Vorbild Albatros 01.09.2023, 12:50 Uhr

Autonome Transportdrohne soll urbane Warenbeförderung revolutionieren

Die meisten Innenstädte ächzen unter der Verkehrsbelastung. Was liegt da näher, Teile des Güter- und Warentransports in die Luft zu verlagern. Sechs Fraunhofer-Institute haben sich zusammengetan, um genau dieses Problem anzugehen. Das Ergebnis, eine autonome Transportdrohne, präsentieren die Forschenden auf der IAA Mobility.

Albacopter

So soll es aussehen, wenn der Albacopter durch die Lüfte schwebt.

Foto: Fraunhofer IVI

Die Entwicklung der urbanen Luftmobilität bietet nicht nur neue Möglichkeiten für den Transport von Waren und Gütern, sondern eröffnet auch innovative Wege zu einer nachhaltigen urbanen Mobilität. Im Fraunhofer-Leitprojekt Albacopter widmen sich sechs Fraunhofer-Institute den damit verbundenen technischen und gesellschaftlichen Herausforderungen. Koordiniert vom Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI arbeiten die Forscherinnen und Forscher an der Entwicklung eines Fluggeräts, das in seiner Effizienz dem Albatros nachempfunden ist und besonders energiesparend gleiten kann.

Herausforderung Urban Air Mobility

Urban Air Mobility (UAM) stellt eine Erweiterung des traditionellen städtischen Verkehrssystems dar, indem eine neue Dimension erschlossen wird: der Luftraum. Während Taxis bisher ausschließlich auf der Straße unterwegs waren, erschließen Passagierdrohnen zukünftig sukzessive den Himmel als zusätzlichen Transportweg. Gerade in schnell wachsenden Städten mit überlasteter Verkehrsinfrastruktur bietet dies erhebliche Entlastungspotenziale. Metropolen wie Dubai, Singapur, Los Angeles und Dallas sind bereits Vorreiter bei der Umsetzung von UAM-Projekten und führen entsprechende Experimente durch.

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Neben dem Personenverkehr steht auch der autonome Luftfrachtverkehr im Fokus. Die Anforderungen an die Technologie im Bereich UAM sind jedoch hoch. Besonders gefragt sind sichere und leise VTOL-Systeme (Vertical Take-Off and Landing), die zwar senkrecht starten und landen können, aber auch über leistungsstarke Antriebe für den Schwebeflug verfügen müssen. Obwohl diese Fluggeräte den Vorteil haben, dass sie weniger Platz für Start und Landung benötigen als herkömmliche Flugzeuge, ist die Schaffung einer geeigneten Infrastruktur mit geeigneten Landeplätzen unerlässlich. Diese Infrastruktur muss erst noch entwickelt und umgesetzt werden.

Spagat zwischen Agilität und Gleitflugfähigkeiten notwendig

Die Entwicklung des idealen Fluggeräts für den urbanen Luftverkehr bringt einige Herausforderungen mit sich. Einerseits gibt es elektrisch angetriebene Multikopter, die dank ihrer VTOL-Systeme sehr wendig sind und alle Sicherheits- und Umweltkriterien erfüllen. Aufgrund ihrer geringen Effizienz und Nutzlast sind sie jedoch in Bezug auf Nutzlast und Reichweite stark eingeschränkt. Für den Warentransport sind sie daher eher ungeeignet.

Größere Tragflächen könnten die Energieeffizienz durch längere Gleitflugphasen potenziell erhöhen, stellen aber gleichzeitig ein Hindernis für Starts und Landungen in dicht bebauten Städten dar. Darüber hinaus wird die Wirtschaftlichkeit urbaner Luftmobilität entscheidend von der Implementierung autonomer VTOL-Systeme abhängen. Auf künstlicher Intelligenz basierende Steuerungssysteme stellen in diesem Zusammenhang eine spannende, aber auch sicherheitstechnisch riskante Technologie dar.

Es ist daher zu erwarten, dass sich UAM entlang verschiedener Entwicklungspfade etablieren wird. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig und reichen von Logistikdrohnen über Lufttaxis bis hin zu Rettungs- und Überwachungsdrohnen sowie landwirtschaftlichen Anwendungen. Dementsprechend werden auch die entsprechenden Luftfahrttechnologien ein breites Spektrum an Anforderungen und Ausprägungen abdecken müssen.

So geht das Fraunhofer-Institut die Herausforderungen an

Angesichts der oben genannten Herausforderungen im Bereich der urbanen Luftmobilität wurde im Jahr 2021 ein Leitprojekt des Fraunhofer-Instituts ins Leben gerufen. Ziel ist die Entwicklung einer Flugplattform, die die Agilität von Multikoptern mit der Energieeffizienz von Segelflugzeugen verbindet. „Mit dem Albacopter soll ein Experimentalfluggerät entwickelt werden, das die Manövrierfähigkeit des Multicopters mit der Fähigkeit des Albatros paart, über große Distanzen mit minimalem Energieaufwand segeln zu können“, erklärt Prof. Matthias Klingner, Projektleiter und Leiter des Fraunhofer IVI.

Zu den herausragenden Merkmalen des innovativen VTOL-Fluggeräts zählen laut Klingner die Drohnenstrukturen und Frachtcontainer aus nachhaltigen Materialien, leistungsfähige Koaxialantriebssysteme und fortschrittliche Multisensorsysteme zur Umfelderfassung und Funktionsüberwachung. Darüber hinaus wird die Bordelektronik nach Auskunft des Wissenschaftlers mit einem ausfallsicheren, KI-basierten Autopilotsystem ausgestattet. Um der Komplexität dieses zukunftsträchtigen Drohnenkonzepts gerecht zu werden, bündelt das Konsortium die Kompetenzen mehrerer Institute.

Innovativer Antrieb und Recyclebarkeit

Wie bereits geschrieben, ist der Albacopter ein Gemeinschaftsprojekt mehrerer Fraunhofer-Institute. Das Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF hat zum Beispiel entscheidend zur Struktur und zu den aerodynamischen Komponenten der Transportdrohne beigetragen. In die Struktur des Fluggeräts integrierte das Forschungsteam spezielle Pultrusionsprofile, die am Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie (ICT) entwickelt wurden. Diese stranggezogenen Profile aus faserverstärktem Thermoplast bilden eine sogenannte Spaceframe-Architektur, die leicht recycelbar ist. Gleiches gilt für die Transportcontainer, die aus Biopolymer-Hartschaum gefertigt sind.

Laut Prof. Frank Henning, dem Leiter des Fraunhofer ICT, unterscheidet sich das Antriebskonzept des Albacopters grundlegend von den heutigen, meist direkt angetriebenen eVTOL-Systemen. Es nutzt demnach leistungsdichte, hochdrehende Synchronmaschinen mit mehrstufiger Übersetzung. Für die praxisnahe Erprobung schwenkbarer eVTOL-Antriebe in Leistungsklassen bis zu 450 kW stellt das Fraunhofer ICT neben der innovativen Antriebstechnologie auch einen speziellen Antriebsprüfstand zur Verfügung.

Prof. Tobias Melz, Leiter des Fraunhofer LBF, gibt weitere Einblicke in das Batteriespeicherkonzept der Transportdrohne: „Das Batteriespeicherkonzept des Albacopters beruht auf zyklenfesten Sekundärzellen, die hochreversible Lade- und Entladeprozesse gewährleisten. Die Degradation der Zellen und mögliche Ausfallmechanismen bei Strömen, wie sie in Flugphasen mit besonderen Leistungsanforderungen auftreten, wurden von uns detailliert untersucht“.

Albacopter Digitaler Zwilling

Entwicklung und Validierung des Albacopters erfolgen mit einem digitalen Zwilling.

Foto: Fraunhofer IOSB

Künstliche Intelligenz und moderne Sensortechnik sorgen für Sicherheit

Der Sicherheitsaspekt spielt bei UAM eine große Rolle. Für Sicherheit sorgen zum Beispiel robuste und leistungsfähige Multisensorsysteme, die Hand in Hand mit den hochempfindlichen Einzelphotonen-LiDAR-Detektoren des Fraunhofer-Instituts für Mikroelektronische Schaltungen und Systeme (IMS) arbeiten. Diese Technologiekombination ermöglicht eine lückenlose Erfassung des umgebenden Raums.

„Die semantische 3D-Rekonstruktion der Umgebung erfolgt anschließend auf Basis von vertrauenswürdigen KI-Systemen. In Verbindung mit der intelligenten Trajektorienplanung lassen sich darüber innovative Funktionen realisieren, so z. B. die autonome (Not-)Landung, die zu den wichtigsten Sicherheitsfeatures des Albacopters zählt“, erklärt Henri Meeß, Gruppenleiter „Hochautomatisiertes Fliegen“ am Fraunhofer IVI.

Ergänzt wird das Gesamtsystem durch eine ausfallsichere RISC-V-Bordnetzarchitektur. Diese wird durch ein kontinuierliches Monitoring, eine stabile 5G-Kommunikation und ein redundantes Autopilotsystem unterstützt. So entsteht ein hochzuverlässiges Gesamtsystem, das speziell auf die Anforderungen der urbanen Luftmobilität zugeschnitten ist. Hervorzuheben ist die modellbasierte Fluglageregelung des Fraunhofer-Instituts für Entwurfstechnik Mechatronik (IEM). Diese Technologie gewährleistet ein stabiles Flugverhalten, insbesondere in den kritischen Übergangsphasen zwischen Schwebe- und Gleitflug.

Skalierte Drohnenversion mit sieben Metern Spannweite soll im Herbst abheben

Wie in einer Pressemitteilung verlautbart, dient der Albacopter als Demonstrationsplattform für Fraunhofer-Technologien, die in den stark wachsenden Bereichen Luftfahrt und Logistik in den nächsten fünf bis acht Jahren stark nachgefragt werden. Derzeit zeichnet sich ein Trend zu hybriden Copter-Glidern ab, die eine Mischform zwischen Hubschraubern oder Multicoptern und konventionellen Flächenflugzeugen darstellen. Sie kombinieren Schwenkflügel, ausfahrbare Tragflächen und Schwenkrotoren. Die Transportdrohne wird speziell für die Erprobung dieser vielseitigen VTOL-Technologien (Vertical Take-Off and Landing) eingesetzt.

Die Validierung des Konzepts erfolgt in mehreren Phasen. Dazu gehören Tests an geeigneten Flugmodellen, Windkanalexperimente, Iron-Bird-Prototypen sowie systematische XiL-Systemsimulationen, die vom Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB) am digitalen Zwilling durchgeführt werden. Ein maßstabsgetreues Drohnenmodell des Albacopters mit einer Spannweite von sieben Metern und einer Nutzlast von rund 25 Kilogramm ist laut Fraunhofer für Herbst 2023 geplant. Umfangreiche Flugtests des sind dann für Anfang 2024 geplant.

Erste Highlights präsentiert das Konsortium auf der IAA MOBILITY in Halle B1, Stand D11, vom 5. bis 8. September 2023 in München.

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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