Grüner Treibstoff aus dem Meer: So will Portugal die Schifffahrt verändern
Kann eine Ammoniakfabrik auf dem Meer wirtschaftlich sein? Ein Projekt vor der portugiesischen Küste will das jetzt herausfinden. Wir erklären, wieso es die Schifffahrt revolutionieren könnte.
Rendering der ersten FPSO aus dem Hause SwitcH2. An Bord soll sowohl grüner Wasserstoff erzeugt als auch Ammoniak synthetisiert werden.
Foto: SwitcH2
Eine schwimmende Plattform vor der Küste Portugals soll bald Ammoniak produzieren – direkt auf dem Meer und komplett aus erneuerbaren Energien. Bis zu 243.000 t soll die FPSO (Floating Production Storage and Offloading) des niederländischen Herstellers SwitcH2 so produzieren.
Damit wäre sie eine der größten Ammoniakfabriken weltweit: Die globale Produktion betrug 2024 etwa 180 Mio. t – rund 0,14 % davon könnte die FPSO alleine stellen. Dafür ist unter anderem ein PEM-Elektrolyseur mit 300 MW Leistung an Bord verbaut. Wenn die FID wie geplant 2026 getroffen wird, könnte 2029 die Produktion starten.
Die FPSO wäre die erste ihrer Art – aber angesichts des weltweiten Wasserstoff- und Ammoniaktrends wohl nicht die letzte. Wir schauen uns an, wie das Verfahren funktioniert und welches Potenzial es wirklich hat.
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Wie funktioniert Ammoniakproduktion auf dem Meer?
Das Verfahren folgt drei Hauptschritten:
- Zunächst wird abgepumptes Meerwasser aufbereitet und mithilfe des 300-MW-Elektrolyseurs in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Dabei soll nur Ökostrom zum Einsatz kommen – zunächst über ein PPA aus dem portugiesischen Stromnetz. Parallel wird Stickstoff direkt aus der Luft extrahiert.
- Die Leistung des Elektrolyseurs ist an sich schon ungewöhnlich. Zum Vergleich: Der größte Deutschlands arbeitet zur Zeit bei BASF in Ludwigshafen mit 54 MW.
- Dann werden Wasserstoff und Stickstoff mittels Haber-Bosch-Verfahren verbunden. Der Standardprozess der chemischen Industrie – 2024 wurden so rund 180 Mio. t gewonnen – wird dabei erstmals auf hoher See durchgeführt.
- Abschließend wird das Ammoniak an Bord gekühlt, verflüssigt und gelagert. Spezielle Shuttle-Tanker docken dann über flexible schwimmende Schlauchverbindungen an der FPSO an, um die Chemikalie aufzunehmen und zum nächsten Hafen zu transportieren.
Wer liefert die Technik?
Klar: In einer FPSO muss Hochleistungstechnik verbaut sein. Ein einzelnes Ausfallrisiko kann die gesamte Kette unterbrechen – daher setzt SwitcH2 auf Redundanzen und präventive Überwachung. Die Offshore-Umgebung bedeutet zudem extreme Anforderungen an Salzwasserbeständigkeit und Vibrationsstabilität.
Wie Anfang Oktober bekannt wurde, liefert die Schweizer ABB für die Portugal-Anlage das integrierte Leitsystem (ABB Ability System 800xA ICSS), vorgefertigte elektrische Infrastruktur (eHouse) und Cybersecurity-Architektur. Die PEM-Elektrolyse stammt vom US-Hersteller Ohmium (PEM-Technologie), die Einheiten zur Ammoniaksynthese liefert die deutsche Thyssenkrupp-Tochter Uhde. Das Engineering der FPSO übernimmt die norwegische BW Offshore, die auf Erfahrungen aus der Öl- und Gasbranche zurückgreifen kann.
„Damit grüner Ammoniak einen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten kann, müssen die Kosten konkurrenzfähig sein. Durch intelligente Automatisierung und Integration können wir das erreichen“, sagte Per Erik Holsten, Präsident von ABBs Energy Industries Division, in der Pressemitteilung zum Beitritt ins Projektkonsortium.
Wer braucht den Ammoniak?
Als Hauptabnehmer nennen die Unternehmen die maritime Schifffahrt. Denn: Diese verursacht etwa 2 % der weltweiten Treibhausgasemissionen. Grüner Ammoniak könnte eine Alternative zum fossilen Antrieb darstellen, indem es entweder direkt als Treibstoff in modifizierten Schiffsmotoren verbrannt oder zu Wasserstoff zurückgecrackt werden.
Die Schifffahrt gilt als „Hard-to-abate“-Sektor – also eine Industrie, deren Dekarbonisierung mangels Elektrifizierungsoption technisch schwer umsetzbar ist. Die Schifffahrt benötigt keinen Strom, sondern einen energiedichten Treibstoff, der transportierbar und lagerfähig ist. Ammoniak erfüllt diese Anforderungen.
Neben der Schifffahrt könnten schwimmende Ammoniakfabriken auch Industrieanlagen an Land mit grünem Ammoniak versorgen; etwa die Düngemittelproduktion oder Raffinerie-Prozesse.
Wieso eigentlich Offshore?
Es gibt einige Argumente, die für den Offshore-Betrieb sprechen.
- Die Energieversorgung. Perspektivisch will SwitcH2 seine Plattformen direkt mit Offshore-Windrädern koppeln, die Kapazitätsfaktoren von über 50 % erreichen. Sie arbeiten also mehr als die Hälfte des Jahres auf signifikanter Last, während Windkraftanlagen an Land nur 30 % bis 35 % erreichen. Die Offshore-FPSO kann diese Energie direkt nutzen. Zusätzlich planen die Niederländer ergänzende Wellenenergie-Anlagen (CorPower-Ocean-Technologie), die die Stromkosten pro Ammoniaktonne weiter senken.
- Die Genehmigungen. Offshore-Projekte lassen sich meist schneller realisieren als landbasierte Neubauten, da sie weniger Auflagen erfüllen müssen.
- Speicherung und Transport. Flüssiges Ammoniak lässt sich an Bord lagern und bei Bedarf schnell zum Hafen transportieren – dadurch entfällt die Notwendigkeit teurer Pipelines und weiterer Infrastruktur an Land. Dies reduziert Logistikkosten erheblich.
- Flexibilität. Eine FPSO kann theoretisch zu Standorten mit besserer Energieversorgung verlegt werden, wenn der Bedarf besteht.
- Klimaschutz: Nach Angaben der britischen Royal Society verursacht die globale Ammoniakproduktion etwa 500 Mio. t CO₂ pro Jahr – rund 1,8 % der Gesamtemissionen. Wenn die „grüne“ Ammoniakproduktion wie geplant funktioniert, wäre sie potenziell klimaneutral – ein erheblicher Hebel zur Dekarbonisierung.
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