Waben wie ein Papierschirm 30.04.2015, 13:31 Uhr

Drähte mit Formgedächtnis steuern Jalousien durch Kraft der Sonne

Diese Jalousien bewegen sich wie von Geisterhand: Doch nicht Elektromotoren steuern die einzelnen Elemente, sondern Drähte mit Formgedächtnis. Diese verändern ihre Form, je mehr die Sonne strahlt.

Das Fassadenelement benötigt keine externe Stromversorgung. Es funktioniert auf Basis von integrierten Drähten mit Formgedächtnis.

Das Fassadenelement benötigt keine externe Stromversorgung. Es funktioniert auf Basis von integrierten Drähten mit Formgedächtnis.

Foto: Bára Finnsdóttir/Weißensee Kunsthochschule Berlin

Planer von Bürogebäuden lieben Glas und Stahl. Auch wenn die Fenster beschichtet sind, sodass sie einen Teil der Infrarotstrahlen der Sonne reflektieren, dringt so viel Wärmeenergie ins Haus, dass sich erträgliche Temperaturen nur selten ohne Klimaanlage und Außenjalousien erreichen lassen. Diese wiederum werden von Motoren bewegt und von Hand oder von Sensoren gesteuert.

Moleküle erinnern sich an ihre frühere Position

Jetzt sorgt die Sonne selbst dafür, dass sich Jalousien entfalten, sobald sie von den wärmenden Strahlen der Sonne getroffen werden. Ingenieure des Fraunhofer-Instituts für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) in Chemnitz haben gemeinsam mit Designern der Weißensee Kunsthochschule in Berlin Jalousien entwickelt, in denen Drähte mit Formgedächtnis die Steuerung der faltbaren Elemente aus Stoff übernehmen. Wenn sich die kleinen Waben bewegen, die an einen Papierschirm aus der Eisdiele erinnern, sieht das aus, als öffne und schließe sich eine Blüte oder ein Regenschirm.

In jedes Element ist ein dünner, 80 Millimeter langer Draht aus einer Nickel-Titan-Legierung eingearbeitet. Ein Team um André Bucht, Abteilungsleiter am IWU, hat die Drähte so konstruiert, dass sie sich beim Erwärmen zusammenzuziehen und sich wieder ausdehnen, wenn es abkühlt. Beim Prototypen aus Chemnitz ziehen sich die Drähte bei Wärme zusammen und öffnen dadurch geräuschlos die textilen Schirmchen, die dann für Schatten sorgen. Wenn die Sonne verschwindet, schließen sich die Elemente wieder und die Fassade ist wieder transparent.

Waben spannen sich auf wie ein Schirm

Der Effekt beruht auf einer besonderen Gitteranordnung im Werkstoff. „Verbiegt man den Draht, behält er die Form. Erwärmt man ihn, erinnert er sich an die ursprüngliche Gestalt, die er vor dem Verbiegen hatte, und nimmt sie wieder ein“, so Bucht. „Man kann sich das Fassadenelement als Membran vorstellen, die sich den tages- und jahreszeitlichen Witterungsbedingungen anpasst und für jeden Sonnenstand den optimalen Schatten bietet,“

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„Wir benötigen keinen Strom, sondern nutzen ausschließlich die Wärmeenergie der Sonne, um das Fassadenelement zu steuern“, sagt Bucht. „Man kann sich das Fassadenelement als Membran vorstellen, die sich den tages- und jahreszeitlichen Witterungsbedingungen anpasst und für jeden Sonnenstand den optimalen Schatten bietet.“

Versionen für Neu- und Altbauten in Planung

Die künstlerische Gestaltung übernahm Professor Christiane Sauer, die das Fachgebiet Textil- und Flächen-Design an der Weißensee Kunsthochschule in Berlin leitet. Der Entwurf des Prototypen mit den schirmartigen Elementen stammt von der Designstudentin Bára Finnsdóttir und besteht aus einer Matrix von 72 einzelnen Schirmchen.

Die neuartige Struktur lässt sich problemlos nachinstallieren und bietet vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten. Sowohl Muster, Geometrie als auch Farbe der einzelnen Bauteile lassen sich einstellen. „Beispielsweise könnten Dreiecke oder Waben die runden Formen ersetzen“, so Bucht. „Außerdem lassen sich Bereiche individuell verschatten – etwa nur die linke obere Fläche. Auch an gekrümmte Glasflächen passt sich die Membran an. Wir sind in der Lage, uns beim Design von der Gebäudeform zu lösen.“

Markteinführung für 2017 geplant

Der neuartige Sonnenschutz, der bisher nur als Prototyp existiert, wird vor der Fassade oder im Zwischenraum einer Mehrscheibenverglasung angebracht. Bucht glaubt, dass der neue Schattenspender einen großen Teil der Energie einspart, die fürs Klimatisieren draufgeht. Genaueres wissen die Forscher nach Tests an einem Einfamilienhaus und einem Gebäude des Chemnitzer Instituts. Bisher werden 40 Prozent der Gesamtenergie, die ein Bürohaus benötigt, fürs Heizen und Kühlen verbraucht.

Gemeinsam mit der Industrie entwickeln die Forscher jetzt Jalousien für Neubauten und eine Version zum Nachrüsten. Mitte 2017 sollen die Elemente serienmäßig hergestellt werden.

 

Ein Beitrag von:

  • Wolfgang Kempkens

    Wolfgang Kempkens studierte an der RWTH Aachen Elektrotechnik und schloss mit dem Diplom ab. Er arbeitete bei einer Tageszeitung und einem Magazin, ehe er sich als freier Journalist etablierte. Er beschäftigt sich vor allem mit Umwelt-, Energie- und Technikthemen.

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