Küstenschutz im Wellenkanal: Düne trifft Sturmflut
Versuche im Großen Wellenströmungskanal zeigen: Pflanzenwurzeln können Dünen stabilisieren und Küstenschutz nachhaltig verbessern.

Dünen aus Sankt Peter-Ording waren das Vorbild für die Versuche im Großen Wellenströmungskanal.
Foto: PantherMedia / emer (YAYMicro)
Wie viel Schutz bieten bewachsene Dünen wirklich? Diese Frage steht im Zentrum eines Großversuchs im Großen Wellenströmungskanal (GWK+) in Hannover. Dort haben Forschende der Technischen Universität Braunschweig ein realistisches Sturmflutszenario nachgestellt – inklusive einer eigens dafür aufgebauten Düne mit und ohne Pflanzennachbildungen.
Düne aus Sankt Peter-Ording nachgebaut
Die Düne im Maßstab 1:1 basiert auf einem typischen Profil aus Sankt Peter-Ording. Mit einer Höhe von 5,60 Metern und einer Länge von 70 Metern besteht sie aus rund 450 Tonnen Sand. Der Bau dauerte knapp vier Wochen. Eine Baufirma brachte das Material mithilfe eines Radladers in den Kanal. Damit entstand ein realistisches Testumfeld für extreme Sturmfluten an der deutschen Nordseeküste.
In sechs Durchläufen à fünf Stunden simulierten die Forschenden Sturmfluten mit Wellenhöhen von bis zu zwei Metern. Dabei setzten sie nicht nur auf reine Sanddünen. Erstmals kamen auch sogenannte Wurzelersatzsysteme zum Einsatz – etwa Kokosmatten, die das Verhalten von Pflanzenwurzeln imitieren. Ziel war es, deren Effekt auf die Stabilität der Düne unter Extrembedingungen zu untersuchen.
Prof. Nils Goseberg, Direktor des Forschungszentrums Küste, erläutert:
„Der zunehmende Druck auf unsere Küsten macht es notwendig, Systeme wie Küstendünen oder Salzwiesen-Vorländer vor Deichen noch besser zu verstehen, ebenso wie die Wirkung der Natur vor und in unseren technischen Systemen, um diese zu optimieren und die Wirkgrenzen zu bestimmen.“
Großer Wellenströmungskanal (GWK+)
Standort: Hannover-Marienwerder
Betreiber: Forschungszentrum Küste (FZK), eine Kooperation der Leibniz Universität Hannover und der Technischen Universität Braunschweig
Inbetriebnahme: 1983
Erweiterung: 2023
Abmessungen: 300 m lang, 5 m breit, 7 m tief
Wellenhöhe: bis zu 3 Meter
Besonderheiten: Weltweit größte Wellenmaschine; ermöglicht gleichzeitige Erzeugung von Wellen und Strömungen; enthält einen Tiefteil zur Untersuchung von Gründungsstrukturen
Forschungsschwerpunkte: Küstenschutz, Offshore-Windenergie, Interaktion von Wellen und Strömungen, Auswirkungen des Klimawandels auf maritime Infrastrukturen
Investitionsvolumen: über 35 Millionen Euro
Förderung: Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK)
Pflanzen als natürliche Küstenschützer
In der Natur spielt Vegetation eine entscheidende Rolle beim Küstenschutz. Pflanzen wie Strandhafer bilden tiefe Wurzelsysteme, die den Sand stabilisieren. Selbst nach Sturmfluten hält das Wurzelnetz Sedimente zusammen. Wird die Düne übersandet, wächst der Strandhafer durch die neuen Sandschichten hindurch und bildet mit der Zeit Terrassen.
Dr.-Ing. Oliver Lojek vom Leichtweiß-Institut für Wasserbau an der TU Braunschweig sagt dazu: „Wir wollen herausfinden, wie natürliche Strukturen wie die Wurzelhorizonte des Strandhafers, der normalerweise in Dünen wächst, zur Verbesserung des Küstenschutzes beitragen können.“
Die Tests im GWK+ zeigen: Die Kokosmatten verhalten sich ähnlich wie echte Wurzelnetze. Bei Wellenschlag klappen sie sich auf, halten Sand fest und vermindern so den Abtrag. Die Vegetation – oder ihre künstliche Nachbildung – kann also helfen, die Widerstandskraft der Dünen deutlich zu erhöhen.
3D-Analyse von Dünenveränderungen
Ein zentrales Anliegen des Projekts ist es, realistische Modelle zu schaffen. Frühere Laborexperimente fanden oft im verkleinerten Maßstab statt. Dabei wurden wichtige physikalische Effekte nicht ausreichend abgebildet. Der Vorteil des GWK+: Hier kann im Originalmaßstab getestet werden.
Mit Laserscannern erfasst das Team die Veränderungen im Dünenprofil in 3D. Diese Daten ermöglichen ein genaues Verständnis von Erosionsprozessen und liefern die Grundlage für verbesserte Küstenschutzkonzepte.
Projekt „Gute Küste Niedersachsen“ – Natur und Technik gemeinsam denken
Der Großversuch ist Teil des Forschungsprojekts Gute Küste Niedersachsen. Seit fünf Jahren arbeitet ein interdisziplinärer Verbund daran, ökosystemstärkende Maßnahmen im Küstenschutz zu entwickeln. Ziel ist ein Küstenraum, der nicht nur technisch gesichert, sondern auch im Einklang mit Natur und Gesellschaft gestaltet ist.
Was bedeutet das konkret? Eine „gute Küste“ schützt nicht nur vor Naturgefahren, sondern lässt Raum für Ökosysteme, Landwirtschaft und Tourismus. Der Fokus liegt auf einer nachhaltigen Nutzung, die auf natürlichen Prozessen basiert.
Das vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur geförderte Projekt wird mit rund fünf Millionen Euro unterstützt. Beteiligt sind die Technische Universität Braunschweig, die Leibniz Universität Hannover und die Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Insgesamt arbeiten 18 Promovierende daran, wissenschaftliche Grundlagen für einen naturnahen Küstenschutz zu schaffen.
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