Nach überstandener SARS-CoV-2-Infektion 30.04.2020, 14:38 Uhr

Das steckt hinter Immunitätsausweisen

Politiker wollen per Gesetz die Immunität von Bürgern gegen SARS-CoV-2 erfassen und digital dokumentieren. Ihre Idee hat gleichermaßen medizinische und technische Hürden. Auch wissenschaftlich wirft sie Fragen auf.

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Nach einer überstandenen Coronavirus-Infektion die Immunität dokumentieren und Bürgern mehr Rechte geben – das stellen sich Gesundheitspolitiker vor.

Foto: panthermedia.net/kzibert

Bund und Länder lockern die Schutzmaßnahmen gegen SARS-CoV-2-Infektionen sukzessive. Viele Geschäfte des Einzelhandels öffnen wieder, und Kinder können teilweise in Schulen. Eine Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr beziehungsweise im Einzelhandel soll neben den bekannten Abstandsregeln das Erkrankungsrisiko verringern. Prof. Dr. Christian Drosten, Virologe an der Charité Berlin, warnte im NDR-Podcast, als Folge könne ein neuerlicher Lockdown drohen.

Deshalb bereitet die Bundesregierung eine alternative Strategie per Gesetzesentwurf vor. Sie will flächendeckende Tests anbieten. Wer mit SARS-CoV-Viren in Kontakt gekommen ist, entwickelt – unabhängig von der Schwere der Symptome – Antikörper. Dies soll erfasst und per Immunitätsausweis dokumentiert werden. Wer die Infektion überstanden hat, könnte Sonderrechte bekommen. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht.

Wie lassen sich Antikörper gegen SARS-CoV nachweisen?

Generell muss man zwischen der Akutdiagnostik und der immunologischen Diagnostik unterscheiden. Bei einer Infektion gelangen Coronaviren in unseren Körper und vermehren sich. Hier setzen medizinische Labors auf die Polymerase-Kettenreaktion (PCR): Ärzte nehmen einen Abstrich im Rachenbereich oder untersuchen Auswurf (Sputum). Beim Verfahren wird virales Erbgut im Labor vermehrt und dann nachgewiesen. Durch den Einsatz fluoreszierender Stoffe sieht man, ob virale Gensequenzen vorhanden sind.

Zwei Wochen nach überstandener Infektion sind keine Viren mehr im Organismus, und der PCR-Test bleibt negativ. Allerdings befinden sich jetzt Antikörper gegen SARS-CoV-2 im Blut. Um diese zu bestimmen, gelten sogenannte ELISA-Tests als Goldstandard. ELISA steht für Enzyme-linked Immunosorbent Assay: ein Verfahren, um Proteine nachweisen. Dazu gehören auch Corona-Antikörper. Die Eiweiße werden ihrerseits von künstlich hergestellten Antikörpern erfasst. Im nächsten Schritt führen Enzyme zu einer messbaren Farbreaktion.

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Was müssen Tests leisten?

ELISA-Tests werden gerade wissenschaftlich untersucht. Sie müssen empfindlich sein, ohne falsch-positive Ergebnisse zu liefern. Manche Erkältungskrankheiten werden auch durch Coronaviren hervorgerufen, und Antikörper entstehen.

„Gerade die falsch positiven Tests sind gefährlich“, warnt Ulrike Protzer. Die Virologin arbeitet am Helmholtz Zentrum München. „Das heißt, wenn der Test mir anzeigt, ich habe Antikörper und ich glaube, ich bin geschützt, ich kann jetzt wieder alles machen. Das stimmt aber gar nicht, weil das Antikörper sind, die ich schon vor fünf Jahren hatte gegen irgendein anderes ähnliches Coronavirus.“

Schützen Antikörper tatsächlich vor weiteren Infektionen? 

Antikörper und die damit verbundenen Immunitätsausweise haben noch einen weiteren Haken. Es gebe „aktuell keinen Beweis, dass Menschen, die sich von COVID-19 erholt haben und die Antikörper haben, vor einer zweiten Infektion geschützt sind“, schreibt die Weltgesundheitsorganisation WHO in einer Stellungnahme. Diese Maßnahme könne in Zusammenhang mit Sonderrechten „folglich die Risiken erhöhen, dass die Übertragung anhält“.

Zu ähnlichen Einschätzungen kommt die Bundesregierung. Voraussetzung für die Einführung solcher Bescheinigungen sei, dass wissenschaftliche Beweise dafür vorlägen, dass sich Menschen nach einer Corona-Erkrankung nicht wieder anstecken können, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Diese gebe es bislang nicht. Im geplanten Gesetz sieht er eine „vorsorgliche Regelung“.

Wie viele Tests werden benötigt?

Medizinisch-technische Hersteller stehen auch vor Herausforderungen. Wie viele Untersuchungen pro Monat erforderlich wären, lässt sich nicht sagen. Jede Person mit negativem Ergebnis müsste nach einiger Zeit erneut getestet werden – so oft, bis sich Antikörper im Blut zeigen.

Wie könnten Immunitätsausweise umgesetzt werden?

Das Ärzteblatt berichtet bereits von einem Projekt zur Umsetzung der Ausweise. Ein Konsortium aus der Bundesdruckerei, Lufthansa, Govdigital, Ubirch, Centogene, dem Labor Dr. Wisplinghoff, Healex und mDoc soll die Entwicklung vorantreiben. Im medizinisch-wissenschaftlichen Bereich sind das Gesundheitsamt und die Universitätsklinik der Stadt Köln mit an Bord. Die Boston Consulting Group und der Verein Digital Health Germany kommen als Berater noch hinzu.

Basis der Entwicklung ist die Blockchain-Technologie, denn viele Personen müssen mehrfach getestet werden, bis sie Antikörper im Blut haben. Bei jeder Untersuchung wird mit kryptographischen Verfahren dem Datensatz ein weiterer Block hinzugefügt. Alle Daten sollen pseudonymisiert in einer DSGVO-konformen Cloud abgelegt werden. Hier beruft sich die Bundesdruckerei auf Erfahrungen mit ihrem Forschungsprojekt „Lissi“. Das Akronym steht für Let’s initiate self-sovereign identity“. Ziel ist, dass Bürger ihre digitalen Identitäten selbst per Smartphone verwalten.

Nur ein Inhaber des Zertifikats kann den Immunitätsausweis abrufen und Dritten zur Verfügung stellen – etwa am Arbeitsplatz, vor Flugreisen oder vor Großveranstaltungen.

Welche Gefahren stecken in den Dokumenten? 

„Bei jeder Form von Immunitätsnachweisen handelt es sich um Gesundheitsdaten, die besonders zu schützen sind“, warnt der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber (SPD). „Auf keinen Fall dürfen solche Daten missbraucht werden oder zu Diskriminierung führen.“

Der Hacker Julian Finn sieht Bedrohungen auch von menschlicher Seite. Viele Menschen würden versuchen, sich sofort zu infizieren, um in den Besitz eines solchen Dokuments zu kommen, so Finn. Denn sie hätten den Lockdown satt; sie wollten wieder arbeiten und Geld verdienen.

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Ein Beitrag von:

  • Michael van den Heuvel

    Michael van den Heuvel hat Chemie studiert. Unter anderem arbeitet er für Medscape, DocCheck, für die Universität München und für pharmazeutische Fachmagazine. Seit 2017 ist er selbstständiger Journalist und Gesellschafter von Content Qualitäten. Seine Themen: Chemie/physikalische Chemie, Energie, Umwelt, KI, Medizin/Medizintechnik.

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