, Verlust der Kontrolle und Orientierung, negative Bewertung der Lärmquelle und hohe Schallpegel erweitert werden.

Lärmbelästigung kann als emotionaler Prozess verstanden werden, da diese Reaktion eng mit der affektiven Erfahrung des Individuums gegenüber der Lärmquelle verbunden ist. Der Nachweis dieser Behauptung beruht auf Untersuchungen über Fluglärm, wo die Existenz einer Korrelation zwischen dem Urteil der Störung durch Fluglärm und der Angst vor Flugzeugunfällen festgestellt werden konnte [19; 20]. In diesem Zusammenhang kann die Lärmbelästigung eine Einstellungsdimension erhalten, da die Bewertung der Schwere der Störung oft von der erworbenen verbalen Information über die Lärmquelle abhängt [21]. Diese Lärm-Subjekt-Beziehung kann durch die Betrachtung der Abhängigkeit der Probanden von der Lärmquelle erweitert werden. Daher neigen die Probanden, die z. B. ökonomisch von der Lärmquelle abhängen, dazu, sich weniger belästigt zu fühlen, als diejenigen, auf die dies nicht zutrifft.

Verkehrslärm ist ein Thema der kontinuierlichen und zunehmenden Besorgnis für Menschen als Grund für die Belästigung und damit verbundene Schlafstörungen, die die direkten und relevantesten Faktoren auf die Gesundheit widerspiegeln.

Psychoakustik im Bereich Verkehrslärm

Die Psychoakustik deckt ein wichtiges Feld der verschiedenen am Umweltevaluationsprozess beteiligten Dimensionen ab. Sie beschreibt Klangwahrnehmungsmechanismen in Bezug auf mehrere Parameter, wie Lautheit, Schärfe, Rauigkeit und Fluktuationsstärke, sowie andere gehörbezogene Parameter. Es ist anzumerken, dass die Psychoakustik eine natürliche Progression aus der Forschung zu den Kurven gleicher Lautstärke und kontinuierlichen Verbesserungen bei Modellen ist, die die mensch­liche Wahrnehmung von Geräuschen beschreiben. Es gibt jetzt sehr genaue Modelle, die verwendet werden können, um vorherzusagen, wie Menschen z. B. die Lautheit eines Geräuschs über die Zeit wahrnehmen [22; 23]. Diese Modelle weisen eine hohe Korrelation mit der menschlichen Wahrnehmung der Lautheit von Geräuschen in einer Vielzahl von Anwendungen auf und werden daher immer relevanter bei der Bewertung von Umgebungslärm oder beim Versuch der Erklärung Lärmbelästigungs-Dosis-Wirkungsbeziehungen.

Herz-Kreislauf-Reaktionen

Ein Indikator für Lärmereignisse ist die sofortige Erhöhung der Herzfrequenz und Änderung des systolischen Blutdrucks. Carter et al. [24] konnten den unmittelbaren Anstieg der Herz­frequenzen nach einem Lärmereignis unter Laborbedingungen zeigen. Intermittierende oder periodische Geräusche während des Schlafs induzieren eine biphasische Herzreaktion mit einer vorübergehenden Verengung der peripheren Blutgefäße sowie deutliche Veränderungen am Ergebnis der Elektrokardiografie (EKG). Die biphasische Reaktion des Herzens zeigt zunächst einen Anstieg der Herzfrequenz, gefolgt von einer Dekompensationsreaktion mit einem deutlichen Rückgang der Herzfrequenz. Griefahn et al. [10] fanden in ihrer Studie eine Verbindung zwischen den autonomen Erregungen während des Schlafs und des Verkehrslärms . Die Reaktion der Herzfrequenz auf Verkehrslärm während des Schlafs wurde analysiert. Die Reaktion der Herzfrequenz auf Verkehrslärm während des Schlafs wurde in einer umfangreichen Studie in einem Labor unter standardisierten Bedingungen durchgeführt [9; 10]

Diese untersuchten kardialen Effekte basieren ausschließlich auf Labordaten. Große epidemiologische Studien, die das Herzrisiko untersuchen, basieren ausschließlich auf Befragungen, sind aber für die Ermittlung der Belastung und Entwicklung von aussagekräftigen Grenzwerten für vorbeugende Maßnahmen gegen Lärmemissionen unerlässlich. Es ist offensichtlich, dass die natürliche Umgebung und Gewohnheiten ein Risiko besser beschreiben als die fremde und ungewohnte Umgebung eines Schlaflabors.

Gegenwärtig fordern die Night Noise Guidelines for Europe der WHO [23] ein NOAEL (kein beobachtetes nachteilig wirkendes Niveau) von NOAELAmax  42 dB. Die Herzfrequenz reagiert sehr empfindlich auf äußere Reize, da sie durch das autonome Nervensystem reguliert wird. Die WHO empfiehlt in den Night Noise Guidelines for Europe, dass Feldstudien durchgeführt werden müssen, um den Einfluss von Verkehrslärm hinsichtlich des Potenzials bei chronischen Erkrankungen, wie z. B. Schlafstörungen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, besser beschreiben zu können.

Ein geeignetes Werkzeug zur Überwachung von Veränderungen in der Schlaftiefe ist die Aktigrafie. Diese ist eine einfache Methode, die gleichzeitig bei mehreren Probanden angewendet werden kann. Die Ergebnisse sind gut vergleichbar mit denen, die mit der PSG ermittelt wurden, was die Bewertung der Änderungen in der Schlaftiefe zuhause durch eine einfache Mess­methode ermöglicht.

Methodik

Die beiden Hauptziele des vorgestellten Konzepts sind, den Einfluss von Straßen- und Schienenverkehrslärm auf den Schlaf von Individuen zu untersuchen und zusätzlich das Verhältnis der subjektiven Wahrnehmung von Probanden mit objektiv messbaren psychoakustischen und physiologischen Parametern zu erforschen. Der entscheidende Punkt des Projekts besteht darin, dass alle Messungen im Feld (bei den Probanden in ihrem eigenen Zuhause) durchgeführt werden.

Studiendesign, Messbereich und Probandenauswahl

Im ersten Schritt wurden geeignete Versuchspersonen aus einer Datenbank ausgewählt, bestehend aus den Daten von Probanden, die an bisherigen Lärmstudien der TU Graz teilgenommen haben (510 Personen wurden in ihrer allgemeinen Gesundheit, dem Wohlbefinden und deren Bezug zum Thema Verkehrslärm getestet) [25 bis 28]. Für diese Studie werden 100 repräsentative Probanden untersucht.

Unterschieden wird nach zwei verschiedenen Messumgebungen:

  •  Gebiete, die hauptsächlich durch Straßenverkehrslärm beeinflusst sind,
  •  Gebiete, die hauptsächlich durch Schienenverkehrslärm beeinflusst sind.

Alle Messungen werden im Haus bzw. der Wohnumgebung der Probanden fünf Tage (vier Nächte) lang durchgeführt. Dabei werden drei relevante Zeiträume unterschieden:

  •   Abend: Prä-Schlaf-Phase,
  •   Nacht: Schlafphase,
  •   Morgen: Post-Schlaf-Phase.

Feldstudie

Für die Feldstudie wurden verschiedene relevante Parameter untersucht und analysiert, die nachfolgend beschrieben werden.

Subjektive und sozio-demografische Daten und Gesundheitszustand

Die Erfassung der sozio-demografischen Daten und des Gesundheitszustands erfolgt durch einen Grundfragebogen zu Beginn der Untersuchung, einschließlich der wichtigsten Faktoren für Testpersonen im Zusammenhang mit Umwelteinflüssen, insbesondere Verkehrslärm: Geschlecht, Alter, Bildung, Wohnungsbedingungen in Bezug auf Lärmbelästigung und dem häuslichen Umfeld. Zusätzlich erfolgt die Erfassung des individuellen Gesundheitszustands jedes Probanden am Beginn der Messwoche im Rahmen eines Gesprächs, bei dem die wichtigsten gesundheitsrelevanten Parameter, wie regelmäßige Einnahme bestimmter Medikamente, Verwendung eines Herzschrittmachers oder Hörgeräts, allgemeine Hörprobleme, Therapie von Herzrhythmusstörungen oder obstruktive Schlafapnoe, durch einen Mediziner abgefragt werden.

Verkehrslärmbelästigungsfragebogen

In den Messzeiträumen „Abend“ und „Morgen“ wird eine kontinuierliche Befragung der aktuellen Verkehrslärmbelästigung auf der Basis der elfgradigen ICBEN-Intervallskala [29] nach der sog. „experience sampling method“ (zeitnahe Bewertung von Erfahrungen, Gefühlen und Verhalten) [30; 31] durchgeführt. Die ICBEN-Intervallskala der International Commis­sion on Biological Effects of Noise wurde in unterschiedlichen Ausprägungen anhand einheitlicher Wortbeschreibungen standardisiert. Die in dieser Studie verwendete elfgradige Intervallskala reicht von „0 – überhaupt nicht belästigt“ bis „10 – besonders stark belästigt“. In den jeweiligen Untersuchungsgebieten beurteilen die teilnehmenden Personen ihre subjektive Belästigung durch Schienen- und/oder Straßenverkehrslärm kontinuierlich auf der Basis von jeweils einer halben Stunde in den Messperioden an den Untersuchungstagen.

Fragebögen zur Erfassung der für den Schlaf relevanten Faktoren

Da in der Studie durch den Messzeitraum von vier Werktagen nicht immer von gleichen Alltagsverhältnissen des Probanden ausgegangen werden kann, werden dem Probanden zusätzlich zur kontinuierlichen Verkehrslärmbelästigungsbewertung am Abend und am jeweiligen Morgen Fragen zu für den Schlaf relevanten Faktoren gestellt:

  • Der Morgenfragebogen befragt nach Daten zur subjektiven Schlaferfahrung: Schlafzeit, Schlafqualität, nächtliche Störungen und Akzeptanz der Messgeräte,
  • Der Abendfragebogen befragt nach Daten des Tagesverlaufs der Probanden: Aufenthaltszeiten zu Hause, spätes Abendessen und Lärmbelästigung bei Tag und Arbeit

Bild 1 zeigt das Flussdiagramm einer typischen Mess­woche für Teilnehmer am Projekt „INTRANOISE“.

Bild 1 Flussdiagramm einer Messwoche für einen Probanden im Projekt „INTRANOISE”.

Bild 1 Flussdiagramm einer Messwoche für einen Probanden im Projekt „INTRANOISE”.

 

Objektive (psycho-)akustische Messungen

Das Ziel der akustischen Messungen besteht darin, eine zeit­liche Synchronität zwischen dem Verkehrslärmbelästigungs­fragebogen und den akustischen Parametern, einschließlich dem Schalldruckpegel und psychoakustischen Parametern herzustellen, die die Gesamtmenge der jeweiligen akustischen Belastungen der Probanden widerspiegeln.

Messungen (Aufzeichnungen) von momentanen Schallemissionen werden mit zwei binauralen Kunstköpfen HSU III.2 in Kombination mit dem mobilen Aufnahmesystem SQuadriga II der HEAD acoustics GmbH durchgeführt, um ein realistisches Bild der Verkehrslärmbelastung jedes Probanden am jeweiligen Untersuchungsort zu gewinnen.

An jedem Untersuchungsort wurde ein Kunstkopf im Außenbereich an der Fassade des Hauses (Bild 2)

Bild 2 Messpunkt (innen), Kunstkopf 1.

Bild 2 Messpunkt (innen), Kunstkopf 1.

 

und ein Kunstkopf im Haus im Schlafzimmer des Probanden (Bild 3) platziert.

Bild 3 Messpunkt (außen), Kunstkopf 2.

Bild 3 Messpunkt (außen), Kunstkopf 2.

 

Die akustischen Messungen erfolgen über alle drei Zeiträume hinweg und werden anschließend statistisch mit den gesammelten subjektiven und physiologischen Daten korreliert. Aufnahmen wurden mit dem Softwarepaket „ArtemiS SUITE V7.3“ (HEAD acoustics GmbH) nach den neuesten akustischen und psychoakustischen Standards analysiert.

Messung physiologischer Parameter

Schlafstörungen, die sowohl als Aufwachreaktionen als auch als Veränderungen in der Schlaftiefe definiert werden, werden häufig mit Verkehrslärm verbunden und sind ein wichtiges Kriterium bei der Festlegung von Grenzwerten für die Lärmbelästigung. Die physiologischen Messungen werden während der vier Nachtperioden bei jedem Probanden im Untersuchungsgebiet durchgeführt.

In diesem Projekt wurden die physiologischen Messungen mittels eines Handgelenk-Aktigrafen („wActiSleep-BT Advanced Activity Monitoring Solution with Heart Rate” von ActiGraph, LLC) in Kombination mit einem Polar H7 Bluetooth Herzfrequenzmesser durchgeführt. Eine Messung und Interpretation der Herzfrequenzvariabilität (HRV) erlaubt Rückschlüsse auf die Anpassungsfähigkeit des Herzens an interne und externe Reize. Der Aktigraf ist mit einem Beschleunigungssensor ausgestattet, der Armbewegungen in eine numerische Repräsentation umsetzt und speichert. Danach wurden die erfassten Rohdaten mit dem proprietären Softwarepaket „ActiLife V6“ von ActiGraph, LLC analysiert.

Für die eingehende Analyse der mithilfe der Aktigrafie gewonnenen Schlafdaten werden zwei Algorithmen für verschiedene Altersgruppen verwendet:

  •  Sadeh-Algorithmus: Wird für jüngere Testpersonen verwendet, da dieser mit Versuchspersonen der Altersgruppe von 10 bis 25 Jahren [32] entwickelt wurde.
  •  Cole-Kripke-Algorithmus: Wird für erwachsene Testpersonen verwendet, da dieser mit Versuchspersonen der Altersgruppe von 35 bis 65 Jahren [33] entwickelt wurde.

Daher werden bei der Analyse der ermittelten Schlafdaten zwei Altersgruppen unterschieden. Der Sadeh-Algorithmus wird angewendet, um Daten von Testpersonen, die zum Zeitpunkt der Untersuchung 18 bis 25 Jahre alt waren, zu berechnen. Der Cole-Kripke-Algorithmus bei Personen, die älter als 26 Jahre zum Zeitpunkt der Datenerfassung sind.

Ergebnisse

Bisher wurden im Projekt „INTRANOISE“ 82 Testpersonen über 82 Messwochen, wohnhaft an verschiedenen Unter­suchungsorten, analysiert. Im Allgemeinen wurde die Methodik von den Testpersonen gut verstanden und auch der technische Part, bestehend aus den physiologischen und akustischen Messungen, funktionierte ohne große Probleme. Die Bewertung der subjektiven Verkehrslärmbelästigung und dem Ausfüllen der Fragebögen erfolgte ebenso problemlos.

Ergebnisse der akustischen Messungen und subjektiven Belästigungsbewertungen

Bild 4 Schalldruckpegel (SPL) in dB(A) – Schlafzimmer mit zugehöriger Verkehrslärmbelästigung (n = 4 189 Bewertungen während der Prä- und Post-Schlaf-Phase).

Bild 4 Schalldruckpegel (SPL) in dB(A) – Schlafzimmer mit zugehöriger Verkehrslärmbelästigung (n = 4 189 Bewertungen während der Prä- und Post-Schlaf-Phase).

 

Bild 5 Schalldruckpegel (SPL) in dB(A) – Außenbereich mit zu- gehöriger Verkehrslärmbelästigung (n = 4189 Bewertungen während der Prä- und Post-Schlaf-Phase).

Bild 5 Schalldruckpegel (SPL) in dB(A) – Außenbereich mit zu- gehöriger Verkehrslärmbelästigung (n = 4189 Bewertungen während der Prä- und Post-Schlaf-Phase).

 

Die Bilder 4 und 5 zeigen den 30-minütigen energieäquivalenten A-bewerteten Schalldruckpegel (SPL) in den Innen- und Außenbereichen, sowie die zugehörige Verkehrslärmbelästigungsbewertung der Probanden in der Prä- und Post-Schlaf-Phase auf der Basis der erfassten Rohdaten, die noch nicht statistisch verarbeitet wurden.

Die Boxplots in Bild 4 zeigen die Komplexität der Schlafzimmermessungen des Schalldruckpegels in Kombination mit der Verkehrslärmbelästigungsbewertung auf. Dadurch, dass Probanden gebeten wurden, ihre subjektiv empfundene Belästigung zu bewerten, ist nicht mehr als eine leichte Tendenz im Innenraum für erhöhte Belästigung bei erhöhtem Schalldruckpegel erkennbar.

Die Boxplots in Bild 5 zeigen einen deutlichen Anstieg der Belästigung ab einem Schalldruckpegel zwischen 53 und 56,5 dB(A) im Außenbereich. Durch die geringe Datenlage im Bereich der Werte von 8 bis 10 der Bewertungsskala ist bei hoher Belästigung bzw. Beeinträchtigung durch den Verkehrslärm eine Stufe in der Tendenz erkennbar. In diesem sehr interessanten Schalldruckpegelbereich gestaltet es sich schwierig, mögliche Messorte zu finden, da (wie sich herausstellte) verfügbare Lärmkarten teilweise höhere Werte suggerieren und die Aussagen von Betroffenen oft subjektiv (aufgrund mangelnder Erfahrung) zu hoch angesetzt werden. Bei näherer Betrachtung passen die 1. Quantile jedoch gut in das allgemeine Bild der allgemeinen Tendenz, sodass bei einer größeren Stichprobe in diesem Bereich von einem Wegfall dieser Stufenbildung auszugehen ist.

Hier ist hervorzuheben, dass die Testpersonen sehr vorsichtig mit der Einschätzung ihrer subjektiv empfundenen Belästigung durch Verkehrslärm umgehen und sich sehr gut auf das eigene Belästigungsausmaß konzentrieren können, wie durch die Bilder 4 und 5 verdeutlicht wird.

Ergebnisse der Schlafmessungen

Die Bilder 6, 7 und 8 zeigen den energieäquivalenten A-bewerteten Schalldruckpegel (SPL) pro Probandennacht von 22:00 bis 06:00 Uhr im Verhältnis zu ausgewählten, den Schlaf der teilnehmenden Probanden beschreibenden Parametern.

Bild 6 Schalldruckpegel (SPL) in dB(A) – Schlafzimmer mit zu­gehöriger Schlafeffizienz (n = 324 Nächte von 82 Probanden).

Bild 6 Schalldruckpegel (SPL) in dB(A) – Schlafzimmer mit zu­gehöriger Schlafeffizienz (n = 324 Nächte von 82 Probanden).

 

Bild 7 Schalldruckpegel (SPL) in dB(A) – Schlafzimmer mit zu­gehörigem WASO-Wert (n = 324 Nächte von 82 Probanden).

Bild 7 Schalldruckpegel (SPL) in dB(A) – Schlafzimmer mit zu­gehörigem WASO-Wert (n = 324 Nächte von 82 Probanden).

 

Bild 6 zeigt eine beginnende Abnahme der Schlafeffizienz ab einem Bereich von 40 bis 43 dB(A). In diesem Zusammenhang wirkt der von der WHO in den Night Noise Guidelines for Europe definierte NOAELAmax  42 dB, ab dem vermehrt körperliche Reaktion auf die Schallimmission zu erwarten sind, angemessen. Im Allgemeinen wird eine Schlafeffizienz von mehr als 85 % vornehmlich als „guter Schlaf“ gewertet [34]. Dieser Schlafeffizienzwert wird in der Studie im Median unterschritten, wenn der Schalldruckpegel im Schlafzimmer einen Wert von 52 dB(A) und höher erreicht.

Ein ähnlicher Effekt ist auch in Bezug auf den Indikator „Aufwachen nach Einsetzen des Schlafs“ (WASO) zu beobachten. Wie Bild 7 zeigt, weist die Gruppe von Probanden ab einem energieäquivalenten Dauerschallpegel von 42 dB(A) einen höheren Interquartilsabstand auf. Zusätzlich zeigen Probanden, die in der Nacht einem LA,eq von mehr als 46 dB(A) ausgesetzt sind, deutliche höhere Wachzeiten nach Schlafbeginn bei vergleichbarer Anzahl an Aufwachreaktionen. Dementsprechend erhöht sich die Anzahl der Aufwachreaktionen der Probanden nicht, jedoch dauern diese im Schnitt länger, wie Bild 8 verdeutlicht.

Bild 8 Schalldruckpegel (SPL) in dB(A) – Schlafzimmer mit zu­gehöriger durchschnittlicher Aufwachdauer (n = 324 Nächte von 82 Probanden).

Bild 8 Schalldruckpegel (SPL) in dB(A) – Schlafzimmer mit zu­gehöriger durchschnittlicher Aufwachdauer (n = 324 Nächte von 82 Probanden).

 

Schlussfolgerung und Ausblick

Bei Betrachtung der vorläufigen Ergebnisse der physiolo­gischen Messungen von 82 Testpersonen zeigt sich, dass der von der WHO in den Night Noise Guidelines for Europe geforderte NOAELAmax  42 dB in gewissem Umfang angemessen scheint. Dennoch muss diese Annahme in der genauen Endauswertung des Projekts „INTRANOISE“ noch weiter untersucht werden.

Im Hinblick auf die akustische und psychoakustische Analyse wird der nächste Schritt in der Untersuchung und Berechnung von psychoakustischen Parametern und der statistischen Korrelation mit den Verkehrslärmbewertungen bestehen. Nachfolgend müssen die Aktivitätsangaben während der Verkehrslärmbewertungsphasen kategorisiert und die ermittelten Rohdaten entsprechend verarbeitet werden, um einen genaueren Eindruck von der Rolle der Psychoakustik in Bezug auf Verkehrslärmbelästigung zu erhalten.

Als Schlussfolgerung kann festgehalten werden, dass die Methodik sehr gut funktioniert und die Methoden für die statistische Berechnung und Analyse festgelegt sind. Im nächsten Schritt werden weitere Messwochen durchgeführt um eine signifikante Stichprobe und Ergebnisse zu erhalten, die die Grundlage für weitere Forschungsarbeiten bilden sollen.

 

Danksagung

Dieses Projekt wurde vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF gefördert. Wir möchten uns ebenfalls bei Herrn Univ.-Prof. Dr.-Ing. Martin Fellendorf und unseren Kooperationspartnern Ass.Prof. i. R. Dipl.-Ing. Dr. techn. Kurt Fallast, o. Univ.-Prof. DDr.phil.et med. univ. Egon Marth und Univ.-Prof. Dr. phil. Wolfgang Freidl für die fachliche Zusammenarbeit bedanken.

 

 

 

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Von Manuel Lienhart und Michael Cik

Manuel Lienhart und Michael Cik, Institut für Straßen- und Verkehrswesen, Technische Universität Graz.