Photokatalyse in der Stadt: Köln testet die filternde Fassade
Köln testet eine Textilfassade an der VHS: rund 30 % weniger NO₂, Kühlung fürs Gebäude, recyclingfähig – Messung bis Ende 2025.
Eine Kölner Textilfassade filtert seit Oktober 2024 NO₂ aus der Innenstadtluft. Erste Auswertungen zeigen rund 30 % weniger NO₂ hinter der Membran.
Foto: Schüco International KG | Fotograf: Ulirk Eichentopf
Wer an der Kölner Volkshochschule (VHS) in der Cäcilienstraße 35 vorbeikommt, sieht seit einigen Monaten mehr als nur Architektur. Vor der Nordfassade hängt eine bedruckte Textilmembran. Sie wirkt wie Kunst am Bau – und arbeitet leise gegen ein altes Stadtproblem: zu viel Stickstoffdioxid (NO₂) in enger Innenstadtlage. Die Stadt Köln, die Stiftung „Lebendige Stadt“ und Schüco testen hier gemeinsam, wie eine photokatalytische Textilfassade die Luftqualität verbessern kann. Das System ist seit Oktober 2024 in Betrieb. Die Messphase läuft noch bis zum 31. Dezember 2025.
Inhaltsverzeichnis
Wie die Fassade funktioniert
Das Funktionsprinzip ist schnell erzählt. Sonnenlicht trifft auf die Membran. An deren Oberfläche setzen aufgedruckte Wirkstoffe eine chemische Reaktion in Gang. Sie binden Stickoxide aus der vorbeiströmenden Luft und wandeln sie in harmlose Mineralien um, die vom Regen abgewaschen werden.
Zwei Membranflächen mit je 8 × 20 m bilden den Filter. Sensorik misst vor und hinter der Membran, wie stark die NOx-Konzentration abnimmt. So entsteht ein Datensatz, der den Effekt in Echtzeit dokumentiert.
Erste Bilanz: rund 30 % weniger NO₂ – und es wird besser
Die Projektpartner melden eine mittlere Filterleistung von rund 30 % über die Monate. An einzelnen Tagen lag der Wert darüber. Seit Januar 2025 verbessern sich die Messwerte kontinuierlich.
Ein Muster zeigt sich deutlich: Je länger der Tag und je wärmer die Luft, desto stärker arbeitet die Photokatalyse. An der weniger lichtreichen Nordfassade ist das bemerkbar. Für eine Südausrichtung rechnen die Verantwortlichen – bei sonst gleichen Bedingungen – mit bis zu dreifach höherer Lichtintensität und entsprechend mehr Wirkung.
Warum das wichtig ist
Luftverschmutzung verursacht in der EU jedes Jahr viele vorzeitige Todesfälle. Die Europäische Umweltagentur nennt Luftverschmutzung die größte umweltbedingte Gesundheitsgefahr.
Parallel verschärft die EU bis 2030 die Grenzwerte: Der Jahresgrenzwert für NO₂ sinkt von 40 auf 20 µg/m³. Städte brauchen also Lösungen, die rasch umsetzbar sind – baulich, betrieblich und politisch. Eine Fassade, die mitläuft und filtert, passt in diese Logik.
Kühlung inklusive
Die Membran schirmt die Fassade vor direkter Sonnenstrahlung ab. Das senkt die Aufheizung des Gebäudeinneren. Klimageräte laufen weniger. Das spart Energie und reduziert CO₂-Emissionen.
Gleichzeitig geht weniger Hitze an den Straßenraum zurück. Das hilft an heißen Tagen. Gerade in dicht bebauten Vierteln zählt jeder Baustein, der die Hitzebelastung dämpft. (Basis: Projektunterlagen)
Aus alten Flaschen wird Stadtluft-Technik
Die Textilfassade besteht aus recycelten Materialien. Für die Gewebe wurden über 4.400 PET-Flaschen wiederverwertet. Die Unterkonstruktion nutzt Aluminium mit 75 % Recyclinganteil. Klebstoffe kamen nicht zum Einsatz. Das erleichtert die spätere Demontage und das Recycling der Bauteile. So verbindet das Projekt Luftreinigung mit Kreislaufwirtschaft.
Wer macht was?
- Schüco finanzierte Herstellung und Montage der Membran.
- Die Stiftung „Lebendige Stadt“ beauftragte die Messung und Auswertung beim Forschungszentrum Jülich.
- Die Stadt Köln stellt die Fassadenfläche bereit und übernimmt Gebühren.
Gemeinsam tragen die Partner das Risiko und teilen die Lernerfahrungen – genau so, wie ein Reallabor in der Stadt funktionieren soll.
Was sagt die Praxis?
Vor Ort zeigt sich: Die Lage passt. Die Cäcilienstraße ist vierspurig und stark befahren. Dadurch gibt es genügend „Angebot“ an NO₂, um die Filterleistung zu messen. Dass die Fassade auf der Nordseite hängt, macht die erreichten 30 % umso spannender.
Für eine Südfassade erwarten die Fachleute höhere Werte – schlicht, weil mehr Licht die Reaktion antreibt. Für belastbare Aussagen braucht es aber den Abschluss der Messperiode und die Gesamtauswertung Ende 2025.
Stimmen aus dem Projekt
Petra Rinnenburger, geschäftsführende technische Betriebsleiterin der Gebäudewirtschaft der Stadt Köln: „Mit der Zwischenbilanz dieses Umweltprojektes setzen wir ein deutliches Signal: Innovative Ansätze, klare Ziele und transparente Zusammenarbeit mit Partnern treiben Umwelt- und Klimaschutz messbar voran. Die bisherigen Ergebnisse bestärken uns darin, diesen Weg weiter fortzusetzen, um nachhaltige Veränderungen zu erzielen.“
Rando Aust, Bevollmächtigter des Vorstands Stiftung „Lebendige Stadt“: „Unser Forschungsprojekt ist mit einer Filterleistung von über 30 Prozent schon jetzt ein Erfolg, zumal die Werte an einer weniger lichtintensiven Nordfassade ermittelt wurden. Darüber freuen wir uns sehr! In Hamburg hatten wir 2020 einen ersten Prototypen, der allerdings an einer deutlich lichtintensiveren Westfassade installiert war und ebenfalls 30 Prozent Filterleistung aufwies.“
Henning Kühn, Technical Project Manager Shading & Energy Solutions Schüco International KG:
„Es ist sehr erfreulich, dass die Messwerte so positive Ergebnisse geliefert haben. Sie unterstreichen, dass Gebäudehüllen einen wichtigen Beitrag für lebenswerte und gesunde Städte leisten können. Mit dem gemeinsamen Forschungsprojekt entwickeln wir Innovationen weiter, die insbesondere den urbanen Gebäudebestand aufwerten und mit Klima- und Umweltzielen in Einklang bringen. Die gesammelten Erfahrungen aus diesem Projekt helfen dabei, die nächsten Schritte zu gehen. So können wir gemeinsam aus einer innovativen Idee eine praktische Lösung für klimagerechte Städte entwickeln.“
Dr. Jan Serode, Experte für nachhaltiges Bauen und wissenschaftlicher Projektleiter: „Die Messwerte an der Kölner Fassade liegen bereits deutlich über unseren Erwartungen. Das unterstreicht welches Potenzial in unseren Städten für zukunftsweisende Lösungen an der Schnittstelle von Klima- und Gesundheitsschutz steckt. Erst durch mutige Pilotvorhaben wie dieses sammeln wir die Erfahrungswerte, mit denen Innovationen entstehen und auch immer weiter optimiert werden. Umso wichtiger sind starke Unterstützer wie die Stiftung „Lebendige Stadt“, Schüco, die Stadt Köln und das Forschungszentrum Jülich, die mit ihrem Engagement Pionierlösungen wie diese in die Praxis umsetzen.“
Was noch offen ist
Die Datenlage wächst. Erst die Gesamtauswertung Anfang 2026 zeigt, wie stabil der Effekt über alle Jahreszeiten war. Wichtig wird auch die Übertragbarkeit: Wie verhalten sich Membranen an anderen Standorten, mit anderer Orientierung, in Straßenschluchten oder an breiteren Boulevards? Und was kostet Betrieb und Wartung in Serie? Diese Fragen entscheiden später darüber, ob aus dem Pilotprojekt eine Standardlösung für Innenstädte wird.
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