Steer-by-Wire: Milliardenmarkt für deutsche Unternehmen?
China ebnet den Weg für den Milliardenmarkt mit Steer-by-Wire in der Automobilindustrie. Mit einer neuen Industrienorm für elektronische Lenksysteme ohne mechanisches Backup schafft die Volksrepublik die Grundlage für autonomes Fahren – und eröffnet Zulieferern wie ZF und Bosch enorme Wachstumsperspektiven.
Steel-by-Wire: China ebnet mit einer neuen Industrienorm den Weg in den Milliardenmarkt - auch für deutsche Unternehmen.
Foto: Smarterpix/BiancoBlue
China hat als eines der ersten Länder eine klare regulatorische Grundlage für das vollständig elektronische Lenken geschaffen. Ab dem 1. Juli 2026 dürfen Fahrzeuge dort mit Steer-by-Wire-Systemen ohne obligatorische mechanische Notfallverbindung zwischen Lenkrad und Rädern auf die Straße. Diese Entscheidung verleiht der Technologie politischen Rückhalt. Das Elektrofahrzeug Nio ET9, dessen Steer-by-Wire-Lösung von ZF stammt, wird bereits in China produziert und verkauft – ermöglicht durch Sondergenehmigungen. Mit der neuen Norm rechnen Fachleute nun damit, dass weitere Modelle mit Steer-by-Wire deutlich schneller in den Massenmarkt drängen.
Elektronische Steuerimpulse
Steer-by-Wire verändert grundsätzlich, wie Lenkbewegungen in Fahrzeugen übertragen werden. Anstelle aufwendiger mechanischer Lenksäulen mit unterstützender Elektronik kommen elektronische Steuerimpulse, Aktuatoren, Chips, Software und Kabel zum Einsatz. Das Lenkrad ähnelt damit funktional einem Joystick und kann perspektivisch sogar weggeklappt oder vollständig im Cockpit versenkt werden.
Grundlage ist der von der chinesischen Standardisierungsbehörde veröffentlichte Industriestandard GB17675-2025 mit dem Titel „Automotive Steering Systems – Basic Requirements“. Hybride Systeme aus Mechanik und Elektronik bleiben zulässig, doch die Pflicht zur mechanischen Absicherung entfällt.
Steer-by-Wire als technischer Wendepunkt
Die chinesische Norm verankert funktionale Sicherheit für Steer-by-Wire-Lenkungen anhand moderner internationaler Referenzen wie UN R79 und ISO 26262. Sie definiert, wie Redundanzen ausgelegt sein müssen, um Risiken durch Stromausfälle, Signalstörungen oder Fehler im Datentransfer zu begrenzen. Die Systeme müssen auch unter extremen Temperaturbedingungen, bei starken Vibrationen und unter dem Einfluss elektromagnetischer Störungen verlässlich arbeiten.
Hersteller sind verpflichtet gegenüber den Behörden detailliert nachzuweisen, wie sie Sicherheit gewährleisten – etwa durch doppelt ausgelegte Steuergeräte, redundante Sensorik oder mehrfache Stromversorgung.
Technologie nicht aufzuhalten
Die neue Technologie ist eine zentrale Voraussetzung für softwaredefinierte Fahrzeuge. Erst durch solche elektronischen Lenkarchitekturen lassen sich hochentwickelte Assistenzsysteme und echtes autonomes Fahren im industriellen Maßstab realisieren.
Mit zunehmender Automatisierung ab Level 2 und darüber übernehmen Bordcomputer und Künstliche Intelligenz schrittweise wesentliche Aufgaben der Fahrenden. Dies erfordert schnelle, direkte und digital kontrollierte Zugriffe auf Lenkung und Bremssysteme. Entwicklerinnen und Entwickler verweisen darauf, dass sich diese Anforderungen mit durchgängig elektrischen und elektronischen Architekturen deutlich effizienter und sicherer umsetzen lassen als bei gemischt-mechanischen Lösungen.
Steer-by-Wire und der Aufstieg deutscher Zulieferer
In China heizt der rapide Ausbau der Elektromobilität und automatisierter Fahrfunktionen die Nachfrage spürbar an. Die Lenkung ohne Lenksäule dürfte zunächst in hochpreisigen Premium- und Luxusmodellen wie dem Nio ET9 Fuß fassen und sich mit sinkenden Komponentenpreisen durch Massenfertigung schrittweise in günstigere Segmente vorschiebt. Aus dieser Dynamik entsteht ein neuer Milliardenmarkt rund um Steer-by-Wire, an dem deutsche Zulieferer wie Bosch und ZF voraussichtlich umfangreich partizipieren.
Bosch wichtiger Akteur
ZF zählt zu den wenigen Anbietern, die in China über das Potenzial einer umfassenden X-by-Wire-Kompetenz verfügen – in Richtung eines integrierten Fahrwerks, bei dem elektronische Signale nicht nur die Lenkung, sondern auch Bremse und Dämpfung steuern. „Schon heute liefern wir Kunden die Lenkung der Zukunft. Mit unserem serienreifen Steer-by-Wire-Lenksystem starten wir die Ära des softwaredefinierten Fahrzeugs“, sagte Peter Holdmann, Vorstandsmitglied für „Chassis Solutions“ bei ZF, anlässlich der Präsentation des Nio-Modells mit ZF-Lenkung im Frühjahr.
Neben ZF wird auch Bosch als wichtiger Akteur im chinesischen Steer-by-Wire-Ökosystem gesehen. Bosch verfolgt in China über das Joint Venture „Bosch Huayu“ ein eigenes System namens BHSS, das bereits in ersten Serien verbaut wird. Chinesische Unternehmen wie Nexteer, Yubei Steering und Huawei entwickeln ebenfalls eigene Steer-by-Wire-Lösungen.
Milliardenmarkt mit rasantem Wachstum
China könnte also erneut als Ausgangspunkt eines Technologiesprungs fungieren, der die weltweite Automobilindustrie umkrempelt – nur dass diesmal deutsche Pioniere von Beginn an intensiv mitgestalten. Branchenanalysen erwarten kräftige Marktanteilsgewinne für Steer-by-Wire-Systeme bereits in den kommenden Jahren. Prognosen des chinesischen Fachmediums Zhineng Qiche Sheji zufolge könnte der Anteil solcher Lenkungen an Neufahrzeugen von rund zwei Prozent im Jahr 2025 auf etwa „30 Prozent im Jahr 2030“ steigen. Dies käme einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 67 Prozent gleich.
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