Retro-Züge rollen durch NRW: Was hinter dem Konzept steckt
Retro-Züge aus Bundesbahnzeiten rollen wieder durch NRW – und sollen den Regionalverkehr stabilisieren. Wir schauen uns an, wie das gelingen soll.

Im historischen Zug sind die Sitze wie vor 60 Jahren aufgebaut. Darüber sind Gepäckablagen vorhanden. Man beachte außerdem das Schiebefenster zum Öffnen.
Foto: picture alliance/dpa | Christoph Reichwein
Sie sehen aus wie aus einem Eisenbahn-Museum – doch in Nordrhein-Westfalen sind sie fester Bestandteil des Alltags: Züge mit Fenstern, die sich öffnen lassen, schmalen Türen und Lautsprechern, die leise krächzend Anschlusszüge ansagen. Seit 2024 setzt das Unternehmen TRI diese sogenannten Retro-Waggons regelmäßig im Regionalverkehr ein. Das Ziel: Mehr Verlässlichkeit auf Strecken, auf denen moderne Züge immer wieder ausfallen.
Die Maßnahme ist mehr als ein nostalgisches Experiment. Der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) will damit ganz konkret die Pünktlichkeit verbessern. Denn die hatte zuletzt einen Tiefpunkt erreicht: Jeder vierte Regionalzug in der Region war verspätet, jeder sechste fiel ganz aus.
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Nostalgie auf Schienen – aber mit Auftrag
Wenn der RE 11 in Richtung Düsseldorf in den Bahnhof einfährt, zücken manche Fahrgäste ihr Smartphone. Der Grund: Die 60 Jahre alten Waggons stammen noch aus Zeiten der Bundesbahn. Klappfenster statt Klimaanlage, ein Snack-Automat ohne Funktion, Türen, die mit kräftigem Ziehen geöffnet werden. Zugbegleitende informieren analog – und nicht per Bildschirm – über Anschlusszüge.
Doch der Einsatz dieser Züge ist alles andere als ein PR-Gag. Sie fahren auf mehreren Linien im Auftrag des VRR. Betreiber ist die Firma TRI Train Rental mit Sitz in Deutschland. Das Unternehmen sieht sich selbst als Marktführer im Not- und Ersatzverkehr – und das mit rollendem Material, das längst nicht mehr produziert wird.
„Wir sind immer da, wenn jemand anders nicht kann oder andere Probleme von außen ihn nicht lassen“, sagt Henrik Feldmann, Leiter für Strategie und Vertragsmanagement bei TRI.
Ersatzverkehr mit Geschichte
Gegründet wurde TRI 2013 – ursprünglich für Sonderfahrten, etwa zu Fußballspielen oder im Tourismus. Heute sind die historischen Züge ein fester Teil des Nahverkehrs. Im Sommer 2025 fährt TRI täglich viermal zwischen Düsseldorf und Hamm. Auch auf den Linien RE 3, RE 6 und RE 7 kommen die Waggons regelmäßig zum Einsatz.
Ursprünglich sollten dort Züge der Unternehmen National Express und Eurobahn rollen. Doch der akute Lokführermangel setzt die gesamte Branche unter Druck. Manche Linien wurden über Monate hinweg aus dem Fahrplan gestrichen. TRI springt genau hier ein – besonders zu Stoßzeiten.
Technik von gestern – aber nicht von vorgestern
Zugegeben: Die Ausstattung der alten Waggons wirkt auf viele Bahnreisende ungewohnt. Aber sie funktioniert. Für den Einsatz im dichten Regionalverkehr wurden die Fahrzeuge überarbeitet und mit modernen Lokomotiven kombiniert. Diese erreichen 140 km/h – schnell genug, um die üblichen Fahrpläne einzuhalten.
Auch bei der Sicherheit wurde nachgebessert: „Hier plumpst durch das Klo nichts mehr auf die Gleise wie früher“, sagt Feldmann. Türen verriegeln sich automatisch während der Fahrt. Nur der alte Snack-Automat erinnert noch an frühere Zeiten – funktioniert aber nicht mehr.
Ausbildung für alte Technik
Auch TRI sucht dringend neues Personal – und zwar Menschen, die Lust auf alte Technik haben. Der Lokführermangel betrifft das Unternehmen ebenso wie die Konkurrenz. „Da können wir nicht einfach aus dem Vollen schöpfen“, so Feldmann. Die Technik sei besonders – und erfordere spezielles Wissen. Deshalb habe man einen eigenen Ausbildungsbereich aufgebaut.
Dort lernen Nachwuchskräfte nicht nur das Fahren, sondern auch das Reparieren, Rangieren und Überprüfen – Aufgaben, die bei modernen Triebzügen oft automatisiert oder ausgelagert sind.
„Wir sind alles Eisenbahner. Wer bei TRI arbeitet, der hat wirklich Lust“, betont Feldmann.
Der Lokführer als Techniker
Simon Kruck ist einer dieser Mitarbeitenden. Der 27-Jährige trägt eine alte Bundesbahn-Umhängetasche und arbeitet seit viereinhalb Jahren für TRI. Zuvor war er im Fernverkehr der Deutschen Bahn tätig. Heute schwärmt er von der alten Technik.
„Wenn bei uns etwas mit einem Waggon nicht passt, dann rangieren wir ihn einfach aus und fahren weiter“, erklärt Kruck. Bei modernen Triebzügen sei das oft nicht möglich – ein kaputtes Bauteil legt gleich den ganzen Zug lahm.
„Die Lok spricht auch mit einem“, sagt er und meint damit die Geräusche: Quietschen, Ruckeln, Knacken. „Ein moderner Zug ist leiser. Das wünscht sich der Fahrgast. Der Eisenbahner, der mag alles, was dazu gehört.“
Kein Ersatz für moderne Züge – aber eine Ergänzung
So viel Enthusiasmus für Technik von gestern wirft die Frage auf: War früher alles besser? TRI verneint das – und betont, dass man den eigenen Einsatz als Ergänzung verstehe, nicht als Rückschritt.
Ein großer Nachteil bleibt: Die alten Waggons sind nicht barrierefrei. Dafür ist in jedem Zug Zugbegleiter dabei, um beim Ein- und Ausstieg zu unterstützen.
Und die Fahrgäste? Die scheinen das Angebot zu schätzen. Im Qualitätsbericht des VRR erhielt die von TRI betriebene Niers-Erft-Bahn (RB 37) überdurchschnittliche Noten – in den Kategorien Sauberkeit, Zuverlässigkeit und Fahrgastzufriedenheit.
Zwischen Verlässlichkeit und Erinnerung
Auch an diesem Tag sind die Reaktionen gemischt – zwischen Staunen, Nostalgie und nüchterner Zweckmäßigkeit. „Dieses Einfache, das ist doch toll. Das erinnert mich total an früher“, sagt Christine Warkotsch, deren Vater bei der Bahn gearbeitet hat. Heinrich-Joachim Kocks drückt es so aus: „Nostalgie. Damit bin ich groß geworden.“
Doch am Ende zählt vor allem eines: Ankommen. Und genau dafür sorgt TRI – mit Zügen, die älter sind als viele ihrer Fahrgäste. (mit dpa)
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