Atomausstieg mit Hightech: So kommen 300 t Stahl aus dem Reaktor
300 t Stahl, Millimeterarbeit und Hightech: So kamen die vier Dampferzeuger aus dem stillgelegten Kernkraftwerk Unterweser.
Die Dampferzeuger aus dem Kernkraftwerk Unterweser zu bekommen, erforderte jede Menge Planung und Millimeterarbeit.
Foto: Mammoet
Das Kernkraftwerk Unterweser in Esenshamm war einst ein Kraftpaket der deutschen Energiegeschichte. Seit seiner Inbetriebnahme 1978 speiste es über 305 Mrd. kWh Strom ins Netz ein – ein Weltrekord für eine einzelne Anlage. Heute ist die Kulisse eine andere: Wo einst 1400 MW Leistung erzeugt wurden, rollen Kräne, Hydraulikzylinder und Schwerlastwagen. Seit dem Atomausstieg 2011 ist der Reaktor stillgelegt, der Rückbau läuft seit Jahren. Der vielleicht spektakulärste Schritt bisher: der Ausbau der vier 20 m hohen Dampferzeuger – jeder rund 300 Tonnen schwer.
Inhaltsverzeichnis
Der Dampferzeuger – Herzstück des Reaktors
Im Druckwasserreaktor übernehmen Dampferzeuger eine zentrale Rolle. Sie sind Wärmetauscher, die Energie vom radioaktiven Primärkreislauf auf den sauberen Sekundärkreislauf übertragen.
Durch hunderte U-förmige Heizrohre strömte 300 °C heißes Wasser unter Druck. Es erhitzte ein zweites Wassersystem, dessen Dampf dann die Turbinen antrieb. Damit saß in diesen zylindrischen Kolossen buchstäblich das Herz der Stromproduktion.
Mit rund 5 m Durchmesser und einer Wandstärke, die selbst erfahrene Schweißerinnen und Schweißer respektvoll nicken lässt, sind sie keine einfachen Brocken. Für den Rückbau bedeutete das: Präzision statt Kraft.
Planung auf engstem Raum
Viele Kernkraftwerke wurden gebaut, ohne den späteren Rückbau mitzudenken. Auch in Unterweser war klar: Der Weg nach draußen würde eng. „Die Schleuse war unser größter Engpass“, erinnert sich Projektleiter Attila Damon von PreussenElektra. Die Materialschleuse – eigentlich für Werkzeuge und kleinere Komponenten gedacht – musste komplett umgebaut werden.
Zunächst wurden einige massive Bauteile entfernt: ein 110-t-Flugzeugabweiser, mehrere Frontriegel und der Halbportalkran. Erst dann konnte die Schleuse verlegt und neu aufgebaut werden – mit einer integrierten Schwerlastbrücke, die Belastungstests mit 378 t mühelos bestand.
Wenn 300 t in Bewegung kommen
Für den eigentlichen Hub kam Spezialtechnik ins Spiel. Die Firma Mammoet, bekannt für Schwerlastprojekte weltweit, brachte ihr modulares DHS-500-System nach Unterweser. Dieses Hebesystem kann tonnenschwere Objekte in alle Richtungen bewegen – drehen, kippen, heben – und das auf engstem Raum.
Das System besteht aus einem oberen Traversenbalken, der an die Hallenkräne angeschlossen ist, und einem verstellbaren Ring, der den zylindrischen Körper der Dampferzeuger umfasst. Ein Hydraulikzylinder verschiebt den Schwerpunkt so, dass das 300-t-Bauteil stabil bleibt.
„Das ist die effizienteste Art, diese Arbeit auszuführen“, sagt Mammoet-Projektmanager Tom Schladitz. „Unsere Ausrüstung ist nicht nur dafür ausgelegt, komplexe Vorgänge wie diesen zu vereinfachen, sondern sie ist auch von den zuständigen deutschen Behörden zugelassen.“ Beim ersten Hub im Mai 2025 dauerte der Vorgang noch 18 h. Der letzte war nach 11 h abgeschlossen.

Damit die 300 t schweren Dampferzeuger nicht beschädigt werden, brauchte es fast absolute Windstille.
Foto: Mammoet
Sicherheit geht vor – auch bei Windstille
Der Transport aus dem Kontrollbereich war nur bei idealen Bedingungen erlaubt. Sobald der Wind über 10 m/s blies, ruhten die Arbeiten. Zu groß wäre das Risiko für Schwingungen und Pendelbewegungen.
Eine speziell entwickelte Außentraverse, ausgestattet mit vier Seilschlössern à 780 kg, nahm die Dampferzeuger auf. Mit Hydraulikdruck wurde die Last aus dem Gebäude geschoben, an die Traverse gekoppelt und langsam abgesenkt. Wieder 18 h konzentrierte Arbeit. Danach wurde der Kontrollbereich luftdicht verschlossen, um jede Freisetzung von Kontamination zu verhindern.
Hightech trifft Routine: das „Rip & Ship“-Prinzip
Im Nuklearbereich gilt: Je weniger Material vor Ort bearbeitet wird, desto sicherer ist der Rückbau. Deshalb entschied man sich für das sogenannte „Rip & Ship“-Verfahren. Das bedeutet: Komponenten bleiben intakt und werden als Ganzes abtransportiert.
Das spart Zeit, senkt die Strahlenbelastung und reduziert den baulichen Aufwand. Statt teurer Abschirmungen vor Ort übernimmt ein spezialisiertes Unternehmen die Arbeit außerhalb Deutschlands. Für Unterweser ist das Cyclife Sweden AB im schwedischen Studsvik, eine Tochterfirma der französischen EDF.
Dort werden die Dampferzeuger zerlegt und eingeschmolzen. Der Stahl lässt sich wiederverwerten, nur ein geringer Anteil wird als Reststoff entsorgt. Das Verfahren hat sich bereits beim Rückbau des KKW Stade bewährt.
Ein Netzwerk aus Spezialisten
Hinter dem Projekt steht eine internationale Kooperation: PreussenElektra als Betreiberin, Framatome als technischer Partner, Mammoet für die Schwerlastlogistik und Cyclife für den Abtransport und das Recycling.
„Unsere erfahrenen Partner Framatome und Mammoet haben diese Aufgabe gut gelöst“, lobt Projektleiter Damon. Auch Framatome war maßgeblich an der Planung beteiligt. Das Unternehmen installierte eine mitdrehende Mittelstütze auf einer Ringbahn, die das Kranportal stabilisierte – bis 352 t Tragfähigkeit, in Tests sogar bis 440 t.
Die Zusammenarbeit begann lange vor dem eigentlichen Ausbau. Mammoet war schon vier Jahre vor Projektbeginn beratend tätig und prüfte verschiedene Strategien. Erst nach Simulationen und Machbarkeitsanalysen fiel die Entscheidung für die Komplettentfernung.
„Prozessoptimierungen führen zu Kosteneinsparungen, da jeder Tag des Rückbaus Kosten verursacht“, erklärt Andreas Franzke, Senior Sales Manager bei Mammoet. „Eine Möglichkeit besteht darin, die Dampferzeuger als Ganzes zu entfernen.“
Vom Reaktorgebäude auf die Straße
Sobald die Bauteile außerhalb des Reaktorgebäudes waren, übernahm ein Skidding-System. Damit wurden die tonnenschweren Zylinder auf vorbereitete Schwerlastanhänger verschoben – 16-achsige Power-Steering-Trailer mit Transportsätteln zur Fixierung.
Ein Portalkran senkte die Komponenten etwa 25 m tief auf die Fahrzeuge ab. Die Anhänger brachten die Lasten zu einem Lagerbereich auf dem Kraftwerksgelände. Dort wurden sie bis zum Abtransport zwischengelagert. Der Transport nach Schweden erfolgte im Juli 2025.

Hier wird ein Dampferzeuger auf einen Schwerlastanhänger gehoben.
Foto: Mammoet
Rückbau mit langer Perspektive
Mit dem Ausbau der vier Dampferzeuger endet die Phase der Großdemontage in Unterweser. Nun folgt der Rückzug aus dem Kontrollbereich, anschließend die Dekontamination der Gebäude. Bis zur endgültigen Freigabe dürften noch rund sieben Jahre vergehen.
Parallel laufen bereits die Vorbereitungen im Kernkraftwerk Grafenrheinfeld – dort steht ein ähnlicher Ausbau bevor. Steffen Riesner, Leiter der Anlage Unterweser, zieht eine positive Bilanz:
„Von unseren Erfahrungen profitieren nun unsere Schwester-Anlagen. Mein Dank gilt dem Projektteam und allen Partnerfirmen.“
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