CO₂ rein, Chemie raus: Forscher bauen Stoffwechsel ohne Leben
Ohne Zellen, ohne Mikroben: Forschende wandeln CO₂ mit künstlichen Enzymen in industrielle Grundstoffe um.
Ein neuer Stoffwechsel arbeitet außerhalb von Zellen und macht CO₂ zu einem kontrollierbaren chemischen Rohstoff.
Foto: Smarterpix / Chor_muang
Forschende aus den USA haben einen vollständig künstlichen Stoffwechsel entwickelt, der ohne lebende Zellen auskommt. Das System ReForm wandelt CO₂-basierte Moleküle wie Formiat in Acetyl-CoA und weiter in nutzbare Chemikalien um. Möglich wird das durch neu entwickelte Enzyme und zellfreie synthetische Biologie.
Inhaltsverzeichnis
Ein Stoffwechsel ohne Zellen
Natürliche Stoffwechselwege laufen immer in lebenden Zellen ab. Pflanzen, Algen oder Bakterien binden CO₂ mithilfe komplexer Enzymketten. Diese Systeme sind jedoch langsam, empfindlich und schwer zu kontrollieren. Außerdem kommen sie mit den heutigen CO₂-Mengen kaum hinterher.
Das neue System verzichtet komplett auf Zellen. Stattdessen setzen die Forschenden auf einen künstlichen Reaktionsweg, den sie „Reductive Formate Pathway“, kurz ReForm, nennen. Ausgangspunkt ist Formiat. Dieses einfache Molekül lässt sich relativ leicht aus CO₂ herstellen, etwa mithilfe elektrochemischer Verfahren, die Strom und Wasser nutzen.
ReForm wandelt Formiat schrittweise in Acetyl-CoA um. Dieser Stoff ist so etwas wie eine chemische Drehscheibe des Lebens. In Zellen dient Acetyl-CoA als Startpunkt für den Aufbau von Fetten, Aminosäuren oder anderen komplexen Molekülen. Dass ein solcher Baustein nun außerhalb lebender Systeme erzeugt wird, ist der eigentliche Kern der Arbeit.
Warum die Natur hier nicht hilft
In der Natur gibt es keinen bekannten Stoffwechselweg, der Formiat direkt in Acetyl-CoA überführt. Zwar existieren Enzyme, die Formiat verändern können. Sie führen jedoch nicht zu Produkten, die sich breit weiterverwerten lassen.
Ashty Karim von der Northwestern University ordnet das Problem so ein: „Die ungebremste Freisetzung von CO2 hat die Menschheit vor viele dringende soziale und wirtschaftliche Herausforderungen gestellt“, sagt er. „Wenn wir diese globale Herausforderung angehen wollen, brauchen wir dringend neue Wege zur CO2-negativen Herstellung von Gütern.“
Die Forschenden entschieden sich daher gegen die Suche nach exotischen Mikroorganismen. Stattdessen entwarfen sie einen theoretischen Stoffwechselweg und entwickelten passende Enzyme gleich mit. Das Ergebnis ist kein nachgebautes Naturprinzip, sondern ein bewusst künstliches Design.
Zellfreie Biologie als Entwicklungsplattform
Der entscheidende technische Hebel liegt in der sogenannten zellfreien synthetischen Biologie. Dabei entfernen Forschende die Zellhülle und isolieren nur die molekularen Maschinen, also Enzyme, Cofaktoren und kleine Hilfsstoffe. Diese Komponenten arbeiten dann in einem Reagenzglas weiter.
Michael Jewett von der Stanford University beschreibt das Prinzip so: „Es ist, als würde man die Motorhaube eines Autos öffnen und den Motor herausnehmen“, sagt er. „Dann können wir diesen ‚Motor‘ für verschiedene Zwecke nutzen, ohne die Einschränkungen des Autos.“
Der Vorteil ist Kontrolle. Konzentrationen, Temperaturen und Reaktionsbedingungen lassen sich exakt einstellen. Außerdem entfällt die Rücksicht auf das Überleben einer Zelle. Was giftig wäre oder Energie kostet, spielt hier keine Rolle.
Tausende Enzyme im Schnelltest
Bevor ReForm funktionierte, stand viel Screening-Arbeit an. Das Team testete 66 Enzyme und mehr als 3000 Varianten. Möglich war das nur, weil zellfreie Systeme schnell reagieren und leicht austauschbar sind.
Karim erläutert: „Normalerweise werden nur eine Handvoll Enzyme getestet, was Monate oder länger dauert“, sagt er. „Die zellfreie Umgebung ermöglichte es uns, Tausende pro Woche zu testen.“
Am Ende blieben fünf neu entwickelte Enzyme übrig. Zusammen mit einem weiteren Schritt bilden sie einen sechsstufigen Reaktionsweg. Jeder Schritt übernimmt eine klar definierte chemische Umwandlung. Am Ende steht Acetyl-CoA.
Vom Grundbaustein zum Produkt
Acetyl-CoA ist kein Endprodukt, sondern ein Ausgangspunkt. Um zu zeigen, dass ReForm mehr kann als nur einen Zwischenstoff erzeugen, wandelte das Team Acetyl-CoA weiter in Malat um. Malat wird unter anderem in Lebensmitteln, Kosmetika und biologisch abbaubaren Kunststoffen eingesetzt.
Zudem zeigte sich, dass ReForm nicht auf Formiat beschränkt ist. Auch Formaldehyd und Methanol lassen sich einspeisen. Damit öffnet sich der Weg zu flexiblen Systemen, die verschiedene CO₂-basierte Vorprodukte nutzen können.
Einordnung: Chemie trifft Biologie
Der Ansatz liegt zwischen klassischer Chemie und Biotechnologie. Elektrochemische Prozesse stellen einfache Kohlenstoffmoleküle bereit. Künstliche Enzyme übernehmen dann die präzise Weiterverarbeitung.
Jewett sieht darin ein Grundprinzip für kommende Technologien: „Durch die Kombination von Elektrochemie und synthetischer Biologie erweitert der ReForm-Stoffwechselweg auch die möglichen Lösungen für verallgemeinerbare CO2-Fixierungsstrategien“, sagt er. „Wir gehen davon aus, dass Hybridtechnologien, die das Beste aus Chemie und Biologie vereinen, neue Wege für eine kohlenstoff- und energieeffiziente Zukunft eröffnen werden.“
Noch ist das System ein Laboraufbau. Fragen nach Skalierung, Kosten und Langzeitstabilität sind offen. Trotzdem zeigt die Arbeit, dass Stoffwechsel nicht zwangsläufig an Leben gebunden sein muss.
Wie es weitergehen soll
Das Team plant, ReForm weiter zu optimieren. Ziel sind höhere Ausbeuten und weitere Umwandlungswege für sogenannte Ein-Kohlenstoff-Moleküle. Gleichzeitig wollen die Forschenden die entwickelten Werkzeuge nutzen, um ganz neue Enzyme zu entwerfen.
Karim formuliert es vorsichtig: „Wir können uns vorstellen, dass diese Arbeit in verschiedene Richtungen gehen wird“, sagt er. „Das gibt uns Hoffnung auf eine Zukunft, in der wir mehrere Technologien, sowohl biologische als auch abiologische, auf einzigartige Weise kombinieren können.“
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