Zum E-Paper
01.03.2016, 00:00 Uhr

Wahrnehmung von Fahrzeuggeräuschen

Die Produktqualität von Fahrzeugen definiert sich heute zunehmend über die auditive Wahrnehmung des Kunden. Das Ziel der Hersteller ist es daher, Motor- und Windgeräusche, die sich während der Fahrt störend bemerkbar machen, zu minimieren und den Klang von Türen, Klappen und funktionalen Elementen, die im Stillstand die auditive Qualität eines Fahrzeugs charakterisieren, gezielt an die Erwartungen des Kunden anzupassen. Eine kundenorientierte Entwicklung erfordert detaillierte Kenntnisse über die auditiven Empfindungen und die individuellen Erwartungen des Kunden. Daher verfolgt der im Beitrag vorgestellte Ansatz das Ziel, die durch den Kunden wahrgenommene Qualität von Fahrzeuggeräuschen objektiv zu beschreiben und vorherzusagen. Für die Bewertung der wahrgenommenen Geräuschqualität wird ein auf psychoakustischen Einflussgrößen basierendes Prognosemodell entwickelt. Ein derartiges Modell ermöglicht es, rechnergestützt die emittierten Geräusche mithilfe konstruktiver Maßnahmen unter Berücksichtigung der Kundenbewertung gezielt zu verbessern und zukünftig optimal zu gestalten. Im ersten Teil des Beitrags wird auf Verriegelungsgeräusche von Pkw-Türen als ein Beispiel für singulär impulshafte Geräusche eingegangen. Der zweite Teil des Beitrags befasst sich mit der Bewertung von Motorgeräuschen und der modellbasierten Entwicklung von Motorkapselungen zur Reduktion der durch den Verbrennungsprozess hervorgerufenen Motorgeräusche.

Quelle: Panther Media/ SIphotography

Quelle: Panther Media/ SIphotography

Bei der komfortorientieren Entwicklung von modernen Automobilen gewinnen wahrnehmungsbasierte Aspekte zunehmend an Bedeutung. Der Käufer setzt heute fehlerfreie und effektive technische Lösungen, eine lange Lebensdauer und einen ergonomischen Bedienkomfort voraus. Für eine qualitative Differenzierung von Fahrzeugen gewinnen damit haptische, optische oder akustische Reize stärker an Bedeutung. Ein wachsendes Potenzial kundenorientierter Entwicklungen bietet das akustische Produktdesign. Das vom Kunden präferierte Wertigkeitsempfinden lässt sich technisch durch vielfältige Maßnahmen erreichen. Dabei sind unterschiedliche Signaltypen zu beachten. So liefern zyklische Signale eines Verbrennungsvorgangs andere auditive Wahrnehmungsdimensionen als das impulshafte Schließen einer Motorhaube. Möglichst leise Wind- und Rollgeräusche verbunden mit einer konzeptspezifischen Motorenpräsenz gelten als auditiv hochwertig. Steht das Fahrzeug im geschlossenen Verkaufsraum eines Händlers, werden die sensorischen Rezeptoren durch das Klangbild beeinflusst, das durch die Betätigung von Türen, Klappen und weiteren funktionalen Elementen entsteht. Die bewusste Wahrnehmung derartiger Klangbilder ist ein Aspekt der technischen Qualität eines Fahrzeugs. Das Ziel der Hersteller ist es daher, Motor- und Windgeräusche, die sich während der Fahrt störend bemerkbar machen, zu minimieren und den Klang von Türen, Klappen und funktionalen Elementen, die im Stillstand die auditive Qualität eines Fahrzeugs charakterisieren, gezielt an die Erwartungen des Kunden anzupassen. Eine kundenorientierte Entwicklung erfordert detaillierte Kenntnisse über die auditiven Empfindungen und die individuellen Erwartungen des Kunden.

Der nachfolgend vorgestellte Ansatz verfolgt das Ziel, die durch den Kunden wahrgenommene Qualität von Fahrzeug­geräuschen objektiv zu beschreiben und mithilfe von Modellen vorhersagen zu können. Dazu wird für die Bewertung der wahrgenommenen Geräuschqualität ein auf psychoakustischen Einflussgrößen basierendes Prognosemodell entwickelt, dass es rechnergestützt ermöglichen soll, die emittierten Geräusche mithilfe konstruktiver Maßnahmen unter Berücksichtigung der Kundenbewertung gezielt zu verbessern und zukünftig optimal zu gestalten. Dazu ist es erforderlich, die durch den Kunden wahrgenommene Qualität eines Fahrzeuggeräuschs objektiv zu beschreiben und vorherzusagen. Zur Entwicklung von Prognosemodellen werden reale Geräuschsignale von Fahrzeugen benötigt. Diese können am Fahrzeug gemessen werden, z. B. unter Nutzung von Kunstköpfen, oder im Entwicklungsprozess mithilfe komplexer numerischer Simulationsmodelle erzeugt werden. Derartige Modelle lassen sich bereits zu einem frühen Stadium der Entwicklung aus digitalen Fahrzeugmodellen gewinnen, die deutlich eher verfügbar sind als reale Prototypen. Die Prognosemodelle erlauben es somit, frühzeitig Untersuchungen zur akustischen Wirkung eines Geräuschs auf den Kunden durchzuführen, noch bevor der erste Prototyp gefertigt wird. Hierfür werden die numerischen Ergebnisse hörbar gemacht und mittels Hörversuchen hinsichtlich ihrer Geräuschqualität individuell bewertet. Mithilfe von Korrelationsanalysen werden geeignete Einflussgrößen für den Aufbau eines geeigneten objektiven Prognosemodells identifiziert. Um das psychoakus­tische Prognosemodell zu validieren, werden Geräusche hinsichtlich ihrer subjektiven und objektiven Geräuschqualität untersucht und verglichen. Es wird nachfolgend gezeigt, dass solche psychoakustischen Modelle sehr gut in der Lage sind, die vom Kunden wahrgenommene Geräuschqualität zu approximieren.

Im ersten Teil des Beitrags wird zunächst gezeigt, dass die vom Kunden wahrgenommene Geräuschqualität anhand objektiver Parameter beschrieben werden kann. Dies erfolgt exemplarisch anhand von singulär impulshaften Geräuschen, wie sie beispielsweise durch das Türzuschlagen, die Betätigung des Türöffners oder des Blinkerhebels ausgelöst werden. Der zweite Teil des Beitrags befasst sich mit der Bewertung von Motorengeräuschen und der modellbasierten Entwicklung von Motorkapselungen zur Reduktion der durch den Verbrennungsprozess hervorgerufenen Geräusche. Es wird gezeigt, dass psychoakustisch basierte Bewertungsmodelle einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn im Vergleich zu klassischen Bewertungskriterien liefern können.

Psychoakustische Bewertung singulär impulshafter Fahrzeug­geräusche

Die akustische Qualität des Türzuschlags stellt ein entscheidendes Kriterium im ruhigen Verkaufsraum dar. Hier fehlen die maskierenden Effekte eines laufenden Motors sowie die Ablenkung, die während der Fahrt entsteht. Das qualitative Empfinden dieser singulär impulshaften Geräusche lässt sich mithilfe einer semantischen Abfrage auf charakteristische Dimensionen reduzieren, woraus objektive Parameter für die Modellbildung abgeleitet werden können (siehe Bild 1, a) und b)).

Bild 1 Schematische Darstellung der experimentellen Vorgehensweise. Semantische Bewertung impulshafter Geräusche, Dimensionsreduktion a), subjektive Bewertung der Geräuschqualität, Auswahl von psychoakustischen Parametern b), Ableitung psychoakustischer Modelle c), Analyse der Übertragbarkeit der psychoakustischen Modelle d), modellbasierte Analyse des Einflusses kultureller Aspekte e).

Bild 1 Schematische Darstellung der experimentellen Vorgehensweise. Semantische Bewertung impulshafter Geräusche, Dimensionsreduktion a), subjektive Bewertung der Geräuschqualität, Auswahl von psychoakustischen Parametern b), Ableitung psychoakustischer Modelle c), Analyse der Übertragbarkeit der psychoakustischen Modelle d), modellbasierte Analyse des Einflusses kultureller Aspekte e).

Davon ausgehend wird nachfolgend gezeigt, dass diese Parameter die wahrgenommene Geräuschqualität von impulshaften Fahrzeuggeräuschen zuverlässig prognostizieren können. Zuerst werden gemäß Bild 1, c) für das Türzuschlaggeräusch von Fahrzeugtüren lineare Parametermodelle mittels Regressions- und Korrelationsanalysen entwickelt und verifiziert. Die Übertragbarkeit dieser Parameter auf alternative impulshafte Signale wird anhand des Rückschnappgeräuschs von Blinkerhebeln überprüft und bewertet (siehe Bild 1, d)). Schließlich wird gezeigt, dass die Bewertung eines Geräuschs auch durch den kulturellen Hintergrund der Probanden beeinflusst wird (siehe Bild 1, e)).

Zunächst wurde mithilfe der Methode des Paarvergleichs die Geräuschqualität von insgesamt 24 Türzuschlaggeräuschen von Serienfahrzeugen subjektiv bewertet. An dem Versuch nahmen 15 Frauen im Alter von 23 bis 40 Jahren und 26 Männer von 19 bis 52 Jahren teil; das Durchschnittsalter betrug 30,2 Jahre. Bei keinem der Probanden lag ein dokumentierter Hörschaden vor. Alle Teilnehmer besaßen eine Fahrerlaubnis; vier Teilnehmer verfügten über keinen eigenen Pkw. Vom Kleinwagen bis zur oberen Mittelklasse waren alle Fahrzeugtypen vertreten. Unter den insgesamt 41 Versuchsteilnehmern befanden sich 27 Laien sowie 14 Fachkräfte der Akustik, wovon wiederum vier als Geräuschexperten für Türen und Klappen tätig waren. Damit lag ein breites Spektrum vor, in dem sich sowohl Laien als auch mit der akustischen Entwicklung vertraute Personen befanden.

Als Resultat der Hörversuche ergaben sich ordinalskalierte Daten. Inkonsistente Teilnehmer wurden mithilfe des 2-Tests ausgeschlossen. Am Ende wurden die zusammengefassten Urteile nach dem BTL-Modell von Bradley, Terry und Luce [1; 2] mittels einer Dominanzhäufigkeitsmatrix in eine Intervallskala transformiert. Diese intervallskalierten Daten bildeten die Grund­lage, um die Geräuschqualität anhand objektiver Modelle mit psychoakustischen Parametern prognostizieren zu können. Zusätzlich fand eine absolute Bewertung der Geräusche des Türzuschlags auf einer siebenstufigen Likertskala statt [3]. Damit wurde die Vorhersagekraft der objektiven Modelle unabhängig von der zur Auswertung des Hörversuchs genutzten Methode untersucht. Details zu den verwendeten Untersuchungsmethoden sowie zahlreiche weiterführende Literaturverweise finden sich in [4; 5]. Mittels linearer Regression wurde aus den Ergebnissen der Hörversuche ein zweiparametriges Modell mit den psychoakustischen Parametern der Perzentillautheit N5 [6] und der von Höchstetter erstmals eingeführten Dauer der Schärfe TS [7] gewählt. Es konnte gezeigt werden, dass diese Kombination ein großes Potenzial zur objektiven Beschreibung impulshafter Fahrzeuggeräusche aufweist [8].

Bild 2 Korrelationsanalyse der Geräuschqualität von Türzuschlaggeräuschen: a) Lautheit N, b) Perzentillautheit N5, c) Schärfe S, d) Dauer der Schärfe TS.

Bild 2 Korrelationsanalyse der Geräuschqualität von Türzuschlaggeräuschen: a) Lautheit N, b) Perzentillautheit N5, c) Schärfe S, d) Dauer der Schärfe TS.

In Bild 2 wird die Korrelation der bekannten psychoakustischen Parameter N, N5 und S sowie des neuen Parameters TS zur bewerteten Geräuschqualität gezeigt. Die Lautheit N und die Perzentillautheit N5 erreichen mit rN = -0,77 und rN5 = -0,81 hohe Korrelationskoeffizienten. Weiterhin erreicht die Dauer der Schärfe TS mit rTS = -0,95 den im Vergleich höchsten Wert. Die Ergebnisse zeigen, dass die Qualität von Türzuschlaggeräuschen durch die Dauer der Schärfe besser beschrieben werden kann als durch die Parameter der Lautheit.

Übertragbarkeit auf alternative Geräusche

Für die praktische Nutzung der entwickelten Modelle ist deren Übertragbarkeit auf alternative Geräusche ein wichtiges Krite­rium. Exemplarisch wird nachfolgend das Geräusch des Rückschnappens von Blinkerhebeln anhand der oben beschriebenen Methode bewertet. Für die subjektive und objektive Bewertung der Geräuschqualität wurden 14 verschiedene Signale verwendet. Die Stimuli wurden wieder nach der Methode des Paarvergleichs unter Nutzung von zwei unabhängigen Probandengruppen A und B untersucht. In jeder Gruppe wurden acht Ge­räusche bewertet, wobei zwei der 14 Geräusche in beiden Gruppen identisch waren. Nach einer linearen Regressionsanalyse der ersten acht Geräusche für die subjektiven und für die objektiven Daten ergab sich das Bestimmtheitsmaß R2 = 0,98. Für die objektive Modellierung des auditiven Qualitätsempfindens wurden die Lautheit N5 sowie der neue Parameter Dauer der Schärfe TS verwendet. Während beim Türzuschlaggeräusch die Dauer der Schärfe TS deutlich höher gewichtet ist (2 : 1), liegt das Gewicht beim Geräusch des Rückschnappens des Blinkerhebels zu mehr als zwei Drittel auf der Perzentillautheit N5. Statistisch betrachtet weisen die Ergebnisse auf ein hochsignifikantes Prognosemodell hin, dessen Datensatz in Bild 3 (links) dargestellt ist.

Bild 3 Bewertung des Rückschnappens von 14 Blinkerhebeln; links: Bewertung der Geräusche der Gruppe A mit dem Prognosemodell der Gruppe A; rechts: Bewertung der Geräusche der Gruppe B mithilfe des Prognosemodells der Gruppe A.

Bild 3 Bewertung des Rückschnappens von 14 Blinkerhebeln; links: Bewertung der Geräusche der Gruppe A mit dem Prognosemodell der Gruppe A; rechts: Bewertung der Geräusche der Gruppe B mithilfe des Prognosemodells der Gruppe A.

Wird das abgeleitete Modell dazu verwendet, die Geräuschqualität für unabhängige Signale objektiv vorherzusagen, so resultiert ein sehr guter Korrelationskoeffizient von r = 0,97 (siehe Bild 3, rechts).

Motiviert durch die erfolgreiche objektive Abbildung der empfundenen Qualität wurde die entwickelte Methodik abschließend auf die mehrfach periodischen Signale der Warnblinkanlage von Fahrzeugen übertragen und gezeigt, dass die beiden psychoakustischen Parameter N5 und TS auch die Qualität einer neuen Geräuschklasse vorhersagen können (siehe [8]).

Kulturelle Einflüsse

Die kulturellen Unterschiede der subjektiven Wahrnehmung gewinnen im Bereich der Automobilindustrie zunehmend an Bedeutung. Einerseits werden weltweit Fahrzeuge des gleichen Typs verkauft, andererseits bewusst eigenständige Derivate für ausgewählte Märkte entwickelt. Daher wird nachfolgend untersucht, ob eine kulturelle Prägung die empfundene Qualität von impulshaften Fahrzeuggeräuschen beeinflusst. Dazu wurde mit Probandengruppen aus Europa, China und den USA die Qualität von Türzuschlaggeräuschen und von Signalen des Rückschnappens des Blinkerhebels untersucht. Es wurden insgesamt jeweils acht Geräusche des Türzuschlags und des Rückschnappens von Blinkerhebeln bewertet. Das Ziel der Untersuchung bestand darin, die Vorhersagekraft eines Referenzmodells, das mithilfe der ursprünglichen Probandengruppe, die nicht ausschließlich aber überwiegend aus Europäern bestand, mit den Modellen zu vergleichen, die mithilfe der Probanden für die jeweilige Kulturgruppen entwickelt wurden. Die Tabelle gibt die Wichtungsfaktoren für die vier linearen Prognosemodelle an, die jeweils aus den beiden Parametern N5 und TS bestehen.

Interkulturelle Bewertung der Geräuschqualität von Türzuschlaggeräuschen; dargestellt sind die Gewichtungen der Perzentillautheit N5 und der Dauer der Schärfe TS von vier linearen Regressionsmodellen.

Interkulturelle Bewertung der Geräuschqualität von Türzuschlaggeräuschen; dargestellt sind die Gewichtungen der Perzentillautheit N5 und der Dauer der Schärfe TS von vier linearen Regressionsmodellen.

 

 Das Referenzmodell zeigt sich erwartungsgemäß als valide für die Vorhersage der Geräuschqualität der Europäer, was der Korrelationskoeffizient von r = 0,93 für das Referenzmodell und von r = 0,94 für das Modell der Teilnehmer aus Europa bestätigt. Aus der Studie mit chinesischen Probanden hat sich ergeben, dass die Bedeutung der Lautheit in der auditiven Empfindung der Chinesen gegenüber dem Referenzmodell abnimmt, wohin­gegen die Dauer der Schärfe leicht zunimmt. Entsprechend dieser Gewichtung führt die Korrelationsanalyse zu einem Wert von r = 0,96. Das Referenzmodell sagt die Geräuschqualität mit einem ebenfalls sehr hohen Korrelationskoeffizienten von r = 0,94 vorher. Für die Teilnehmer aus den USA fällt der Einfluss der Lautheit weiter ab, wohingegen die Bedeutung der Dauer der Schärfe weiter zunimmt. Damit scheinen die Versuchspersonen aus den USA beim Geräusch des Türzuschlags sehr sensibel auf qualitätsmindernde Effekte wie ein tonales Nachklingen oder ein hochfrequentes Schwirren zu reagieren. Für eine hohe Qualität ist somit der satte Klang einer Tür wichtiger als dessen wahrgenommene Lautstärke. Das Referenzmodell korreliert mit r = 0,91 mit der Bewertung der Teilnehmer aus den USA. Die für diese Probandengruppe optimal gewichteten Parameter führen zu einem Koeffizienten von r = 0,95.

Hinsichtlich des Rückschnappgeräuschs von Blinkerhebeln zeigt sich ein ähnliches Bild. Die Güte und Vorhersagekraft der akustischen Qualität des Referenzmodells ist für europäische Probanden erwartungsgemäß sehr hoch. Allerdings liegt der Korrelationskoeffizient des Referenzmodells für die US-amerikanischen Teilnehmer auf demselben Niveau wie für die europä­ischen Teilnehmer, obwohl das Referenzmodell vorwiegend auf den subjektiven Urteilen von europäischen Probanden basiert. Die chinesische Erwartungshaltung liegt hingegen verstärkt auf klanglichen und dynamischen Aspekten, repräsentiert durch ein möglichst geringes Nachschwingen und einen eher dumpfen tieffrequenten Klang.

Psychoakustische Bewertung von Motorgeräuschen

Analog zu der Darstellung im vorigen Kapitel lassen sich auch weitere Fahrzeuggeräusche psychoakustisch bewerten. Dabei müssen wiederum Probandenversuche durchgeführt und daraus geeignete Prognosemodelle abgeleitet werden. Die Probandenversuche werden üblicherweise auch hier unter Nutzung realer Fahrzeuge oder Fahrzeugkomponenten gewonnen. Es wird nachfolgend gezeigt, dass es heute prinzipiell möglich ist, derartige Prognosemodelle auch unter Nutzung von virtuellen Modellen zu gewinnen. Dieses Vorgehen hat sehr große Vorteile, da zu einem frühen Zeitpunkt des Entwicklungsprozesses eines Fahrzeugs, zu dem noch kein realer Prototyp existiert, erste Informationen über die zukünftige Geräuschqualität gewonnen und konstruktive Maßnahmen zur Verbesserung der akus­tischen Qualität realisiert werden können. Dafür lassen sich CAD-Daten nutzen, aus denen geeignete Modelle für akustische Berechnungen und die daran anschließende psychoakustische Bewertung abgeleitet werden können. Üblicherweise werden akustische Untersuchungen und die daraus üblicherweise folgende Forderung nach akustischen Verbesserungen heute erst nach Fertigstellung eines Fahrzeugprototyps durchgeführt. Das Erreichen der akustischen Wunschvorstellung erfordert zusätzlich zeit- und kostenintensive Iterationsschleifen, mit denen versucht wird, schrittweise das Ziel zu erreichen.

Nachfolgend wird anhand der Motorakustik gezeigt, welche Möglichkeiten die modellbasierten Methoden für die Beurteilung der Geräuschqualität bieten und welche zusätzlichen Vorteile sich aus der Nutzung psychoakustischer Modelle ergeben können.

Simulationsmodell für die Motorakustik

Die für die Berechnung der Schallabstrahlung von Motoren entwickelte Simulationsmethodik ist in Bild 4 dargestellt.

Bild 4 Ganzheitlicher Simulationsansatz zur Bewertung von Motorgeräuschen.

Bild 4 Ganzheitlicher Simulationsansatz zur Bewertung von Motorgeräuschen.

Die Berechnung beginnt im ersten Schritt mit einer elastischen Mehrkörpersimulation des Kurbeltriebs des Motors unter Berücksichtigung der elasto-hydrodynamischen Kontakte.

Eingangsgrößen sind die Geometrie und die elastischen Eigenschaften der wesentlichen Komponenten des Kurbeltriebs sowie die Gaskräfte, die aus der Auslegung des Motors bekannt sind. Daraus lassen sich die zeitlich veränderlichen Verläufe der Lagerkräfte sowie die Stöße infolge des wechselseitigen Anlegens der Kolben an die Zylinderwand berechnen. Im zweiten Schritt wird ein 3D-Finite-Element-Modell (FEM) des Zylinderkurbelgehäuses (ZKG) einschließlich der wichtigsten Anbauteile be­nötigt. Die Anregung des ZKGs erfolgt mit den im ersten Schritt ermittelten zeitlich veränderlichen Kräften. Das Ergebnis dieser sehr zeitaufwendigen dynamischen Berechnung sind unter anderem die Schwinggeschwindigkeiten (Schnelle) an der Oberfläche des ZKGs. Im dritten Schritt folgt eine akustische Berechnung. Dazu wird ein akustisches FEM-Modell des Luftvolumens erzeugt, das den Motor umschließt. Die im zweiten Schritt berechneten Schwinggeschwindigkeiten an der Oberfläche des ZKG werden auf das Luftvolumen übertragen und regen es an. Die dadurch erzeugten Schallwellen breiten sich aus und lassen sich als Druckschwankungen an jedem Punkt des Luftvolumens berechnen. Diese Daten werden in einem vierten Schritt einem Signalverarbeitungsprozess unterzogen und bilden die Grund­lage für die Berechnung der psychoakustischen Parameter wie die Lautheit und die Schärfe. Die simulierten Motorgeräusche lassen sich hörbar machen und können nun auch durch Probanden in Hörversuchen individuell bewertet werden. Schließlich werden die Ergebnisse der Signalanalyse und der Hörver­suche anhand von Regressions- und Korrelationsanalysen mit­einander verglichen. Für das Prognosemodell werden die psychoakustischen Parameter verwendet, die die beste Korrelation mit der subjektiven Empfindung der Geräuschqualität aufweisen. Ausführlichere Informationen zu den einzelnen Schritten des in Bild 4 gezeigten Berechnungsablaufs können [9] entnommen werden.

Damit das entwickelte objektive Vorhersagemodell für Bewertungen im virtuellen Entwicklungsprozess anwendbar ist, muss das Modell in der Lage sein, die empfundene Geräuschqualität von Motorgeräuschen vorherzusagen, die nicht Grundlage der Modellbildung waren. Ansonsten ließen sich solche Prognosemodelle nicht für konstruktive Optimierungsmaßnahmen nutzen. Zur Bewertung der Vorhersagequalität wurden 14 neue Motorgeräusche auf synthetischem Wege erzeugt. Diese Geräusche wurden im Rahmen eines zweiten Hörversuchs bewertet.

Bild 5 Korrelation der mit dem ursprünglichen Modell ermittelten Geräuschqualität und derjenigen, die mithilfe von Probandenversuchen für 14 neue, synthetisch erzeugte Motorgeräusche ermittelt wurde.

Bild 5 Korrelation der mit dem ursprünglichen Modell ermittelten Geräuschqualität und derjenigen, die mithilfe von Probandenversuchen für 14 neue, synthetisch erzeugte Motorgeräusche ermittelt wurde.

In Bild 5 wird die Vorhersagequalität des ursprünglichen psychoakustischen Modells für die 14 neuen synthetischen Geräusche mithilfe der Ergebnisse des zweiten Hörversuchs bewertet. Es ist deutlich zu erkennen, dass das ursprüngliche psychoakustische Prognosemodell auch für die neuen unabhängigen Motorgeräusche die empfundene Geräuschqualität sehr gut approximiert; der Korrelationswert von r = 0,96 belegt eine sehr gute Vorher­sagequalität.

Das entwickelte psychoakustische Modell kann dazu verwendet werden, die räumliche Verteilung der wahrnehmbaren Geräuschqualität des Verbrennungsmotors im gesamten umgebenden Luftvolumen zu berechnen. Exemplarisch zeigt Bild 6 für einen Motor den Vergleich des A-bewerteten Schalldruckpegels mit der wahrgenommenen Geräuschqualität.

Bild 6 Vergleich anhand eines Verbrennungsmotors: (a) Verteilung des A-bewerteten Schalldrucks,(b) die wahrgenommene Geräuschqualität.

Bild 6 Vergleich anhand eines Verbrennungsmotors: (a) Verteilung des A-bewerteten Schalldrucks,(b) die wahrgenommene Geräuschqualität.

In Bild 6 ist deutlich zu erkennen, dass die wahrgenommene Geräuschqualität nur eine geringe Ähnlichkeit mit dem A-bewerteten Schalldruckpegel aufweist. In Bereichen höherer Schalldruckpegel ist die lokale Qualität nicht zwingend schlechter als in anderen Gebieten. Zudem können Regionen fernab der höchsten Schalldruckpegel geringere Qualitätseigenschaften aufweisen. Diese teils sehr deutliche Diskrepanz zwischen dem abgestrahlten Schalldruck und der wahrgenommenen Geräuschqualität verdeutlicht den Mehrwert, den die Verwendung komplexer psychoakustischer Modelle liefert.

Bewertung der Vollkapselung eines Dieselmotors

Eine deutliche Reduktion der Schallemission von Verbrennungsmotoren kann mithilfe von Motorkapseln erreicht werden. Für die optimale Auslegung einer Motorkapsel wird der in Bild 4 dargestellt Simulationsansatz um ein Modell der Motorkapsel erweitert [10]. Damit lassen sich rechnergestützt unterschiedliche Typen von Dämmmaterialien, deren Materialaufbau, die Dicke und die geometrische Form der Kapsel im Hinblick auf die qualitative Wahrnehmung der Schallabstrahlung bewerten. Mittels psychoakustischer Modelle kann somit eine optimale, effiziente und effektive Form entwickelt werden. Gleichzeitig gelingt es, mit einer derartigen Motorkapsel die Wärme des Motoröls besser zu speichern, um zugunsten von Verschleiß, Verbrauch und einer Reduktion der Abgasemission schnell einen günstigen Betriebspunkt zu erreichen und Kaltstarts zu vermeiden, wobei natürlich eine Überhitzung des Motors bzw. Überlastung des Kühlkreislaufs ausgeschlossen werden müssen [11].

Das große Potenzial thermoakustischer Kapselungen hinsichtlich sowohl thermischer als auch akustischer Verbesserungen ist in [11] mithilfe eines Motorprüfstands, der sich in einem Halbfreifeldraum befindet, bewiesen worden. Die psychoakus­tische Evaluation verschiedener Kapselvarianten hat dabei gezeigt, dass der Pegel in dB(A) nicht alle Aspekte der Wahrnehmungsänderungen durch die Kapselung abbildet. Die psychoakustische Analyse offenbarte, dass die Vollkapselung mit einer zusätzlichen Schwerfolie (1 kg Zusatzmasse) keinen Mehrwert hinsichtlich der menschlichen Wahrnehmung bewirkt, obwohl eine zusätzliche Schallpegelreduktion von 2 dB erreicht wurde. Folglich erschließt sich durch die psychoakustische Analyse ein großes Einsparungspotenzial bezüglich der Masse und den Kosten.

Zusammenfassung

Dieser Beitrag verfolgt das Ziel, die durch den Kunden wahrgenommene Qualität von Fahrzeuggeräuschen objektiv zu beschreiben und vorherzusagen. Dafür werden auf psychoakus­tischen Empfindungsgrößen basierende Prognosemodelle entwickelt. Diese werden sowohl für verschiedene impulshafte als auch periodische Fahrzeuggeräusche abgeleitet und hinsichtlich ihrer Prognosefähigkeit bewertet.

Die Untersuchung verschiedener impulshafter Fahrzeug­geräusche hat gezeigt, dass die psychoakustischen Parameter der Perzentillautheit N5 und der Dauer der Schärfe TS sehr gut mit dem subjektiven Qualitätsempfinden korrelieren. Das Potenzial der beiden Parameter zur objektiven Abbildung der Geräuschqualität wurde neben dem Türzuschlaggeräusch auch für das Rückschnappen des Blinkerhebels gezeigt. Weiterhin korrelierten die Parameter am höchsten mit der Geräuschqualität von mehrfach impulshaften Signalen der Warnblinkanlage. Somit kann die wahrgenommene Qualität von impulshaften Fahrzeuggeräuschen mittels der linearen Kombination der Perzentillautheit und der Dauer der Schärfe beschrieben werden. Für jeden Signaltyp ist aber eine explizite Gewichtung der Parameter notwendig. Darauf aufbauend fanden Experimente zum auditiven Qualitätsempfinden verschiedener Kulturen statt. Die subjektive Bewertung wurde von Personen aus Europa, der Volks­republik China und den USA durchgeführt. Prinzipiell konnte die Geräuschqualität kulturübergreifend anhand der Perzentillautheit N5 und der Dauer der Schärfe TS gut beschrieben werden. Im Vergleich dazu ermöglichten kulturspezifische Modelle, bei denen die beiden Parameter jeweils optimal gewichtet wurden, eine verbesserte Prognose der Geräuschqualität.

Es wurde die Entwicklung eines Vorhersagemodells der empfundenen Geräuschqualität von Motorgeräuschen auf Basis auralisierter Simulationsergebnisse vorgestellt. Die entwickelten objektiven Vorhersagemodelle zeigen eine sehr gute Übereinstimmung mit den Hörversuchsergebnissen. Mithilfe eines weiteren Hörversuchs mit anderen Motorgeräuschen wurde gezeigt, dass die psychoakustischen Modelle in der Lage sind, auch die empfundene Geräuschqualität von Motorgeräuschen sehr gut vorherzusagen, die nicht Bestandteil des Entwicklungsprozesses des Vorhersagemodells waren. Somit ist der vorgestellte Virtual Engineering Ansatz sehr gut für die computergestützte akustische Optimierung geeignet. Dazu sind keine real vorhandenen Prototypen oder Motoren erforderlich. Hörversuche mithilfe auralisierter Simulationsergebnisse sind ebenfalls nicht mehr notwendig, wenn das Prognosemodell einmal geeignet generiert wurde. Außerdem ist es natürlich möglich, entsprechende Vorhersagemodelle an die entsprechende Zielgruppe anzupassen.

 

 

Danksagung

Die Autoren bedanken sich bei Herrn Prof. Dr. rer. nat. Jesko L. Verhey für die fachliche Beratung und intensive Zusammenarbeit sowie bei Steffen Liefold für seine hilfreiche Unterstützung. Weiterhin sei der Europä­ischen Union sowie dem Bundesland Sachsen-Anhalt für die finanzielle Unterstützung der Arbeiten im Rahmen des interdisziplinären Projekts Competence in Mobilität – COMO gedankt.

 

 

 

Literatur

  1. Sixtl, F.: Messmethoden der Psychologie. Weinheim: Verlag Julius Beltz 1967.
  2. Kendall, M. G.: Rank correlation methods. London: Griffin 1970.
  3. Likert, R.: A technique for measurement of attitudes. Arch. Psychol. 22 (1932), S. 136-165.
  4. Höchstetter, M.; Gabbert, U.; Verhey, J. L.; Rolle, M.: Physikalische und psychoakustische Vorhersage von singulär impulshaften Geräuschen. In: Rottengruber, H.; Henze, W.; Luft, T. (Hrsg.): Motor- und Aggregate-Akustik. 8. Tagungsband Magdeburger Symposium 2014, S. 86-97.
  5. Höchstetter, M.; Wackerbauer, M.; Verhey, J.; Gabbert, U.: Psychoakustische Prognose singulär impulshafter Geräusche. ATZ Automobiltechnische Zeitschrift 117 (2015) Nr. 7, S. 80-85.
  6. Zwicker, E.; Fastl, H.: Psychoacoustics – Facts and Models. 3. Aufl. Berlin: Springer-Verlag 2006.
  7. Höchstetter, M.; Sautter, J.-M.; Gabbert, U.; Verhey, J.: Role of the duration of sharpness in the perceived quality of impulsive vehicle sounds. Acta Acustica united with Acustica 102 (2016) Nr. 1, S. 119-128.
  8. Höchstetter, M.: Entwicklung einer Methodik zur Bewertung singulär impulshafter Fahrzeuggeräusche. Dissertation, Otto-von-Guericke Universität Magdeburg 2015. Fortschritt-Berichte VDI, Reihe 12, Nr. 796. Düsseldorf: VDI Verlag 2016.
  9. Duvigneau, F.; Liefold, S.; Höchstetter, M.; Verhey, J. L.; Gabbert, U.: Analysis of simulated engine sounds using a psychoacoustic model. J. Sound Vibr. 366 (2016), S. 544-555.
  10. Liefold, S.; Duvigneau, F.; Höchstetter, M.: Geräuschqualität von Motorkapselungen. ATZ Automobiltechnische Zeitschrift 117 (2015) Nr. 6, S. 20-23.
  11. Duvigneau, F.; Luft, T.; Hots, J.; Verhey, J. L.; Rottengruber, H.; Gabbert, U.: Thermo-acoustic performance of full engine encapsulations – A numerical, experimental and psychoacoustic study. Appl. Acoustics 102 (2016), S. 79-87.
Von Dipl.-Ing. Fabian Duvigneau, Dr.-Ing. Marius Höchstätter und Prof. Dr.-Ing. habil. Ulrich Gabbert

Dipl.-Ing. Fabian Duvigneau, Dr.-Ing. Marius Höchstätter, Prof. Dr.-Ing. habil. Ulrich Gabbert, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.