3D-Blick ins Herz der Milchstraße
Mithilfe von Daten des Weltraumteleskops Gaia haben Astronominnen und Astronomen die bisher präziseste dreidimensionale Karte der Sternentstehungsregionen in der Milchstraße angefertigt. Diese Kartierung verspricht neue Erkenntnisse über die verborgenen, staubigen Gebiete und die darin entstehenden heißen jungen Sterne.
Forschende haben mithilfe von Teleskopdaten eine 3D-Karte der Milchstraße erstellt.
Foto: SmarterPix/teddybearpicnic
Sternentstehungsgebiete im Weltall zu erforschen ist eine Herausforderung, da sie üblicherweise von dichten Gas- und Staubwolken umhüllt sind. Die Entfernungen zu diesen Wolken lassen sich nicht unmittelbar messen. Zwar kann Gaia die Wolken selbst nicht direkt wahrnehmen, doch das Weltraumteleskop ist in der Lage, die Positionen der Sterne sowie deren Extinktion zu bestimmen. Letztere gibt Aufschluss darüber, wie viel Sternenlicht durch den Staub blockiert wird. Anhand dieser Daten können Forscherinnen und Forscher 3D-Karten erstellen, die die Staubverteilung abbilden. Zusätzlich lässt sich mithilfe dieser Karten die Menge an ionisiertem Wasserstoffgas ermitteln – ein eindeutiges Indiz für aktive Sternentstehung.
Milchstraße beherbergt energiereiche, junge Sterne
Die neu erstellte 3D-Karte der Sternentstehungsgebiete in der Milchstraße fußt auf Gaia-Beobachtungen von 44 Millionen Durchschnittssternen sowie 87 Sternen des Typs O. Sie erstreckt sich über eine Entfernung von 4000 Lichtjahren von unserem Sonnensystem aus betrachtet. O-Sterne sind eine Rarität: Sie sind jung, massiv, extrem hell und heiß. Ihr Licht erstrahlt intensiv im ultravioletten Bereich. Die Strahlung dieser Sterne ist so energiereich, dass sie Elektronen aus Wasserstoffatomen herauslösen kann, wenn sie auf diese trifft. Dadurch wird das umgebende Wasserstoffgas „ionisiert“, es verwandelt sich in eine Mischung geladener Teilchen. Auf diese Weise können Astronominnen und Astronomen Regionen im Universum identifizieren, in denen aktuell Sterne entstehen.
Zahlreiche Teleskope haben diese Gebiete bereits ins Visier genommen, sodass Forschende eine gute Vorstellung davon haben, wie sie aus der irdischen Perspektive erscheinen. Doch bisher war unklar, wie sie in drei Dimensionen oder aus einer Außenansicht aussehen.
Ein Blick auf die Milchstraße aus der Vogelperspektive
Stellen Sie sich vor, Sie könnten die Milchstraße aus einer benachbarten Galaxie betrachten. Da kein Raumschiff in der Lage ist, unsere Galaxie zu verlassen, ist es uns unmöglich, ein echtes Foto aus dieser Perspektive aufzunehmen. Glücklicherweise liefert die Gaia-Mission die bisher genaueste mehrdimensionale Karte der Milchstraße und ermöglicht es Astronominnen und Astronomen so, deren Erscheinungsbild zu rekonstruieren.
Die Himmelskarten von Gaia – in allen drei Raumkoordinaten (3D) plus drei Geschwindigkeitskomponenten – haben die präzisen Bewegungen und Positionen von Millionen naher Sterne enthüllt. Damit hat das Teleskop den Blick auf die Umgebung der Sonne verändert und Forschenden eine umfassende Kartierung der Sterne und des interstellaren Materials in der Sonnenumgebung ermöglicht, wie es zuvor undenkbar war.
„Gaia liefert die erste präzise Darstellung, wie unser Teil der Milchstraße von oben betrachtet aussehen würde“, erläutert Lewis McCallum, Astronom an der University of St Andrews in Schottland und Hauptautor zweier wissenschaftlicher Publikationen, die das neue 3D-Modell vorstellen. „Noch nie gab es ein Modell der Verteilung des ionisierten Gases in unserer lokalen Milchstraße, das so gut mit den Beobachtungen anderer Teleskope übereinstimmt. Daher sind wir zuversichtlich, dass unsere Draufsicht und unsere Fly-Through-Videos eine gute Annäherung daran darstellen, wie diese Wolken dreidimensional in Erscheinung treten.“
Sternentstehungsregionen in der Milchstraße enthüllt
Lewis‘ neue Karte bietet 3D-Ansichten des Gum-Nebels, des Nordamerikanebels, des Kaliforniennebels und der Orion-Eridanus-Superblase. Sie ermöglicht es, um diese Gebiete herum zu fliegen, durch sie hindurchzutauchen und über sie hinwegzugleiten – allesamt Regionen, in denen Sterne geboren werden. Mithilfe der Karte können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mehr darüber erfahren, wie die gewaltigen O-Sterne das Gas in der Galaxie anregen und wie weit ihr Einfluss reicht. Lewis und sein Team haben bereits entdeckt, dass einige der Wolken in den Sternentstehungsgebieten offenbar aufgebrochen sind. Wahrscheinlich entweichen Ströme aus Gas und Staub in einen riesigen Hohlraum.
„Diese Karte veranschaulicht, wie die Strahlung massereicher Sterne das umgebende interstellare Medium ionisiert und wie Staub und Gas mit dieser Strahlung interagieren. Das 3D-Modell gewährt einen detaillierten Einblick in die Prozesse, die unsere lokale galaktische Umgebung prägen, und hilft Astronominnen und Astronomen, die Wechselwirkungen zwischen den warmen und kalten Komponenten des lokalen Universums zu verstehen“, erklärte Sasha Zeegers, ESA-Forschungsstipendiatin und Expertin für interstellaren Staub.
Künftig soll diese Karte einen noch größeren Bereich der Milchstraße abdecken. „Es erforderte enorme Rechenleistung, um die Karte bis zu einer Entfernung von ,nur‘ 4000 Lichtjahren von der Sonne in hoher Auflösung zu erstellen“, sagt Lewis. „Wir hoffen, dass die Karte weiter ausgedehnt werden kann, sobald Gaia seine neuen Daten veröffentlicht hat.“ Johannes Sahlmann, ESA-Projektwissenschaftler für Gaia, ergänzt: „Die Entfernungsmessungen von Gaia zu den nahen heißen Sternen und die 3D-Karten des Staubs sind entscheidende Bausteine für diese neue Karte. Die vierte Datenveröffentlichung von Gaia wird qualitativ und quantitativ hochwertigere Daten enthalten. Damit können wir unser Wissen über Sternentstehungsregionen noch weiter vorantreiben.“
Ein Beitrag von: