Rätsel MH370: So suchen Wissenschaftler das verschwundene Flugzeug
Malaysia-Airlines-Flug MH370 verschwand 2014 mit 239 Menschen an Bord spurlos. Ab dem 30. Dezember wird die Suche im südlichen Indischen Ozean mit Ocean Infinity für 55 Tage fortgesetzt.
Vor zehn Jahren verschwand die Boeing 777 der Malaysia Airlines spurlos. Jetzt behauptet ein Australier, die Ursache gefunden zu haben.
Foto: IMAGO/PantherMedia / Markus Mainka
Inhaltsverzeichnis
Das malaysische Verkehrsministerium hat angekündigt, dass das private Suchunternehmen Ocean Infinity seine Mission im Indischen Ozean am 30. Dezember wieder aufnehmen wird. Geplant ist ein etwa 55-tägiger Sucheinsatz, der in mehreren Phasen durchgeführt werden soll. Die Teams werden sich auf Gebiete konzentrieren, in denen Experten die größten Chancen sehen, Überreste des Flugzeugs zu finden. Zuvor hatte die Regierung in Kuala Lumpur eine neue Vereinbarung mit Ocean Infinity getroffen, die den erneuten Einsatz offiziell ermöglicht.
Unterwasserroboter sollen verschollenes Flugzeug finden
US-Unternehmen Ocean Infinity soll Unterwasserroboter einsetzen, um das Wrack von Malaysia-Airlines-Flug MH370 zu finden. Laut Vereinbarung mit der malaysischen Regierung erhält das Unternehmen 70 Millionen US-Dollar nur, wenn das Wrack gefunden wird („No-Find, No Fee“). Eine frühere Suche im Frühjahr musste wegen schlechtem Wetter abgebrochen werden. Jetzt soll die Mission in ausgewählten Gebieten von rund 15.000 km² im südlichen Indischen Ozean fortgesetzt werden. Die Zielgebiete wurden anhand von Driftanalysen von Wrackteilen an afrikanischen Küsten und Inseln ermittelt und mit verbesserten Modellen eingegrenzt.
Nichts in der Geschichte der Luftfahrt ist wohl mysteriöser als das Verschwinden des Fluges MH370 am 8. März 2014. Um 0:42 Uhr hob die Boeing 777 mit 227 Passagieren und zwölf Crew-Mitgliedern vom Kuala Lumpur International Airport in der malaysischen Hauptstadt ab, sechs Stunden später hätte sie in Chinas Hauptstadt Peking landen sollen. Doch dazu kam es nie.Was genau geschah und wo das Flugzeug und seine Insassen heute sind, ist weiterhin nicht bekannt. 2024 hat sich der australische Wissenschaftler Vincent Lyne zu Wort gemeldet und behauptet, das Flugzeug gefunden zu haben. Doch der Reihe nach …
Was ist passiert?
Um den Unglücksflug ranken sich zahlreiche, teils wilde Theorien. Gesichert ist Folgendes: 37 min lang verlief der Flug planmäßig über die malaysische Halbinsel Richtung Nordosten. Weder die Flugbewegungen noch der Funkkontakt mit dem Flugkapitän Zaharie Ahmad Shah gaben Anlass zur Sorge. Dann, über offenem Meer an der Grenze der Funkzonen zwischen der malaysischen und der vietnamesischen Flugaufsicht, schaltete jemand im Cockpit den Transponder aus, der normalerweise in regelmäßigen Abständen Position, Höhe und Geschwindigkeit des Flugzeugs an die Flugaufsicht übermittelt. Wenige Sekunden später nahmen Radarstationen am Boden eine scharfe Linkskurve wahr, die nicht dem Flugplan entsprach.
Nach Tests von Boeing konnte diese Kurve nur manuell geflogen worden sein, nicht vom Autopiloten oder durch einen technischen Defekt. Eine Weile lässt sich die Flugroute ab da noch durch Bodenradar verfolgen. MH370 flog – offensichtlich manuell gesteuert – zurück über den Norden Malaysias und die Ferieninsel Penang auf den Golf von Bengalen zwischen Indien und Malaysia. Dort wird die Radarüberwachung immer schwächer, sodass das Flugzeug bald von allen Schirmen mit Flugrichtung Indien verschwand. Wichtig dabei: Die Route wurde erst im Nachhinein ermittelt. In der Unglücksnacht hatte keiner MH370 wirklich auf dem Schirm …
Woher wissen wir, wie es danach weiterging?
Weil MH370 ab dieser Stelle des Fluges nie wieder auf konventionellen Radarschirmen auftauchte und auch der Transponder im Flugzeug ausgeschaltet blieb, versagen herkömmliche Möglichkeiten, das Flugzeug zu tracken. Stattdessen müssen Ermittler und auf die Suche spezialisierte Firmen auf neue Techniken zurückgreifen. Die wichtigsten davon sind hier erklärt, aber es sei auch gleich erwähnt, dass nicht jede davon zuverlässig ist und vieles Spekulation bleibt – sonst wäre das Flugzeug auch schon längst gefunden. Das Einzige, was wirklich gesichert ist, ist, dass das Flugzeug irgendwann in den Indischen Ozean abstürzte, da über die Jahre verteilt Trümmerteile und Gepäckstücke an den Küsten Südostafrikas und seiner vorgelagerten Inseln angespült wurden.
1. Inmarsat
Inmarsat ist eine britische Firma, die Satellitenkommunikation betreibt. Sie geht aus einer internationalen Organisation gleichen Namens hervor, die 1976 von 28 Staaten mit dem Ziel gegründet wurde, ein weltweites Netzwerk für Satellitenkommunikation aufzubauen. Gedacht war dies für die Schifffahrt. Als in den 1990er-Jahren mehrere Länder Inmarsat nicht mehr finanzieren wollten, wurde die Organisation stückweise privatisiert. Seit 2021 ist sie komplett in privater Hand. Airlines nutzen das Satellitennetzwerk von Inmarsat für die Kommunikation zwischen Flugzeug und Bodenstationen. Zwar wurde diese Kommunikation an Bord von MH370 abgeschaltet, doch wenige Minuten, nachdem der Flug vom Radar verschwand, versuchte die Kommunikationseinheit des Flugzeugs, die SDU, sich wieder bei einem Satelliten anzumelden.
Von 2:25 Uhr bis 8:19 Uhr in der Nacht registrierte Inmarsat zwei fehlgeschlagene Anrufe des Hauptquartiers von Malaysia Airlines bei MH370 sowie fünf Log-in-Versuche, die in der Regel stündlich geschehen. Der achte dieser „Handshakes“ um 9:15 Uhr erfolgte nicht mehr – daraus lässt sich der Moment des Absturzes eingrenzen, er korreliert auch mit dem Zeitfenster, in dem MH370 der Sprit ausgegangen sein müsste. Ermittler vermuten, dass wer immer das Flugzeug zu diesem Zeitpunkt steuerte, rund eine Stunde nach der abrupten Umkehr den regulären Strom an Bord wieder einschaltete, wodurch der Flieger sich auch automatisch wieder bei Satelliten melden möchte.
Bei der Satellitenkommunikation übertrug MH370 keine Daten, also etwa den Standort. Dies muss vom Cockpit aus manuell ausgeschaltet worden sein. Trotzdem lässt sich über die Handshakes die Flugroute nachverfolgen. Inmarsat kann aus seinen Logdaten unter anderem ersehen, bei welchem Satelliten sich das Flugzeug einloggen wollte, wo dieser zu diesem Zeitpunkt stand und wie lange das Signal zwischen Sender und Empfänger unterwegs war. Daraus lässt sich wiederum die Entfernung zwischen Satellit und Flugzeug berechnen. Da aber die Richtung des Signals unbekannt ist, müsste es zu diesem Zeitpunkt irgendwo auf einem virtuellen Kreis um den Satelliten herum gewesen sein.
Aus dem zeitlichen wie räumlichen Abstand dieser Handshake-Ringe lässt sich eine Flugroute nach Süden über den Indischen Ozean schlussfolgern, aber die Anzahl der genauen Routen ist so groß, dass sich eine riesig große Fläche ergibt, in der das Flugzeug am Ende ins Meer gestürzt sein könnte. Sie misst rund 1,12 Mio. km2, rund dreimal so groß wie Deutschland mit einer Wassertiefe von teils mehreren Tausend Metern. Rund ein Zehntel davon wurde bis 2017 durchsucht, ohne eine Spur von MH370.
2. CSIRO
CSIRO ist die „Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation“, ein seit 1916 existierendes Forschungsinstitut aus Australien. Die Wissenschaftler dort nahmen die in Afrika angespülten Trümmerteile zum Anlass, deren Ursprung herauszufinden. Traditionell wehen die Winde im südlichen indischen Ozean von West nach Ost, was die Trümmer eigentlich nach Australien hätte treiben müssen. Erst etwas näher am Äquator wechselt die Strömung nach Westen, dazwischen liegt eine Zone mit wechselnden Strömungen, in der auch die ersten Suchaktivitäten stattfanden.
Die CSIRO-Forscher und -Forscherinnen entdeckten bei Auswertungen von Satellitenbildern der Suche, dass es in der Nähe des berühmten siebten Bogens, auf dem der letzte Handshake geschah, einen Gebirgszug unter Wasser gibt, der die Strömungen in diesem Gebiet beeinflusst. Daraus ließ sich ein kleineres Gebiet ermitteln, in dem westliche Strömungen vorherrschend sein müssten. CSIRO besorgte sich sogar ein Originalstück eines Boeing-777-Flügels, schnitt diesen so zu, dass er einem angespülten Trümmerteil ähnelte und testete dessen Schwimmeigenschaften vor der australischen Küste, um genauere Berechnungen anstellen zu können. Aus mehreren solcher Tests erstellte CSIRO dann ein rund 9700 km2 großes Suchgebiet am Rande der bisherigen Suchzonen. Das entspricht etwa einer Größe halb so groß wie Sachsen.
2018 schloss die US-Firma Ocean Infinity auf der Grundlage dieser Daten einen Vertrag mit der malaysischen Regierung. Sie bot an, das Gebiet zu durchsuchen und nur dann Geld dafür zu verlangen, würde sie MH370 finden. Malaysia ließ sich darauf ein, doch die Suche blieb ebenfalls erfolglos. Seitdem hat es keine neuen Suchaktionen gegeben.
3. Hydrofone
Der Aufschlag von MH370 auf die Wasseroberfläche dürfte ein ziemlich lautes Ereignis gewesen sein. Da es auf offener See weitab jeder Zivilisation geschah, gibt es keine Ohrenzeugen dessen. Die See wird aber von Sensoren überwacht. Solche Hydrofone werden zu verschiedenen Zwecken eingesetzt. Sie sollen etwa Erdbeben erkennen, werden aber gerade in den südlichen Meeren auch eingesetzt, um illegale Atomwaffentests zu registrieren. Zudem setzen auch viele Militärs solche Sensoren ein, um etwa U-Boote zu erkennen. Hier liegt aber auch direkt das Problem: Indien und Pakistan nutzen zwar solche Schiffe im Indischen Ozean, äußern sich aber nicht dazu, ob diese mit Hydrofonen ausgestattet sind.
Die USA wiederum besaßen im Kalten Krieg ein ganzes Netzwerk, um die Weltmeere zu beobachten, doch wollen ebenfalls nicht verraten, ob das im Indischen Ozean 2014 noch aktiv war und vielleicht etwas aufgeschnappt hat. Zivile Hydrofone sind hingegen selten in diesem Erdteil und oft Tausende Kilometer entfernt.
Zwei dieser Geräte unterschiedlicher Organisationen schnappten tatsächlich Schallwellen in der Unglücksnacht auf, die zu demselben Ereignis gehören müssen. Es gibt dabei aber zwei Probleme: Erstens fanden sie um 9:30 Uhr malaysischer Zeit statt. Zu diesem Zeitpunkt war das Flugzeug wahrscheinlich schon längst abgestürzt, weil der Handshake um 9:15 Uhr ausblieb. Zweitens ergibt die Ortung der Signale einen schmalen Streifen zwischen der Arabischen Halbinsel und dem siebten Bogen, erreicht diesen aber nicht. Wissenschaftler schätzen die Wahrscheinlichkeit, dass der Schall von MH370 stammt, auf gerade einmal 10 %.
Generell ist es unwahrscheinlich, das Flugzeug auf diese Weise zu orten: Die beim Aufprall auf das Wasser entstehenden Schallwellen würden sich schnell mit denen von Wellen und anderen Wasserbewegungen nahe der Oberfläche vermischen. Am klarsten hören Hydrofone in einer Tiefe von 600 m bis 1200 m. Hier könnten etwa implodierende Teile des Flugzeuges registrierbare Töne verursachen. Diese müssten aber groß genug sein, um von den teils Tausende Kilometer entfernten Hydrofonen aufgeschnappt zu werden. Ein Blick in die historischen Daten zeigt, dass Hydrofone bei anderen Abstürzen an bekannten Stellen in einem Ozean meist gar nichts registrierten.
4. WSPR
WSPR ist die Abkürzung für das Protokoll „Weak Signal Propagation Reporter“, welches der Physik-Nobelpreisträger Joseph Hooton Taylor Jr. entwickelte. WSPR dient dazu, niederfrequente Funkdaten über die Welt zu senden, da diese von der Atmosphäre reflektiert werden und so eine hohe Ausbreitung erreichen können. Taylor entwickelte WSPR, um diese Funkübertragungen zwischen verschiedenen Stationen auf der Welt zu messen und ihre Ausbreitung besser analysieren zu können. Deswegen gibt es für WSPR auch eine historische Datenbank mit allen Messungen, die über das Protokoll erfolgten.
Treffen solche langen Funkübertragungen auf Hindernisse, streut das die Funksignale. Am stärksten sind solche Streuungen, wenn das Funksignal auf die Ionosphäre in der Atmosphäre trifft und von dort reflektiert wird, aber in der Theorie führt jedes Objekt, das die Funkwellen kreuzt, zu Streuungen – auch Flugzeuge. Anhand der rund 10.000 historischen WSPR-Daten für Funkübertragungen über den Indischen Ozean in der Unglücksnacht hat der ehemalige britische Flugzeugingenieur Richard Godfrey im Februar eine neue Theorie aufgestellt. Er will in den WSPR-Anomalien diejenigen gefunden haben, die von MH370 ausgelöst wurden. Damit kommt er auf einen Absturzort, der am Rande der bisherigen Suchzonen liegt.
Die Wahrscheinlichkeit, MH370 mit dieser Technik zu finden, tendiert gegen Null. Tatsächlich streuen zwar auch Flugzeuge die mit WSPR analysierten Funksignale, aber so schwach, dass es fast nicht nennenswert ist. Zudem sind die Streuungen durch Kollisionen mit der Atmosphäre um ein Vielfaches größer, sodass sich hinterher nicht mehr sagen lässt, welche Anomalie wodurch verursacht wurde. Andere Wissenschaftler, die die Hypothese mit anderen Flugzeugen überprüften, zeigten, dass die davon ausgelösten Anomalien ununterscheidbar von denen sind, die auch bei Übertragungen ohne Flugzeug-Streuungen entstehen. „Es ist verrückt, zu glauben, historische WSPR-Daten könnten dazu benutzt werden, irgendein Flugzeug zu verfolgen“, sagt denn auch Erfinder Taylor selbst. Und noch schärfer: „Ich verschwende meine Zeit nicht mit Pseudo-Wissenschaftlern, die keine Ahnung haben, was sie da tun.“
5. Vincent Lynes Lösung
Die neueste Theorie, die für Aufsehen sorgt, stammt dieser Tage vom australischen Meeresforscher Vincent Lyne, der das Rätsel in einem Linkedin-Post dieser Tage für gelöst erklärte. Er hat ein Forschungspapier dazu geschrieben, welches nach seinen eigenen Angaben jetzt vom Fachmagazin „Journal of Navigation“ angenommen wurde.
Darin bekräftigt Lyne die Theorie, dass ein Pilot das Flugzeug nicht so lange über das Meer steuerte, bis der Sprit ausging, sondern es zuvor gezielt im Meer an einer Stelle versenkte, wo es rund 6000 m tief ist. Er nennt es den „fast perfekten Plan“. Dass das Flugzeug aktiv versenkt wurde, entnimmt er der Analyse des kanadischen Buchautoren Larry Vance, der Fotos von Trümmerteilen analysierte und dabei herausfand, dass die „Flaps“ an den gefundenen Flügelteilen so konfiguriert gewesen seien, wie es für eine kontrollierte Landung auf dem Wasser notwendig sei.
Den Absturzort entnimmt er zwei Flugrouten, die auf dem privaten Flugsimulator des Flugkapitäns zu Hause gefunden wurden, aber dann eigentlich weiter zu Flughäfen in Australien beziehungsweise einer Insel im Indischen Ozean führten. Beide würden an der von Lyne propagierten Absturzstelle genau den Längengrad seiner Heimatinsel Penang in Malaysia treffen.
Lynes Analyse hat allerdings mehrere Probleme: Ermittler, darunter das FBI, hatten die auf dem Heim-Simulator gefundenen Flugrouten längst als unwichtig ausgeschlossen. Das mag ein Fehler gewesen sein, doch Lyne beruft sich auch auf die Foto-Analysen von Vance. Denen wiederum widersprechen zahlreiche Flugzeugexperten, die die Trümmerteile vor Ort auf der französischen Insel La Réunion und später im französischen Toulouse in Augenschein nahmen. Anders als auf den Fotos angedeutet, seien die Flaps nicht ausgefahren gewesen und eine kontrollierte Landung damit ausgeschlossen.
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