Astronomen trainieren KI 08.06.2025, 15:40 Uhr

Kosmische Kuriosität: Schwarzes Loch dreht am Limit

Ein KI-System zeigt: Das Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße rotiert fast mit Maximalgeschwindigkeit – direkt auf uns gerichtet.

Schwarzes Loch

Neuronales Netzwerk analysiert Millionen Modelle – und enthüllt Überraschendes über unser zentrales Schwarzes Loch. Links sind die Beobachtungen, rechts die Modelle zu sehen.

Foto: EHT Collaboration/Janssen et al.

Ein neuronales Netzwerk analysiert Millionen von Simulationen und liefert neue Erkenntnisse über das Schwarze Loch Sagittarius A*. Es rotiert schneller als je zuvor angenommen – und zeigt mit seiner Achse direkt auf die Erde.

Der Kosmos trifft auf künstliche Intelligenz

Im Herzen unserer Milchstraße befindet sich Sagittarius A*, ein supermassives Schwarzes Loch. Seit Jahrzehnten fasziniert es Astronom*innen weltweit. Jetzt liefern Forschende mit Hilfe künstlicher Intelligenz neue Erkenntnisse über das Verhalten dieses kosmischen Giganten – und stellen etablierte Theorien infrage.

Ein internationales Team hat ein neuronales Netzwerk trainiert, das Millionen von synthetischen Simulationen auswertet. Ziel: die schwer greifbaren Informationen zu entschlüsseln, die das Event Horizon Telescope (EHT) in seinen Bildern verborgen hält. Die Ergebnisse sind spektakulär: Sagittarius A* rotiert offenbar mit nahezu maximaler Geschwindigkeit. Seine Achse ist direkt auf die Erde gerichtet.

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Datenflut trifft Durchsatzrechner

Der Schlüssel zu diesem wissenschaftlichen Durchbruch liegt in der Kombination aus Machine Learning und einer ungewöhnlich leistungsstarken Recheninfrastruktur: High-Throughput-Computing (HTC). Entwickelt wurde sie vor 40 Jahren vom US-Informatiker Miron Livny an der University of Wisconsin-Madison. HTC zerlegt große Rechenaufgaben in Millionen kleiner Einzelprozesse, die parallel über ein verteiltes Netzwerk von Computern bearbeitet werden.

Diese Technologie kommt heute am Center for High Throughput Computing (CHTC) zum Einsatz – einer Einrichtung des Morgridge Institute for Research und der University of Wisconsin-Madison. Die dort verfügbaren Rechenkapazitäten bilden das Rückgrat für das aktuelle EHT-Projekt.

Schwarzes Loch Sagittarius A*

Ort: Zentrum der Milchstraße (ca. 26.500 Lichtjahre entfernt)
Masse: etwa 4 Millionen Sonnenmassen
Entdeckt: Indirekt bereits in den 1970er-Jahren
Erstes Bild: 2022 durch das Event Horizon Telescope
Besonderheit: Laut neuen KI-Modellen rotiert es fast mit Maximalgeschwindigkeit

 

Von wenigen zu Millionen Simulationen

Frühere EHT-Studien arbeiteten nur mit einer begrenzten Zahl realistischer Modelle. Doch dank finanzieller Unterstützung durch die US National Science Foundation (NSF) und das PATh-Projekt („Partnership to Advance Throughput Computing“) war es nun möglich, Millionen synthetischer Datensätze zu generieren.

Diese Daten speisten die Forschenden in ein Bayessches neuronales Netzwerk ein – eine besondere Form der KI, die auch Unsicherheiten in der Modellierung berücksichtigen kann. Der Vorteil: Die Methode erlaubt eine wesentlich präzisere Abbildung der realen Verhältnisse rund um das Schwarze Loch.

„Dass wir die vorherrschende Theorie widerlegen, ist natürlich spannend“, sagt der leitende Forscher Michael Janssen von der Radboud-Universität in Nijmegen. „Ich sehe unseren Ansatz mit KI und maschinellem Lernen jedoch in erster Linie als ersten Schritt.“

Sagittarius A*: Schnell, heiß und überraschend ruhig

Die Analyse der neuen Modelle zeigt: Das Schwarze Loch rotiert mit fast maximal möglicher Geschwindigkeit. Das ist nicht nur ein physikalisches Extrem, sondern hat auch Auswirkungen auf die Umgebung. So wird die Strahlung offenbar nicht – wie häufig angenommen – durch einen Jet erzeugt, sondern durch extrem heiße Elektronen in der Akkretionsscheibe, die das Schwarze Loch umgibt.

Auch das Verhalten der Magnetfelder in dieser Scheibe unterscheidet sich deutlich von bisherigen Annahmen. Das stellt bestehende Theorien zur Dynamik solcher Strukturen infrage.

„Die Fähigkeit, die für das Training des Modells erforderlichen Millionen von synthetischen Datendateien zu skalieren, ist eine beeindruckende Leistung“, sagt Chi-kwan Chan, Associate Astronomer an der University of Arizona und PATh-Mitglied.

KI als Beschleuniger der Astrophysik

Die Bedeutung dieser Ergebnisse geht über Sagittarius A* hinaus. Sie zeigen, wie maschinelles Lernen künftig astrophysikalische Forschung revolutionieren kann. Denn die Methodik lässt sich auch auf andere Schwarze Löcher oder komplexe kosmische Phänomene übertragen.

Das Projekt illustriert zudem, wie leistungsfähige IT-Infrastruktur zur treibenden Kraft für wissenschaftliche Erkenntnisse werden kann.

„Wir freuen uns, dass EHT unsere Durchsatzrechenkapazitäten nutzt, um die Leistungsfähigkeit der KI für ihre Wissenschaft einzusetzen“, sagt Anthony Gitter, Professor am Morgridge Institute und Mitverantwortlicher für PATh.

Eine neue Ära der Forschung

In nur drei Jahren führten die Astronom*innen über 12 Millionen Rechenjobs im Rahmen des EHT-Projekts aus. Möglich macht das der Open Science Pool – ein von der NSF geförderter Verbund von mehr als 80 US-Institutionen, der über PATh koordiniert wird.

„Eine Arbeitslast, die aus Millionen von Simulationen besteht, passt perfekt zu unseren durchsatzorientierten Fähigkeiten“, erklärt Miron Livny, Direktor des CHTC.

Die Kombination aus Deep Learning und vernetzter Supercomputing-Infrastruktur könnte künftig auch die Suche nach Gravitationswellen, kosmischen Neutrinos oder dunkler Materie entscheidend voranbringen.

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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