Wasserstoffwirtschaft 05.07.2025, 09:12 Uhr

Blitzreaktor ersetzt Haber-Bosch? Neuer Weg zu grünem Ammoniak

Blitze aus dem Labor: Forschende erzeugen Ammoniak direkt aus Luft – ganz ohne fossile Brennstoffe oder CO₂-Ausstoß.

Blitz am Himmel

Wenn Blitze durch den Himmel zucken, entsteht eine Vorstufe von Ammoniak. Forschende nehmen sich die Natur zum Vorbild und wollen grünen Ammoniak direkt aus der Luft erzeugen.

Foto: Smarterpix / believeinme

Ammoniak gilt als Schlüsselsubstanz der modernen Landwirtschaft – doch seine Herstellung ist energieintensiv und stark von fossilen Rohstoffen abhängig. Zwei Forschungsteams haben nun unabhängig voneinander Verfahren entwickelt, um mithilfe künstlicher Blitze grünen Ammoniak direkt aus Luft zu gewinnen. Diese Methode könnte nicht nur den CO₂-Ausstoß senken, sondern auch die Wasserstoffwirtschaft voranbringen.

Ammoniak ist eine der bedeutendsten Industriechemikalien weltweit. Er steckt in Düngemitteln, Treibstoffen und dient als Wasserstoffträger. Rund 90 % des Ammoniaks entstehen heute im Haber-Bosch-Verfahren – einem Prozess, der hohe Temperaturen, viel Energie und meist Erdgas benötigt.

Vom Dünger zum Energieträger

Ohne Ammoniak wäre die moderne Landwirtschaft kaum denkbar. Die weltweite Ernährung hängt von synthetischem Dünger ab. Gleichzeitig gewinnt die Verbindung als Energieträger Bedeutung: Drei Wasserstoffatome pro Molekül machen Ammoniak zu einem potenziellen Speicher für grünen Wasserstoff.

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Doch das Haber-Bosch-Verfahren ist alles andere als nachhaltig. Es benötigt hohe Temperaturen von rund 500 °C, Drücke über 200 bar und große Mengen fossiler Brennstoffe. Rund 2 % des weltweiten Energiebedarfs entfallen auf diese Methode. Und der CO₂-Ausstoß ist gewaltig.

Blitze als Vorbild: Plasma statt Erdgas

Forschende an der Universität Sydney sowie ein Team der University at Buffalo (UB) verfolgen eine neue Idee: Sie orientieren sich an der Natur. Wenn Blitze durch die Atmosphäre zucken, zerreißen sie Stickstoffmoleküle. Diese bilden in der Folge Stickoxide – Vorstufen von Ammoniak. Genau diesen Effekt ahmen die Wissenschaftler*innen nun nach.

Der Schlüssel liegt im Plasma – einem Zustand, in dem sich Gase elektrisch aufladen. Es entsteht, wenn Luft unter Spannung gesetzt wird. In diesem ionisierten Zustand lassen sich chemische Reaktionen gezielt steuern.

Zwei Ansätze, ein Ziel

Plasma trifft Membran

An der University of Sydney hat das Team von Professor PJ Cullen ein zweistufiges Verfahren entwickelt. Zunächst erzeugen sie mithilfe von Elektrizität ein Plasma, das Stickstoff und Sauerstoff in der Luft aktiviert. Die angeregten Moleküle gelangen anschließend in einen sogenannten membranbasierten Elektrolyseur. Dort entstehen die gewünschten Ammoniakmoleküle (NH₃) – direkt in gasförmiger Form.

„In dieser Forschung haben wir erfolgreich eine Methode entwickelt, mit der Luft mithilfe von Strom in gasförmiges Ammoniak umgewandelt werden kann“, erklärt Cullen. Damit hebt sich die Methode von früheren Ansätzen ab, bei denen Ammoniak nur in flüssiger Form als Ammonium (NH₄⁺) erzeugt wurde. Die Umwandlung in Gas war dabei energieaufwendig.

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Kupfer, Palladium und ein smarter Algorithmus

Das Team um Chris Li an der University at Buffalo verfolgt einen ähnlichen Ansatz – mit einem entscheidenden Unterschied. Hier kommt ein speziell entwickelter Katalysator aus Kupfer und Palladium zum Einsatz. Er wurde mit Hilfe eines graphentheoretischen Algorithmus so optimiert, dass er gezielt die richtigen Zwischenprodukte bindet und in Ammoniak umwandelt.

„Wenn Plasmaenergie oder ein Blitzschlag Stickstoff aktiviert, entsteht eine Suppe von Stickoxidverbindungen“, sagt Xiaoli Ge, Erstautorin der Studie. „Mit Hilfe der Graphentheorie können wir die Reaktionswege nachzeichnen und die Engpass-Chemikalie identifizieren.“ Dieser Engpass – etwa Stickstoffmonoxid oder Amin – wird dann gezielt stabilisiert und effizient in Ammoniak überführt.

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Lokale Produktion statt globaler Transport

Beide Verfahren haben das Potenzial, die Produktion von Ammoniak zu dezentralisieren. Während das Haber-Bosch-Verfahren nur in großen Industrieanlagen wirtschaftlich ist, könnten die neuen Reaktoren auch in kleinerem Maßstab betrieben werden – zum Beispiel mit Strom aus Solaranlagen.

Chris Li beschreibt die Vision so: „Man kann sich unsere Reaktoren in einem mittelgroßen Schiffscontainer mit Sonnenkollektoren auf dem Dach vorstellen. Diese können dann überall auf der Welt aufgestellt werden und Ammoniak nach Bedarf für die jeweilige Region erzeugen.“

Das wäre ein großer Vorteil für Regionen ohne Zugang zu großtechnischer Infrastruktur. Auch der Transport könnte entfallen – denn Ammoniak ließe sich dort erzeugen, wo er gebraucht wird.

Technischer Vergleich zum Haber-Bosch-Verfahren

Merkmal Haber-Bosch Plasma-basierte Verfahren
Temperatur ca. 500 °C Raumtemperatur
Druck >200 bar Normaldruck
Energiequelle meist fossile Brennstoffe elektrische Energie, z. B. Solarstrom
Produktionsort großtechnische Anlagen dezentrale Einheiten möglich
CO₂-Ausstoß hoch potenziell null

Nächste Schritte: Skalierung und Effizienz

Beide Forschungsteams arbeiten nun daran, ihre Verfahren energieeffizienter zu gestalten und für die industrielle Anwendung vorzubereiten. Professor Cullen sieht vor allem im Elektrolyseur noch Optimierungspotenzial: „Wir haben die Plasmakomponente bereits in Bezug auf Energieeffizienz und Skalierbarkeit realisierbar gemacht. Jetzt geht es darum, die Energieeffizienz der Elektrolyse zu steigern.“

Auch in Buffalo prüft man bereits die Gründung eines Start-ups und Industriepartnerschaften. Das Verfahren ist zum Patent angemeldet. Ziel ist es, mit einem Container-System etwa ein Gramm Ammoniak pro Tag dauerhaft herstellen zu können – skalierbar nach Bedarf.

Ammoniak als Teil der Wasserstoffwirtschaft

Ein zusätzlicher Vorteil: Ammoniak lässt sich nicht nur als Dünger oder Rohstoff nutzen, sondern auch als Energieträger. In ihm steckt gebundener Wasserstoff, der bei Bedarf wieder freigesetzt werden kann. Das macht ihn interessant für die Wasserstoffwirtschaft – etwa als Treibstoff für Schiffe oder als Speichermedium für Energie.

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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