Porträt 05.01.2020, 09:38 Uhr

Florence Nightingale: Über die Datenvisualisierung zur Revolution der Krankenpflege

Wahrscheinlich ist Florence Nightingale eine der bekanntesten Krankenschwestern der Welt. Doch nur wenige wissen, dass sie die Pflege grundlegend verändert hat und dafür erstmalig die Datenvisualisierung anwandte, um statistische Erhebungen zu verbreiten.

Statue Florence Nightingale

Foto: panthermedia.net/lenschanger

Wir schreiben das Jahr 1820. Für Frauen war es eine schwierige Zeit. Ihr Glück hing im Wesentlichen davon ab, in was für eine Familie sie hineingeboren wurden und wen sie schließlich heirateten. Doch Florence Nightingale, Tochter einer wohlhabenden Familie in Südengland, entwickelte eine andere Vorstellung von Glück. Sie wollte etwas bewirken, ein angenehmes Leben als Gattin eines kultivierten Mannes reichte ihr nicht. Entsprechend groß waren die Widerstände, die ihr entgegenschlugen. Doch am Ende setzte sie neue Standards in der Krankenpflege, führte dafür die Datenvisualisierung ein und rettete unzähligen Menschen direkt und indirekt das Leben.

Wie entdeckte Florence Nightingale die Krankenpflege als ihre Berufung?

Griechisch, Latein, Deutsch, Französisch, Italienisch, Geschichte und Philosophie – so sah der Lehrplan von Florence Nightingale aus, die durch den Hausunterricht ihres Vaters auf das Leben einer wortgewandten Ehefrau vorbereitet werden sollte. Parallel begleitete sie jedoch schon als Kind ihre Mutter bei Krankenbesuchen in der Gegend und erhielt einen Eindruck von dem – deutlich ärmeren Leben – anderer Menschen. Erste Erfahrungen in der Krankenpflege sammelte sie als Teenager bei der Betreuung erkrankter Familienmitglieder.

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Denn 1837 wurde Südengland von einer schweren Grippe-Epidemie heimgesucht, von der Florence Nightingale verschont blieb. Womöglich standen diese Erlebnisse in einem Zusammenhang mit einer Art religiösem Erweckungserlebnis, das ihr etwa zur selben Zeit widerfuhr. Sie glaubte, Gott habe zu ihr gesprochen und sie in seinen Dienst gerufen. Was genau das bedeuten sollte, verstand die damals 17-Jährige jedoch nicht. Florence Nightingale lebte zunächst weiter auf hohem gesellschaftlichem Niveau, reiste mit ihrer Familie viel ins Ausland, besuchte Bälle – und war schließlich frustriert und geprägt von einem schlechten Gewissen.

Doch Anfang der 1840er-Jahre wurde England von Missernten und daraus resultierenden Hungersnöten heimgesucht. Florence Nightingale wurde zunehmend mit dem Elend und den Krankheiten der Bevölkerung in ihrer Umgebung konfrontiert. Krankenhäuser für eine flächendeckende Versorgung, wie wir sie heute kennen, gab es damals noch nicht. Florence Nightingale wollte die Situation nicht akzeptieren und begann damit, für die Menschen in ihrer Region Essen, Kleidung und eine medizinische Versorgung zu organisieren. Dieses soziale Engagement nahmen ihre Eltern hin – während parallel Männer um Florence Nightingale warben.

Wie fand Florence Nightingale ihren Weg in die praktische Krankenpflege?

Überliefert ist ein Besuch des US-amerikanischen Arztes Samuel Gridley Howe bei der Familie Nightingale. Er hatte in den USA die erste Blindenschule eröffnet, und Florence Nightingale bat ihn um ein Gespräch unter vier Augen. Von ihm wollte sie wissen, „ob es unpassend sei, wenn eine junge Engländerin sich Werken der Nächstenliebe in Hospitälern und anderswo widmet, wie es die katholischen Schwestern tun?“ Howe riet ihr, ihrer Berufung zu folgen, auch wenn das für englische Verhältnisse ungewöhnlich sei.

Trotzdem zögerte Florence Nightingale, den Weg der Krankenpflege auch praktisch einzuschlagen, mit der sie sich theoretisch schon länger beschäftigte. Der Grund dürfte nach wie vor ihre familiäre Situation gewesen sein. Sie rechnete mit großem Widerstand – und behielt recht: Im Alter von 25 Jahren eröffnete sie ihren Eltern, dass sie 3 Monate im Hospital von Salisbury in der Krankenpflege hospitieren wolle. Ihr langfristiger Plan sei es, im Nachbarort ein eigenes Krankenhaus zu gründen – die Familie reagierte entsetzt. Verwunderlich ist das allerdings nicht. Denn die Krankenpflege hatte damals keinen guten Ruf. Ausgeübt wurde sie in erster Linie von Menschen, die Schwierigkeiten hatten, in einem anderen Beruf Fuß zu fassen. Es fehlte vielen an Ausbildung, Moral, und man warf ihnen vor, zu viel zu trinken.

Florence Nightingale schaffte es zunächst nicht, sich den Wünschen ihrer Familie zu widersetzen, aber sie studierte viele Bücher über das Gesundheitswesen und Berichte aus Krankenhäusern. Sie begann mit ihrer persönlichen Statistik und sammelte Daten über das Sanitätswesen in England und in anderen Ländern, soweit sie an Informationen gelangen konnte.

Es sollte noch einige Jahre dauern, ehe sie ihre Zerrissenheit nicht mehr ertrug und gegen den erklärten Willen ihrer Eltern mit Anfang 30 nach Kaiserswerth bei Düsseldorf reiste. Der evangelische Theologe Theodor Fliedner hatte hier eine Diakonissenanstalt gegründet. Florence Nightingale blieb 3 Monate und ließ sich in dieser Zeit zur Krankenpflegerin ausbilden. Unter anderem lernte sie, Wunden zu versorgen, Medikamente herzustellen und bei Operationen zu assistieren. 1853 reiste sie nach Paris und sammelte dort Erfahrungen in verschiedenen Krankenhäusern. Anschließend bekam sie die Gelegenheit, als Oberin das Harley-Street-Hospital in London zu leiten. Die hysterische Reaktion ihrer Familie hielt sie nun nicht mehr auf.

In dem Londoner Krankenhaus erkannte sie schnell ein Problem, das auch heute noch die Krankenpflege beschäftigt: Die Mitarbeitenden waren zu stark in pflegefremde Aufgaben eingebunden, was wertvolle Zeit kostete. Also setzte Florence Nightingale unter anderem durch, dass Speiseaufzüge eingesetzt wurden sowie ein Läutewerk mit Nummerntafeln. Bald gab es auch Heißwasserleitungen in allen Stockwerken.

Wieso spielte Florence Nightingale eine wichtige Rolle im Krimkrieg?

Lange blieb Florence Nightingale nicht in London, denn im gleichen Jahr brach der Krimkrieg aus, in dem England unter anderem in einer Allianz mit Frankreich kämpfte, um Russland an einer Gebietserweiterung zu hindern. Das britische Kriegsministerium erkannt die unzureichende Pflegesituation für die verwundeten Soldaten an der Front und bat Florence Nightingale um Hilfe. Mit einer Gruppe aus 38 Schwestern reiste sie zu einem Lazarett in einen Vorort von Istanbul.

Dreck, Müll, Ungeziefer und Kadaver im Hof – das war die Situation, die Florence Nightingale vorfand. Die Verwundeten wurden auf dem Fußboden abgelegt, die hygienischen Zustände waren eine Katastrophe. Betten, Waschbecken, Handtücher und Seife gab es schlicht und einfach nicht. Außerdem fehlte es an Verbandszeug und Medikamenten. Gleichzeitig war es den Schwestern um Florence Nightingale unmöglich, tatkräftig anzupacken. Denn Frauen in einem Feldlazarett waren in der britischen Armee neu, und die Ärzte vor Ort befürchteten, die Krankenpflegerinnen könnten sich in ihre Kompetenzbereiche einmischen.

Florence Nightingale musste zunächst mit viel diplomatischen Geschick das Vertrauen der Ärzte gewinnen, ehe sie die Situation der Pflege verbessern konnte. Dann begann sie mit der Küche und der Ernährung, ließ im nächsten Schritt eine Wäscherei einrichten und sorgte für mehr Sauberkeit. An der schlechten sanitären Versorgung und den großen Massen an Verwundeten konnte sie jedoch nichts ändern. Erfrierungen, Cholera und Ruhr sorgten für eine Sterblichkeit von 42 Prozent.

Welche Ziele verfolgte sie mit der Statistik und der Datenvisualisierung?

Sie erkannte schnell: Der meisten Soldaten starben nicht an den Wunden, mit denen sie eingeliefert wurden, sondern an den Seuchen im Lazarett. Für Florence Nightingale waren diese Missstände offensichtlich, und sie sah auch, dass vieles durch eine bessere Versorgung und eine andere Organisation zu verhindern gewesen wäre. Sie begann mit ihrer persönlichen Statistik und erfasste die Daten. Heraus kam dabei ein Bericht, den sie an das Kriegsministerium schickte. Er umfasste 830 Seiten und stellte ein neues Konzept für das Sanitätswesen des Militärs auf. Wichtige Forderungen bestanden zum Beispiel darin, schon vorbeugend umfassende hygienische Maßnahmen durchzuführen und zusätzlich zentrale Militärkrankenhäuser einzurichten. Dort sollten Ärzte arbeiten, die mit einer besseren Ausbildung auf ihre Aufgabe vorbereitet worden waren. Außerdem sollten Inspektoren die Zustände in den Hospitälern kontrollieren.

Das Besondere an dem Bericht waren die umfangreichen statistischen Erhebungen. Florence Nightingale hatte sogar Fragebögen an die Soldaten verteilt und ließ Kriegsberichte der britischen Regierung in ihre statistischen Auswertungen einfließen. Für die Datenvisualisierung entwickelte sie das sogenannte „Polar-Area-Diagram“. In dieser Grafik zeichnete Florence Nightingale die verschiedenen Todesursachen der Soldaten während des Krimkrieges auf. Die Größe der jeweiligen Fläche entsprach dem Anteil. Durch die verschiedenen Farben konnten auch Laien die Problematik auf den ersten Blick erkennen. Denn die Todesfälle durch Infektionskrankheiten (in Blau) machten den größten Bereich aus, während die roten Anteile – Tod durch Verwundung – und andere Gründe (in Schwarz) erheblich kleiner ausfielen. Im Laufe ihres weiteren Lebens veröffentlicht Florence Nightingale übrigens über 200 Bücher und Berichte über soziale Missstände und schlechte Zustände im Bereich der Krankenpflege, für die sie die Datenvisualisierung erneut nutzte.

Welche Folgen hatten die Datenvisualisierungen von Florence Nightingale?

Florence Nightingale wird rückblickend häufig als die erste Pflegewissenschaftlerin bezeichnet. Da sie sich nicht auf ihre eigene Erfahrung verließ, sondern die Statistik nutzte, um ihre Argumente zu untermauern, fanden ihre Berichte viel Aufmerksamkeit. Dank der Datenvisualisierung waren die wichtigsten Punkte leichter zu erfassen.

Florence Nightingale gilt heute auch deswegen als großes Vorbild, weil sie nicht nur die Bedeutung der Pflege für die Genesung der Patienten erkannte, sondern sogar die Rolle der Pflegekräfte für die Beobachtung der Erkrankten betonte. Ihre Erkenntnisse führten dazu, dass sie selbst sich darauf konzentrierte, Reformen anzustoßen. Durch einen Spendenfonds konnten sie 1860 sogar die Nightingale Training School for Nurses eröffnen. Der theoretische Teil war umfassend. Die zwei Lehrgänge, unterschieden in Kurse für normale Pflegekräfte und Frauen aus höheren Gesellschaftsschichten, waren vier beziehungsweise drei Jahre lang, entsprachen also einer intensiven Ausbildung. Daraus resultierte ein besseres Ansehen der Pflegekräfte und ein zunehmendes Niveau in der Versorgung.

Die britischen Pflegekräfte sind bis heute mit mehr Kompetenzen ausgestattet als es beispielsweise bei den Pflegenden in Deutschland der Fall ist. Außerdem üben sie ihren Beruf mit einem größeren Selbstbewusstsein aus, auf Augenhöhe mit den Ärzten. Den Grundstein für das hohe Ansehen der Pflege in Großbritannien legte Florence Nightingale mit ihrer Statistik und der Datenvisualisierung.

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Ein Beitrag von:

  • Nicole Lücke

    Nicole Lücke macht Wissenschaftsjournalismus für Forschungszentren und Hochschulen, berichtet von medizinischen Fachkongressen und betreut Kundenmagazine für Energieversorger. Sie ist Gesellschafterin von Content Qualitäten. Ihre Themen: Energie, Technik, Nachhaltigkeit, Medizin/Medizintechnik.

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