Forscher lüften das Rätsel um die Fortbewegung von Mikroschwimmern
Spermien sind musikalisch und navigieren im Akkord. ‚Na und?‘, denken sich einige. Doch diese Erkenntnis ist entscheidend. Denn sie stößt die Tür für Innovationen in der Mikrorobotik weit auf.
Seit jeher hat sich der Mensch die Inspiration für technologische Entwicklungen von der Natur abgeschaut, ganz gleich, ob es dabei um den Klettverschluss, Flugzeugtragflächen oder die Rotorblätter von Hubschraubern ging. Wissenschaftler des Helmholtz-Forschungszentrums in Jülich und des Bonner Forschungszentrums „Caesar“ haben sich im Rahmen ihrer Forschungen allerdings eines ganz besonderen Vorbilds aus der Natur bedient und mit ihren Erkenntnissen wichtige Grundlagen für die Zukunft der Medizintechnik gelegt. In ihrer Veröffentlichung in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Nature Communications lüften die Forscher nämlich kein geringeres Geheimnis als die Navigation von Spermien.
Das Geheimnis der Mikroschwimmer
In der Forschung rätselt man schon lange darüber, wie sich sogenannte Mikroschwimmer fortbewegen, zu denen neben Kleinstlebewesen wie Bakterien eben auch Spermien gehören. Man weiß bereits seit Längerem, dass sowohl Spermien als auch viele andere Kleinstlebewesen ihren Schwanz wie eine Art Propellerantrieb nutzen. Zudem fungiert das sogenannte Flagellum ähnlich wie das Ruder eines Schiffes und ermöglicht den Spermien somit das Navigieren.
Der Vortrieb entsteht dabei mit Hilfe von rhythmischen Schlagbewegungen, durch die die Flüssigkeit im Bewegungsraum am Flagellum nach hinten gleitet. Der so erzeugte Vortrieb macht die Vorwärtsbewegung erst möglich. Soweit die Theorie, die sich bisweilen auch unter einem Mikroskop beobachten lässt. In der Praxis jedoch fehlte der Wissenschaft bis dato die Kenntnis darüber, wie genau es die Spermien bzw. Mikroschwimmer anstellen, den Kurs bei gleichzeitigem Vortrieb zu halten. Anders als bei einem Boot fehlt nämlich so etwas wie ein unabhängiges Ruder.
Wie genau bewegen sich Spermien?
Die Erkenntnisse der Bonner und Jülicher Forscher förderten nun durchaus Überraschendes zutage. Denn um den Kurs zu halten, muss das Flagellum asynchron schlagen. Wie die Ergebnisse der Forscher nahelegen, erfolgt die Erzeugung dieser Asynchronität nicht durch einen einzigen Wellenschlag, sondern durch gleich zwei Wellen, die sich kurz nacheinander entlang des Schwanzes ziehen. Während die erste Welle dabei mit einer konstanten Grundfrequenz schwingt, schlägt die zweite Welle mit der doppelten Frequenz. Überlagern sich die Frequenzen beider Wellen, wird eine Asynchronität zur einen oder anderen Seite erzeugt.
Zu welcher Seite das Flagellum schließlich ausschlägt, hängt von der zeitlichen Abfolge der Schläge bzw. Wellen ab. Diese folgen überraschenderweise aber ebenso wenig dem Zufall. Ganz im Gegenteil wird das Spermium durch das weibliche Sexualhormon Progesteron dazu stimuliert, die zweite Welle in einer bestimmten Frequenz zu steuern. Je nachdem wie das Schlagmuster ausfällt, überschneidet sich die zweite Welle mit der Grundfrequenz und bestimmt damit die Bewegungsrichtung. Musikalisch gesprochen könnte man sagen, dass die beiden Wellen jeweils Noten darstellen, die auf Anregung von chemischen Signalen einen Akkord bilden.
Wie können die Forschungsergebnisse genutzt werden?
Nun ist es durchaus interessant zu wissen, wie sich Spermien und andere Mikroschwimmer fortbewegen. Welchen Nutzen aber soll diese Erkenntnis für die moderne Technik haben? Nun, der Nutzen liegt in gleich zwei Dingen. Erstens in der Navigationsmechanik durch den propellerartigen Antrieb. Und zweitens in der Steuerung dieses „natürlichen“ Antriebs durch chemische Signale. Die Kombination dieser beiden Aspekte macht die Erkenntnisse der Forscher für Ingenieure interessant, die sich etwa mit der Konstruktion von synthetischen Mikrorobotern beschäftigen. Sie könnten künftig über chemische oder elektrische Signale in einer fluiden Umgebung völlig selbstständig den Weg zu ihrem Ziel finden.
Mögliche Einsatzbereiche sind beispielsweise die Weltraumforschung, militärische Spionage, die interne Wartung filigraner Maschinen, die Überwachung von Computernetzwerken sowie die moderne Medizin.
Was sind eigentlich synthetische Mikroroboter?
Anhand der modernen Medizin lässt sich gut erklären, was das Prinzip und die Funktionsweise von synthetischen Mikrorobotern sind. Im Grunde genommen handelt es sich bei diesen hoch komplexen Produkten um winzige Roboter, die so klein sind, dass sie sich wie U-Boote in den Blutbahnen des menschlichen Organismus fortbewegen können, um dort bestimmte Aufgaben zu erfüllen. Gerade für Anwendungen wie die lokale Beseitigung von Krebszellen tief im Körper, Operationen an kaum zu erreichenden Stellen oder die Entkalkung von Blutgefäßen sind solche Maschinen prädestiniert. Die Erkenntnisse der Bonner und Jülicher Forscher sind für die Konstruktion von synthetischen Mikrorobotern höchst interessant.
Schließlich eignet sich der propellerartige Antrieb der Mikroschwimmer als ideales Vorbild für Fortbewegungsmechanismen in filigranen und mit Flüssigkeit gefüllten Umgebungen. Hinzu kommt die Möglichkeit, die Mikroroboter nach dem Vorbild des weiblichen Sexualhormons auf andere Botenstoffe oder Signale zu konditionieren. Damit könnten die kleinen Wunderwerke den Weg zu bösartigen Tumorzellen alleine mit Hilfe dieser künstlichen Sinne finden.
Damit aber noch nicht genug, denn sofern die Mikroroboter mit Arzneimitteln ausgestattet sind, sind diese dazu in der Lage, Tumorzellen mit chirurgischer Präzision zu beseitigen. Das erledigen etwa diese Mikroschrauben, die durch externe Magnetfelder gesteuert werden.
Die Zukunft gehört den Mikrorobotern
Auch wenn der Mikro- und Nanorobotik eine große Zukunft bevorsteht, so sind derartige Anwendungen im menschlichen Organismus noch Zukunftsmusik. Das liegt vor allem daran, dass es mit aktuellen Fertigungsverfahren lediglich möglich ist, Prototypen mit der Größe eines Streichholzkopfes zu bauen. Aktuell setzen Wissenschaftler wie Bradley Nelson von der ETH Zürich deshalb alles daran, die Grenzen des Möglichen zu verschieben.
Nelson forscht derzeit tatsächlich an Mikrorobotern, die nach dem Prinzip des Spermiums navigieren und benötigte Medikamente durch das Auge bis zur Netzhaut transportieren sollen. Höchstwahrscheinlich werden die Erkenntnisse rund um die chemische Signalsteuerung in gar nicht allzu ferner Zukunft zu weiteren Durchbrüchen in der Wissenschaft führen. Bis Mikro- bzw. Nanoroboter aber dazu in der Lage sein werden, die in vielen Science-Fiction-Romanen erdachte molekulare Fertigung von Produkten aus einzelnen Atomen zu vollbringen, wird wohl noch viel Rheinwasser am Bonner Forschungsinstitut „Caesar“ vorüberfließen.
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