Der wahre Engpass im Elektromotor ist kein Wirkungsgrad
Seltene Erden, Kupfer, Halbleiter: Eine RWTH-Studie zeigt, welche Materialien Elektromotoren verwundbar machen und warum Europa unter Druck steht.
Kupfer, Elektroblech, Chips: Elektromotoren geraten materialseitig unter Druck. Eine Analyse erklärt die Risiken und Optionen für Europa.
Foto: Smarterpix/meteor
| Das Wichtigste in Kürze |
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Elektromotoren werden effizienter, aber materialintensiver in der Summe. Besonders seltene Erden und Halbleiter bergen hohe strategische Risiken. Kupfer, Elektroblech und Aluminium bleiben unverzichtbar, erfordern jedoch bessere Recycling- und Produktionsstrategien. Europas Abhängigkeit von asiatischen Lieferketten ist hoch. Der Aufbau robuster Alternativen braucht Zeit – oft zehn bis 15 Jahre.
Inhaltsverzeichnis
- RWTH Aachen nimmt Abhängigkeiten unter die Lupe
- Warum Materialfragen plötzlich strategisch sind
- Seltene Erden: kein Mangel, aber ein Nadelöhr
- Kupfer: unverzichtbar trotz Alternativen
- Elektroblech: viel Masse, wenig Aufmerksamkeit
- Aluminium: verfügbar, aber begrenzt austauschbar
- Halbleiter: der stille Engpass
- Reduzieren oder ersetzen – mehr Optionen gibt es nicht
RWTH Aachen nimmt Abhängigkeiten unter die Lupe
Der Elektromotor gilt vielen als ausentwickelte Technik. Sein Grundprinzip ist seit Jahrzehnten bekannt, seine Wirkungsgrade sind hoch, seine Zuverlässigkeit bewährt. Doch dieser Eindruck täuscht. Mit der Elektrifizierung von Mobilität, Industrie und Energieversorgung rückt der Elektromotor erneut ins Zentrum – nicht wegen seiner Physik, sondern wegen seiner Materialien. Seltene Erden, Kupfer, Elektroblech, Aluminium und Halbleiter entscheiden zunehmend darüber, wie widerstandsfähig, bezahlbar und politisch unabhängig elektrische Antriebe künftig sind.
Eine aktuelle Studie des Lehrstuhls Production Engineering of E-Mobility Components (PEM) der RWTH Aachen University analysiert genau diese Abhängigkeiten. Das Whitepaper „Schlüsselmaterialien im E-Motor: Kritische Ressourcen im Spannungsfeld technologischer Entwicklung und globaler Abhängigkeiten“ untersucht systematisch, welche Werkstoffe wirklich kritisch sind, wo Alternativen realistisch erscheinen und wo Europa strukturelle Risiken eingeht. Die Ergebnisse zeichnen ein nüchternes Bild. Effizienzgewinne allein reichen nicht mehr aus.
Warum Materialfragen plötzlich strategisch sind
Die Studie stellt eine einfache, aber unbequeme Rechnung auf. Zwar sinkt der Materialeinsatz pro Kilowatt Leistung seit Jahren. Elektromotoren werden kompakter, leichter und effizienter. Gleichzeitig steigt ihre Stückzahl deutlich schneller. Elektromobilität, Wärmepumpen, Windkraft und Industrieantriebe wachsen parallel. Der absolute Bedarf an Rohstoffen nimmt daher weiter zu.
PEM-Leiter Professor Achim Kampker klärt auf: „Die Betrachtung der Kritikalität wird immer wichtiger, da sich die steigende Nachfrage trotz enormer Effizienzgewinne im Materialeinsatz nicht vollständig kompensieren lässt und diese Entwicklung in ein Umfeld geopolitischer Spannungen und protektionistischer Tendenzen fällt.“
Die Forschenden unterscheiden dabei zwei Ebenen. Erstens die Vulnerabilität. Sie beschreibt, wie empfindlich eine Wertschöpfungskette auf Störungen reagiert. Zweitens die Versorgungsrisiken. Diese ergeben sich aus der geologischen Verfügbarkeit, der geografischen Konzentration von Förderung und Verarbeitung sowie politischen Eingriffen. Ein Material gilt erst dann als kritisch, wenn beide Faktoren zusammenkommen.
Materialien und ihre Rolle im Elektromotor
| Material | Hauptfunktion im Elektromotor | Typische Anwendungen |
| Seltene Erden (z. B. Neodym, Dysprosium) | Erzeugung starker Magnetfelder | Permanentmagnet-Synchronmaschinen, E-Fahrzeuge |
| Kupfer | Stromleitung und Wärmeabfuhr | Statorwicklungen, Leiter, Kontakte |
| Elektroblech | Führung des magnetischen Flusses | Stator- und Rotorpakete |
| Aluminium | Struktur und Masseoptimierung | Gehäuse, Rotorkäfige, Asynchronmaschinen |
| Halbleiter | Steuerung und Umwandlung elektrischer Energie | Leistungselektronik, Wechselrichter |
Seltene Erden: kein Mangel, aber ein Nadelöhr
Am kritischsten bewertet die Studie die seltenen Erden. Gemeint sind vor allem Neodym und Dysprosium, die in Permanentmagnet-Synchronmaschinen eingesetzt werden. Diese Motoren dominieren heute viele Anwendungen, weil sie hohe Leistungsdichten und gute Wirkungsgrade ermöglichen. Besonders in Elektrofahrzeugen sind sie Stand der Technik.
Das Problem liegt nicht in fehlenden Lagerstätten. Weltweit existieren ausreichende Vorkommen. Die Engstelle entsteht an anderer Stelle. Förderung, Trennung und Raffination sind stark konzentriert. China kontrolliert große Teile dieser Wertschöpfungskette, insbesondere die chemisch anspruchsvolle Aufbereitung. Genau dort entsteht die strategische Abhängigkeit.
Alternative Lieferketten aufzubauen ist möglich, aber langsam. Die Studie geht von zehn bis 15 Jahren aus, bis eine relevante Diversifizierung erreicht werden kann. Kampker warnt daher vor unrealistischen Erwartungen: „Das erfordert massive öffentliche und private Investitionen, langfristiges politisches Engagement und eine realistische Zeitplanung.“
Recycling kann kurzfristig nur begrenzt helfen. Die Autorinnen und Autoren halten mittelfristig eine Deckung von etwa 10 bis 15 % des Bedarfs für realistisch. Lange Produktlebenszeiten, geringe Rücklaufquoten und komplexe Demontageprozesse setzen enge Grenzen. Neue Ansätze, etwa biotechnologische Extraktionsverfahren, gelten als vielversprechend, befinden sich aber noch im Entwicklungsstadium.
Kupfer: unverzichtbar trotz Alternativen
Kupfer ist das Rückgrat des Elektromotors. Wicklungen, Leiterbahnen, Kontakte und Kühlstrukturen basieren auf seiner hohen elektrischen und thermischen Leitfähigkeit. Weltweit sind Kupfervorkommen vorhanden. Kritisch wird der Rohstoff dennoch, weil viele Branchen gleichzeitig zugreifen. Energienetze, Bauwirtschaft, Elektromobilität und erneuerbare Energien konkurrieren um dieselben Mengen.
Technisch existieren Alternativen. Aluminium wird häufig genannt. Es ist leichter und günstiger, leitet Strom jedoch deutlich schlechter. Um gleiche Leistungen zu erzielen, müssten größere Querschnitte eingesetzt werden. Das senkt die Leistungsdichte und verschiebt den Kostenvorteil. Deshalb bleiben Kupferwicklungen in hochwertigen Antrieben bislang Standard.
Die Studie sieht den größten Hebel im Recycling. Europa verfügt über große Kupfermengen im Bestand. Langfristig könnten diese einen erheblichen Teil des Bedarfs decken. Voraussetzung ist allerdings eine saubere Trennung. Ohne konsequentes „Design for Recycling“ droht Downcycling. Dann bleibt das Material zwar im Kreislauf, steht aber nicht mehr für hochwertige Anwendungen zur Verfügung.
Elektroblech: viel Masse, wenig Aufmerksamkeit
Elektroblech macht den größten Gewichtsanteil im Elektromotor aus. Stator und Rotor bestehen aus gestapelten Blechen, die magnetische Verluste minimieren sollen. Auf den ersten Blick wirkt die Versorgungslage entspannt. Die Rohstoffe sind verfügbar, Produktionskapazitäten existieren weltweit.
Die PEM-Analyse zeigt jedoch eine strukturelle Schwäche. Rund 70 % des europäischen Bedarfs an hochwertigem Elektroblech werden aus Asien importiert. Substitutionsmöglichkeiten gibt es praktisch nicht. Besonders kritisch ist der Siliziumanteil, der die magnetischen Eigenschaften bestimmt. Die Raffination von Siliziummetall ist energieintensiv und stark in China konzentriert.
Hinzu kommt der Klimafaktor. Aufgrund des hohen Massenanteils prägt Elektroblech die CO₂-Bilanz eines Motors erheblich. Die Studie zeigt, dass eine Produktion in Deutschland das Treibhauspotenzial je nach Motortyp um mehr als 12 % senken kann. Regionale Wertschöpfung wirkt hier doppelt. Sie reduziert Emissionen und verringert Abhängigkeiten.
Aluminium: verfügbar, aber begrenzt austauschbar
Aluminium übernimmt im Elektromotor vor allem strukturelle Aufgaben. Gehäuse, Rotoren oder Käfige in Asynchronmaschinen bestehen häufig aus dem Leichtmetall. Die globale Versorgung gilt als stabil, auch wenn China eine dominante Rolle in der Primärproduktion spielt. Europa setzt zunehmend auf Sekundäraluminium. Dieses benötigt nur rund 5 % der Energie von Primärmaterial.
Als Ersatz für Kupfer ist Aluminium technisch interessant, aber nur eingeschränkt geeignet. In Rotorkäfigen ist es etabliert. In Statorwicklungen bleibt es die Ausnahme. Oxidschichten, geringere Leitfähigkeit und Effizienzverluste begrenzen den Einsatz. Die Studie kommt zu einem klaren Schluss. Aluminium kann Kupfer in bestimmten Anwendungen ersetzen, aber nicht flächendeckend. Wirtschaftlichkeit und akzeptierte Effizienzeinbußen entscheiden im Einzelfall.
Halbleiter: der stille Engpass
Ohne Halbleiter funktioniert kein moderner Elektromotor. Leistungselektronik steuert Spannung, Strom und Drehmoment. Genau hier sieht die Studie ein besonders hohes strategisches Risiko. Die Chipproduktion ist stark auf Taiwan, Südkorea und China konzentriert. Europa erreicht nur etwa 10 % der weltweiten Fertigungskapazität.
Die Pandemie hat gezeigt, wie verwundbar dieses System ist. Der Ausfall einzelner Bauteile führte zu Produktionsstopps in der Automobilindustrie. Kampker zieht daraus ein klares Fazit:
„In Summe ist die hohe Abhängigkeit von asiatischen Lieferketten ein besonderes Erfolgsrisiko bei der Elektrifizierung der Mobilität in Europa.“
Politische Initiativen wie der European Chips Act sollen gegensteuern. Doch der Rückstand ist groß. Die Studie spricht von einem technologischen Abstand von rund zehn Jahren. Selbst mit hohen Investitionen bleibt offen, ob Europa in allen Segmenten aufschließen kann oder sich auf ausgewählte Anwendungen konzentrieren muss.
Elektromotoren: Kritische Materialien auf einen Blick
Hoch kritisch
Seltene Erden (Neodym, Dysprosium): Schlüssel für Permanentmagnete, starke Abhängigkeit von China, Recycling nur begrenzt möglich.
Halbleiter: Unverzichtbar für Leistungselektronik, Fertigung stark in Ostasien konzentriert, Aufbau europäischer Kapazitäten dauert Jahre.
Mittel kritisch
Kupfer: Physikalisch kaum ersetzbar, hohe Konkurrenz durch andere Branchen, großes Potenzial durch hochwertiges Recycling.
Elektroblech: Größter Massenanteil im Motor, hoher Importanteil aus Asien, kaum Substitutionsmöglichkeiten.
Gering bis mittel kritisch
Aluminium: Gut verfügbar, energieeffizient im Recycling, als Kupferersatz nur in bestimmten Anwendungen geeignet.
Kernaussage der Studie
Effizientere Motoren senken den Materialeinsatz pro Einheit, nicht aber den Gesamtbedarf. Der Aufbau robuster Lieferketten benötigt zehn bis 15 Jahre.
Reduzieren oder ersetzen – mehr Optionen gibt es nicht
Aus der Analyse leiten die Forschenden zwei grundlegende Strategien ab. Erstens: kritische Materialien ersetzen, wo es technisch möglich ist. Zweitens: den Materialeinsatz senken, wo Ersatz nicht realistisch erscheint. In der Praxis dominiert derzeit die zweite Strategie. Effizientere Designs, höhere Leistungsdichten und verbesserte Kühlkonzepte reduzieren den Bedarf pro Motor.
Gesetzliche Vorgaben, Kosten und physikalische Eigenschaften setzen der Substitution enge Grenzen. Die Studie macht deutlich, dass es keine einfache Lösung gibt. Materialfragen betreffen Technik, Wirtschaft, Umwelt und Geopolitik zugleich. Elektromotoren bleiben Schlüsselkomponenten der Energiewende. Ihre Materialien werden damit zwangsläufig zu einer strategischen Frage.
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