Trotz Gas und Staub: Warum bildet die Milchstraße kaum Sterne?
Trotz idealer Bedingungen entstehen im Zentrum der Milchstraße kaum neue Sterne. Eine Studie sucht nach den Gründen.

Gas und Staub bieten normalerweise ideale Bedingungen zur Bildung von Sternen. Bei der Milchstraße ist das anders - doch wieso?
Foto: mauritius images / AFZAL KHAN / Alamy
Normalerweise gilt: Wo viel Gas und Staub vorhanden ist, entstehen neue Sterne. Vor allem massereiche Sterne bilden sich in dichten Regionen, in denen sich interstellares Material unter Gravitation verdichtet. Doch im zentralen Bereich unserer Milchstraße scheint diese Regel nicht aufzugehen. Ein Forschungsteam unter der Leitung von Dr. James De Buizer (SETI-Institut) und Dr. Wanggi Lim (Caltech/IPAC) hat mit Infrarotdaten des Flugzeugobservatoriums SOFIA nun die Sternentstehung in drei Regionen des galaktischen Zentrums untersucht – mit überraschenden Ergebnissen.
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SOFIA blickt durch den Staub
Die untersuchten Zonen – Sgr B1, Sgr B2 und Sgr C – liegen in der sogenannten Central Molecular Zone (CMZ), rund 100 Parsec vom galaktischen Zentrum entfernt. In dieser Zone herrschen extreme Bedingungen: hohe Temperaturen, starke Magnetfelder, hoher Druck und eine dichte Verteilung von Molekülwolken. Das klingt nach perfekten Voraussetzungen für die Sternbildung. Doch genau hier tritt sie nur schleppend auf.
Dank Infrarotbeobachtungen bei 25 und 37 Mikrometern durch das SOFIA-Teleskop FORCAST konnten die Forschenden auch tief in staubverhüllte Gebiete blicken. Ergänzt wurden die Daten durch Beobachtungen der Raumteleskope Spitzer, Herschel und des Very Large Array (VLA). Die Analysen zeigen: In allen drei Regionen bilden sich derzeit deutlich weniger massereiche Sterne als in vergleichbaren Gebieten weiter außerhalb der Galaxis.
Einzelergebnisse: Drei Regionen, drei Geschichten
Insgesamt wurden 77 sogenannte MYSOs (massive young stellar objects) identifiziert. Doch deren Verteilung und Umfeld variieren stark:
- Sgr B2 zeigt sich als aktivste Region. Sie enthält noch dichte Reserven aus Gas und Staub. Allerdings sind viele junge Sterne durch hohe Extinktion – also Lichtabsorption durch Staub – selbst im mittleren Infrarot kaum sichtbar.
- Sgr B1 wirkt zwar leuchtstark, enthält aber kaum kalte Molekülwolken – ein Hinweis darauf, dass dort in der Vergangenheit Sternentstehung stattfand, aber derzeit kaum neues Material zur Verfügung steht.
- Sgr C liefert besonders wenige Hinweise auf aktuelle Sternbildung. Die wenigen jungen Sterne konzentrieren sich auf eine sogenannte „infrared dark cloud“ (IRDC), ein besonders kaltes, lichtabsorbierendes Gebilde.
Besonders auffällig: In Sgr B1 und Sgr C scheint die intensive ionisierende Strahlung nicht von neu entstandenen Sternen zu stammen. Stattdessen vermuten die Forschenden sogenannte Interloper – ältere, zugewanderte Sterne wie Wolf-Rayet- oder O-Typ-Sterne, die ursprünglich aus anderen Teilen der Galaxie stammen könnten.

Eine detaillierte Infrarotaufnahme der Region um das Zentrum unserer Milchstraße. Diese Infrarotbilder sind empfindlich für die sich dort derzeit bildenden massereichen Sterne sowie für die Emissionen aus kühlen Regionen aus Staub und Gas, die das supermassereiche Schwarze Loch im Zentrum unserer Galaxie (markiert durch das rote Sternsymbol) umkreisen.
Foto: J. De Buizer (SETI) / SOFIA / Spitzer / Herschel.
Warum bleibt das Zentrum so „still“?
Die Beobachtungen widersprechen dem klassischen Modell der Sternentstehung in sogenannten H-II-Regionen. Das sind große Nebel aus ionisiertem Wasserstoff, in denen sich normalerweise zahlreiche junge, heiße Sterne befinden. Gigantische H-II-Regionen (GH II) wie Sgr B1 oder Sgr C wurden lange als Musterbeispiele solcher Sternbrutstätten betrachtet. Doch die aktuellen Daten lassen daran zweifeln, ob diese Zonen überhaupt noch der klassischen Definition entsprechen – oder ob sie nicht vielmehr einer neuen, bisher unbekannten Unterklasse angehören.
Die Frage, warum sich im galaktischen Zentrum trotz hoher Gasdichte weniger Sterne bilden, beschäftigt Astrophysiker*innen seit Jahren. Die neue Studie nennt mehrere mögliche Ursachen:
- Starke Turbulenzen: Gas wird ständig in Bewegung gehalten, was das Zusammenfallen von Molekülwolken behindert.
- Magnetfelder: Diese stabilisieren die Wolken und wirken einem Kollaps entgegen.
- Galaktische Dynamik: Umlaufbewegungen um das zentrale Schwarze Loch, Scherkräfte und Strömungen stören die Ausbildung dichter Kerne, aus denen Sterne entstehen könnten.
Kurz: Das Gleichgewicht zwischen Druck, Gravitation und Bewegung ist im Zentrum der Milchstraße ein anderes als in ruhigeren Gebieten.
Nur eine Sternengeneration?
Ein weiteres Ergebnis der Untersuchung: Einige dieser Regionen könnten tatsächlich nur eine Generation von Sternen hervorgebracht haben. Denn es fehlt ihnen offenbar an Nachschubmaterial für neue Sternzyklen. Das steht im Kontrast zu Sternentstehungsgebieten in äußeren Bereichen der Galaxie, wo über viele Millionen Jahre hinweg immer wieder neue Sterne entstehen.
„Die massereichsten Sterne, die wir in diesen Regionen des galaktischen Zentrums finden, sind zwar immer noch bemerkenswert groß, aber sowohl in ihrer Größe als auch in ihrer Anzahl geringer als die Sterne, die in ähnlichen Regionen anderswo in unserer Galaxie gefunden wurden“, erklärt Dr. Wanggi Lim.
Sgr B2 – ein Sonderfall?
Ein Lichtblick bleibt: Sgr B2 könnte entgegen dem allgemeinen Trend eine zukünftige Sternentstehung ermöglichen. Die Region enthält weiterhin große Mengen an dichtem Material. Sollte sich dieses in geeigneter Weise verdichten, könnte dort ein neuer Sternhaufen entstehen.
„Die Daten zeigen, dass sich dort derzeit massereiche Sterne bilden, allerdings mit einer relativ geringen Rate“, betont Dr. De Buizer. Die Region könnte also ein Übergangsfall sein – zwischen aktiver Sternentstehung und ausklingender Entwicklung.
Fazit: Das Zentrum tickt anders
Die neue Studie liefert wichtige Hinweise darauf, dass Sternentstehung unter extremen Bedingungen anders abläuft als bislang angenommen. Die Ergebnisse stellen etablierte Annahmen über H-II-Regionen in Frage und werfen ein neues Licht auf die physikalischen Prozesse im galaktischen Zentrum.
Während die klassische Vorstellung von dichten Gaswolken, die kontinuierlich neue Sterne hervorbringen, in vielen Teilen der Milchstraße gilt, scheint im Zentrum unserer Galaxis ein anderer Mechanismus zu wirken. Die ungewöhnlich geringe Sternentstehungsrate trotz scheinbar optimaler Voraussetzungen bleibt ein ungelöstes Rätsel – und ein spannendes Forschungsfeld für künftige Missionen.
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