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Schadensanalyse 03.12.2021, 17:52 Uhr

Baubranchen-Boom schafft große Risiken

Angespannte Lieferketten, Materialkostenanstieg, fehlende qualifizierte Arbeitskräfte und der Ruf nach nachhaltigen Bauweisen stellen die Baubranche vor große Herausforderungen.

Feuer und Explosionen sind die wertmäßig bedeutendsten Ursachen für Bau- und Ingenieurschäden. Foto: PantherMedia  / pictureguy (YAYMicro)

Feuer und Explosionen sind die wertmäßig bedeutendsten Ursachen für Bau- und Ingenieurschäden.

Foto: PantherMedia / pictureguy (YAYMicro)

Der globalen Bauindustrie steht eine anhaltend starke Wachstumsphase bevor, die durch staatliche Infrastrukturausgaben und den Übergang zu einer klimaneutralen Netto-Null-Gesellschaft getrieben wird. Allerdings werden die Umstellung auf nachhaltigere Gebäude und Infrastruktur, der Ausbau von Anlagen zur Erzeugung sauberer Energie und die Einführung moderner Baumethoden die Risikolandschaft verändern und zu radikalen Veränderungen bei Design, Materialien und Prozessen führen.

Die Risiken für die Bauindustrie in den Griff bekommen

Diese Herausforderungen kommen nach Ansicht der Autoren der Studie „Managing the new age of construction risk“ zu den derzeit angespannten Versorgungsketten, einem Material- und Arbeitskräftemangel und gestiegenen Kosten hinzu, und das alles vor dem Hintergrund jahrelang knapper Margen in der Branche.

Die Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS), eine als globaler Unternehmensversicherer tätige Geschäftseinheit der Allianz Gruppe, untersuchte sowohl akute als auch langfristige Trends und stellt die zehn größten Risiken für den allgemeinen Bausektor sowie den Anlagenbau in ihrem neuen Bericht vor.

Wichtige Ergebnisse des AGCS-Berichts im Überblick

Die AGCS-Analyse von Bau- und Ingenieurschäden im Wert von 11 Milliarden Euro über einen Zeitraum von fünf Jahren zeigt die wertmäßig wichtigsten Schadensursachen auf: Feuer und Explosionen (26 %), Naturkatastrophen (20 %) und fehlerhafte Konstruktion oder schlechte Ausführung (12%).

Die Top-5-Ursachen von Bau- und Ingenieurschäden auf der Basis von 29.640 Schadensfällen der Versicherungsbranche in den Jahren 2016 bis 2020, die in der Summe einen Wert von etwa 11,3 Mrd. Euro (12,8 Mrd. US-Dollar) erreichten (Prozentzahlen gerundet). Foto: Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS)

Die Top-5-Ursachen von Bau- und Ingenieurschäden auf der Basis von 29.640 Schadensfällen der Versicherungsbranche in den Jahren 2016 bis 2020, die in der Summe einen Wert von etwa 11,3 Mrd. Euro (12,8 Mrd. US-Dollar) erreichten (Prozentzahlen gerundet).

Foto: Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS)

Die zunehmende Digitalisierung und der Klimawandel bergen laut der Analyse neue Risiken: Bauunternehmen müssen ihre Cybersicherheit verbessern und Baustellen besser vor Sturzfluten und andere durch den Klimawandel bedingte extreme Wetterereignissen schützen. Auch Wasserschäden außerhalb der Betriebszeiten verursachen häufig Schäden.

Schattenseiten des Baubooms

Der erwartete Boom bringt neben den Vorteilen auch eine Reihe von Herausforderungen mit sich. Mittelfristig könnten plötzliche Nachfrageschübe die Versorgungsketten zusätzlich unter Druck setzen und bestehende Engpässe bei Material und Fachkräften verschärfen, was zu Termin- und Kostenüberschreitungen führen könnte. Darüber hinaus müssen viele in der Branche die Umsetzung von Effizienz- und Kostensenkungsmaßnahmen beschleunigen, wenn die Gewinnspannen durch Covid-19 zusätzlich geschmälert werden; dies könnte die Qualität und das Wartungsniveau beeinträchtigen und die Fehleranfälligkeit erhöhen.

Eine AGCS-Analyse von fast 30.000 untersuchten Branchenschäden zwischen 2016 und Ende 2020 zeigt, dass Konstruktionsmängel und mangelhafte Ausführung eine der Hauptursachen für Verluste im Bau- und Ingenieurswesen sind und rund 20 % des Schadenwerts ausmachen.

Mehr Details zu den Risiken und den erforderlichen Maßnahmen finden Sie in den folgenden Abschnitten zu

  • Nachhaltigkeitstrend verändert Risikolandschaft im Bausektor
  • Fehlerhafte Fundamente verursachen hohe Schadenssummen
  • Modulares Bauen – anfällig für Serienfehler?
  • Zunehmende Cyberrisiken
  • Baustellen vor Naturgefahren besser schützen

Nachhaltigkeitstrend verändert Risikolandschaft im Bausektor

Der verstärkte Nachhaltigkeitstrend wird die bisherige Risikolandschaft im Bausektor stark beeinflussen. Nach Angaben des UN-Umweltprogramms sind der laufende Betrieb von Gebäuden und die Bauindustrie weltweit für 38 % der energiebedingten Kohlendioxidemissionen verantwortlich. Um diese zu senken, stehen Sanierungen oder Nutzungsänderungen von Bestandsgebäuden an. Außerdem müssen neue Materialien und Bauverfahren in relativ kurzer Zeit eingeführt werden. Dies birgt ein erhöhtes Risiko von Mängeln oder kann unerwartete Folgen für Sicherheit, Umwelt oder Gesundheit haben.

Als nachhaltiges und kosteneffizientes Material hat zum Beispiel die Verwendung von Holz im Bauwesen in den letzten Jahren zugenommen. Dies hat jedoch Auswirkungen auf das Risiko von Brand- und Wasserschäden. Die AGCS-Analyse von Schadenfällen in der Technischen Versicherung zeigt, dass sich Brand- und Explosionsereignisse in den letzten fünf Jahren bereits mehr auf als ein Viertel (26 %) des Schadenwerts belaufen – und damit die teuerste Schadensursache sind.

Fehlerhafte Fundamente verursachen hohe Schadenssummen

Der Ausbau grüner Energien bringt auch neue Risiken mit sich. So haben fehlerhafte Fundamente in Solarparks und -anlagen zu hohen Schadenssummen geführt. „Enorme Investitionen in grüne Energie bedeuten höhere Wertkonzentrationen, während die rasche Einführung von Prototyp-Technologien, Bauverfahren und -materialien eine enge Zusammenarbeit zwischen Underwriting, Schadenregulierung und Risk Engineering im Haus sowie zwischen Versicherern und ihren Kunden erfordert“, sagt Lena Bieringer, Regional Expert Green Energy in der CEE-Region.

Modulares Bauen – anfällig für Serienfehler?

Letztlich haben moderne Bau- und Produktionsmethoden das Potenzial, das Bauwesen radikal zu verändern, indem sie Risiken von der Baustelle weg verlagern und auf neue Technologien setzen. Insbesondere die modulare oder Fertigbauweise bietet viele Vorteile, wie z. B. ein kontrolliertes, fabrikbasiertes Qualitätsmanagement, weniger Baumüll, eine im Vergleich zu traditionellen Methoden halbierte Bauzeit und eine geringere Beeinträchtigung der Umgebung.

Allerdings gibt es auch Bedenken hinsichtlich des Risikos von sich wiederholenden Schadensfällen. „Bei modularen Methoden besteht ein erhöhtes Risiko von Serienschäden, da ein und dasselbe Teil in mehreren Projekten verwendet werden könnte, bevor ein Fehler entdeckt wird“, erklärt Robert Maurer.

Zunehmende Cyberrisiken

Der Fachkräftemangel im Baugewerbe wird den Trend zu Modulbau und Automatisierung wahrscheinlich noch verstärken. Gleichzeitig bringt die Digitalisierung Cyberrisiken mit sich, gegen sich die Ingenieurs- und Bauunternehmen schützen müssen. Heute sind die Beteiligten auf einer Großbaustelle über verschiedene IT-Plattformen miteinander verbunden, was ihre Anfälligkeit erhöht.

Cyberrisiken am Bau können von böswilligen Versuchen, sich Zugang zu sensiblen Daten zu verschaffen, über die Unterbrechung der Baustellenkontrolle und den damit verbundenen Diebstahl bis hin zur Unterbrechung der Lieferkette und der potenziellen Verfälschung von Projektentwurfsdaten reichen.

Baustellen vor Naturgefahren besser schützen

Auf den Baustellen müssen auch die Auswirkungen von klimabedingten Ereignissen wie Waldbränden, Sturzfluten und Erdrutschen stärker berücksichtigt werden. Die Schadenanalyse der AGCS zeigt, dass Naturgefahren bereits die zweitteuerste Ursache für Schäden im Baugewerbe sind und in den letzten fünf Jahren 20 % des Schadenwerts ausmachten.

Wasserschäden sind nach wie vor eine der Hauptschadensursachen während der Bauphase. AGCS hat eine Reihe von überraschend großen Schäden durch Leckagen in Druckwasser- oder Feuerlöschsystemen beobachtet, die unentdeckt bleiben oder in Zeiten auftreten, wenn kein Baustellenpersonal anwesend ist. Systeme zur Erkennung und Überwachung von Wasserlecks können dazu beitragen, die Häufigkeit und den Schweregrad von Wasserschäden zu reduzieren und so teure Reparaturen und Projektverzögerungen zu vermeiden.

Neues Zeitalter für die Bauindustrie hat begonnen

„Covid-19 hat ein neues Zeitalter für die Bauindustrie eingeläutet“, sagt Robert Maurer, Leiter der Technischen Versicherungen der AGCS in Zentral- und Osteuropa. Zwar seien die Bauprojekte während der Pandemie überwiegend weitergelaufen und weiteres Wachstum sei zu erwarten, aber das allgemeine Umfeld habe sich grundlegend verändert.

„Die Branche sieht sich mit neuen Herausforderungen konfrontiert: Es gibt Lieferengpässe, Material und Mitarbeiter sind knapp, die Kosten steigen und über allem steht ein verstärkter Fokus auf Nachhaltigkeit“, so Maurer. Darüber hinaus können die beschleunigte Umsetzung von Sparmaßnahmen und die Einführung neuer Technologien und Konstruktionen zu einer Zunahme der Risiken für Bauunternehmen und Versicherer gleichermaßen führen. Kontinuierliche Risikoüberwachung und Managementkontrollen werden daher in Zukunft von entscheidender Bedeutung sein.

Die starken Wachstumsaussichten für die Baubranche und den Anlagenbau beruhen auf dem Ziel einer beschleunigten CO2-Reduzierung in allen Bereichen der Wirtschaft, die erhebliche Investitionen in alternative Energieformen, Stromspeicher- und -übertragungssysteme, Batterieproduktionsanlagen oder Ladeinfrastruktur erfordern. Von Gebäuden wird nicht nur erwartet, dass sie emissionsärmer werden, sondern auch besser gegen extreme Wetterereignisse geschützt sind. Gerade in katastrophengefährdeten Regionen werden bessere Küsten- und Hochwasserschutzeinrichtungen sowie Abwasser- und Entwässerungssysteme benötigt.

Immense Investitionen in den nächsten zehn Jahren

Die Regierungen vieler Länder planen umfangreiche Investitionen in große Infrastrukturprojekte, um sowohl die Wirtschaftstätigkeit nach der Pandemiekrise anzukurbeln als auch den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft voranzutreiben. In den USA wird ein Infrastrukturpaket im Wert von über eine Billion Dollar geschnürt, das von Brücken und Straßen bis hin zu den Breitband-, Wasser- und Energiesystemen des Landes reicht.

Gleichzeitig haben die USA angekündigt bis 2022 in eine Reihe großer Infrastrukturprojekte auf der ganzen Welt zu investieren, um auf Chinas ehrgeizige Belt-and-Road-Initiative zu reagieren. Auf vier Länder – China, Indien, die USA und Indonesien – werden in den nächsten zehn Jahren voraussichtlich fast 60 % des weltweiten Wachstums im Baugewerbe entfallen. Der Grüne Deal der EU will einen Investitionsplan in Höhe von rund eine Billion Euro über die nächsten zehn Jahre mobilisieren.

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