Datengetriebenes Heilen: Blick auf die Diagnostik von morgen
Wir zeigen Medizintechnik-Innovationen und geben eine Vorstellung von dem, was bereits heute möglich ist. Bei der jüngsten Leistungsschau haben Industrie und Forschung gezeigt, welche Ideen sie für die Medizin, digitale Diagnostik und neuartige Therapien entwickeln.
Die medizinische Diagnostik verändert sich gerade enorm. Wir stellen einige Innovationen aus der Medizintechnik vor.
Foto: Smarterpix / Elnur_
Medizinische Diagnostik steht vor einem Bruch mit alten Routinen. Bosch hat ein Quantensensorsystem vorgestellt, das die Magnetfelder des Herzens misst – kontaktlos, präzise und ohne jede Vorbereitung. Parallel dazu treiben Forschende am KIT digitale Herz-Zwillinge, Bioprinting und automatisierte KI-Labors voran. Gemeinsam zeichnen diese Entwicklungen ein klares Bild: Die Medizin entfernt sich vom Standardverfahren und steuert in Richtung hochpersonalisiertes, berührungsloses und datengetriebenes Heilen.
Inhaltsverzeichnis
- Magnetfelder des Herzens messen – kontaktlose Herzdiagnostik durch Quantensensoren
- Digitaler Zwilling für das Herz – Computermodelle für personalisierte Medizin
- Biochips und Tumormarker – Präzisionsmedizin gegen Krebs
- 3D-Druck in der Medizin – von Gelenken bis zu Organen
- Automatisierung in den Gesundheitswissenschaften – KI-gestützte Forschung im Self-Driving Lab
- Strahlentherapie direkt im Körper – Plasmabeschleunigung für präzisere Krebsbehandlung
Magnetfelder des Herzens messen – kontaktlose Herzdiagnostik durch Quantensensoren
Ein Beispiel der Firma Bosch: Sie hat im Rahmen der diesjährigen Quantum-Messe im Oktober ein Gerät vorgestellt, das die Magnetfelder des Herzens misst. Denn unser Herz sendet natürliche Magnetfelder aus, die man mit hochempfindlichen Sensoren messen kann. Diese neue Form der Herzdiagnostik kommt ohne Strahlung und Kontrastmittel aus und ermöglicht besonders präzise Messungen.
Der Fachbegriff dafür ist Magnetokardiografie. Derzeit nimmt man das im EKG mit Elektroden auf. Im Gegensatz zum klassischen EKG, das die Spannung über Elektroden misst, kann das neue Handheld-Device ein vollkommen kontaktloses EKG erzeugen. Mithilfe des Sensors kann man in allen drei Raumrichtungen messen. Der Hausarzt legt das einfach auf die Brust des Patienten, um dann das magnetische Herzsignal aufzuzeichnen – sogar durch Kleidung hindurch. Eine technische Neuentwicklung von Bosch Quantum Sensing.
Digitaler Zwilling für das Herz – Computermodelle für personalisierte Medizin
Auch das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) bearbeitet unterschiedliche medizinische Themen:
Axel Loewe ist eigentlich Elektrotechniker und Gruppenleiter am Institut für Biomedizinische Technik. Er zeigt, wie Modellierung und Simulation zur Gesundheitsforschung und Kardiologie beitragen können. Der Professor nennt Magnetresonanztomografie als eine Möglichkeit, die Form des Herzens als 3D-Bild darzustellen.
Er ist der Ansicht, dass personalisierte Computermodelle ein wertvolles Instrument darstellen, um Therapieoptionen zu erproben. Digitale Zwillinge hält er für besonders geeignet, unterschiedliche Interventionen zu simulieren und zu bewerten. Etwa bei der Anwendung verschiedener Medikamente oder wie man gezielt im Herz veröden kann, um krankheitsauslösende Gebiete unschädlich zu machen.
Der digitale Zwilling könnte auch ein Vorhofflimmern auslösen – also prüfen, wie das virtuelle Herz auf Stress reagiert. „Wir können Kohorten an digitalen Zwillingen nutzen, um dann Studien im Computer durchführen zu können“, betont Loewe. Digitale Zwillinge mit Patientendaten zu verknüpfen ist eine weitere Möglichkeit. Digitale Zwillinge können auch Aussagen darüber treffen, wie groß der Mensch ist. Oder: Es gibt einen Unterschied zwischen Herzmuskelfunktionen von Frau und Mann. Loewe wünscht sich zudem spezifische Medikamente für Kinder, Säuglinge oder ältere Menschen.
Biochips und Tumormarker – Präzisionsmedizin gegen Krebs
Andrea Robitzki hat an der Uni Leipzig Biochips entwickelt, die präzise anzeigen, wo Tumormarker sitzen, um sie gezielt zu behandeln. Diese Marker sind Substanzen, die von Krebszellen oder vom Körper selbst als Reaktion auf Tumoren gebildet werden. Am KIT unterstützt die Professorin die Forschung dabei, zielgerichtete Wirkstoffe zu entwickeln, die an Tumoren oder Metastasen andocken und diese idealerweise zerstören. Außerdem läuft ein Projekt, das bösartige Tumore wie Brustkrebs oder Darmkrebs frühzeitig erkennen oder sogar verhindern soll.
3D-Druck in der Medizin – von Gelenken bis zu Organen
Ute Schepers leitet die Abteilung für chemische Biologie. Sie erläutert, wie 3D-Bioprinting die Herstellung individueller Implantate revolutioniert. Hüftgelenke können bereits patientenspezifisch gedruckt werden, ebenso Schädeldeckenfragmente oder ganze Schlagadern. Wo es im Moment noch keine ideale Technologie gibt: „Wenn man ein ganzes Herz drucken will und das Schicht für Schicht passiert, dann liegt das Herz während des Druckvorgangs unten auf und wird letztlich zu schwer“, berichtet sie. Die Probleme, die man zu lösen hat für ein solches Druckverfahren, sind: schneller drucken und die Durchblutung einkalkulieren.
Dennoch ist Schepers überzeugt: „Das Herz wird vermutlich das erste sein, das als ganzes Organ irgendwann gedruckt werden kann.“ Herzkranzgefäße lassen sich derzeit bereits in Gel drucken und durchbluten. Ohren sind möglich, Nasenknorpel. Oder Knochen, die jedoch viel durchblutetes Gewebe drumherum haben. Eine Babyherzklappe aus Biotinte ist auch dabei.
Warum ist das Drucken von Organen mehr als wichtig? „Weil wir in Deutschland sehr viele Transplantate brauchen und dennoch sind sie nicht verfügbar“, sagt sie. Das Ziel ist es, Organe aus patienteneigenem Material zu drucken. Ohne dass es zu Abstoßungsreaktionen kommt. Ein neues Stück Haut zum Beispiel: Zellen aus dem Patienten herausnehmen und sie drucken.
Automatisierung in den Gesundheitswissenschaften – KI-gestützte Forschung im Self-Driving Lab
Die HELMA (Helmholtz Acceleration Alliance) ist für das Self-Driving Lab zuständig: ein KI-unterstütztes Robotersystem, das Materialforschung, Wirkstofftests und Medikamentenentwicklung vollständig automatisiert. Auch ein Heureka Großrechner ist eingebunden. Der Roboter kann Stammzellen kultivieren, daraus Muskelzellen formen und anschließend ein 3D-Gewebe herstellen – komplett selbstständig. Alle Geräte liefern Daten in die Cloud, wo KI-Modelle kontinuierlich dazulernen.
Alle Instrumente lassen sich über eine große Distanz ansteuern. Weltweit ist dieses Labor nur dreimal vorhanden. Auch Solarzellen könnten hier hergestellt werden. „Wir wollen hier vor allem die Materialentwicklung beschleunigen“, unterstreicht Ute Schepers. Und das gilt nicht nur für den medizinischen Bereich, sondern generell: „40 % aller Materialien müssen in den nächsten 20 Jahren ausgetauscht werden. Dazu gehören beispielsweise PFAS“, betont die Professorin. Das sind per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen, die wasserabweisend sind.
Strahlentherapie direkt im Körper – Plasmabeschleunigung für präzisere Krebsbehandlung
Krebs ist weiterhin eine der schwierigsten Krankheiten. Zwei Drittel aller Patienten erhalten im Verlauf ihrer Behandlung Strahlentherapie. „Um die 30 kWh braucht es für eine Bestrahlung und es gibt Nebenwirkungen“, weiß Anke-Susanne Müller. Die Professorin leitet das Institut für Beschleunigerphysik und Technologie. „Unsere Vision ist es, den Teilchenbeschleuniger so klein zu machen, dass man damit direkt in den Körper hineinkommt“, macht sie klar.
Das bedeutet: direkt am Tumor die Teilchenstrahlen mit einem Miniteilchenbeschleuniger freizusetzen. Es ist schonender, weil man nicht durch gesundes Gewebe durchstrahlen muss. Strahlentherapie konnte bislang nur mit riesengroßen Anlagen, sogenannten Röntgen-Photonen-Bestrahlungsmaschinen, realisiert werden. Das neue Stichwort ist nun Plasmabeschleunigung – das ist das Phänomen, das Müller nutzt. „Die Strecke, in der wir beschleunigen, misst etwa 20 μm bis 50 μm – das ist ein Bruchteil eines Haars“, sagt sie. Die Eindringtiefe bewegt sich im Zentimeterbereich. „Wir können damit den Tumor gezielt erwischen“, betont sie.
Hinzu kommt: „Es ist ein kompaktes System, das günstig in der Anschaffung ist“, macht Müller deutlich. Und: Man verzichtet auf Betonbunker drumherum. „Am Ende stehen weniger Kollateralschäden mit einer präzisen und individuellen Krebsbehandlung“, ist sie überzeugt.
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