Wie China den längsten Autobahntunnel der Welt baute
22,13 km, extreme Geologie, Rekordbau: Wie der Tianshan-Shengli-Tunnel Xinjiang verbindet – und warum er der längste Expressway-Tunnel der Welt ist.
Am 26. Dezember wurde der Tianshan Shengli Tunnel in China eröffnet. Er ist mit über 22 km Länge der längste Autobahntunnel der Welt.
Foto: picture alliance / Xinhua News Agency | Hu Huhu
| Das Wichtigste in Kürze |
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Inhaltsverzeichnis
Am 26. Dezember 2025 eröffnete China den Tianshan-Shengli-Tunnel. Mit einer Länge von 22,13 Kilometern ist er der weltweit längste Autobahntunnel. Das Projekt im Tianshan-Gebirge in der Region Xinjiang überwindet extreme geologische Bedingungen wie 16 Verwerfungszonen und Temperaturen bis -42 °C. Durch die innovative „Drei-Tunnel-plus-vier-Schächte“-Strategie verkürzten die Fachkräfte die Bauzeit erheblich. Der Tunnel verbindet den industriellen Norden mit dem ressourcenreichen Süden Xinjiangs und reduziert die Fahrzeit zwischen Urumqi und Korla von sieben auf 3,5 Stunden.
Ein Gebirge als logistische Mauer
Das Tianshan-Massiv erstreckt sich über 2500 km durch Zentralasien. Davon liegen rund 1700 km auf chinesischem Staatsgebiet. Bisher diktierte die Geografie den Warenfluss in Xinjiang. Wer vom industriell geprägten Norden in den agrarisch und petrochemisch starken Süden wollte, musste Pässe von über 4000 m Höhe überqueren. Die Routen G217 und G216 waren steil und im Winter oft bis zu fünf Monate gesperrt. Lawinen und Schneestürme machten die Versorgung instabil.
Der neue Tunnel macht diese Verbindung wetterfest. Er schafft eine Achse, die ganzjährig rund um die Uhr befahrbar ist. Die Fahrt zwischen der Regionalhauptstadt Urumqi und der Stadt Korla dauerte früher sieben Stunden. Jetzt benötigen Reisende nur noch etwa 3,5 Stunden. Für die Logistik bedeutet das eine Halbierung des Zeitaufwands.
Die Geologie als Herausforderung
Die Fachleute der China Communications Construction Company (CCCC) bezeichneten die Baustelle als „Geological Museum“. Dieser Begriff beschreibt die extreme Vielfalt und Instabilität der Gesteinsschichten. Der Tunnel verläuft in einer durchschnittlichen Höhe von 3000 m. Die maximale Überdeckung beträgt 1.112 Meter. In dieser Tiefe lastet ein enormer Gebirgsdruck auf dem Bauwerk.
Ingenieurteams identifizierten 1900 m hinter dem Tunnelportal die F6-Verwerfungszone. Auf einer Breite von 440 m besteht das Gebirge hier aus „soft, water-rich rock“. Dieses Material verhält sich unter Druck fast wie eine Flüssigkeit. Die Fachkräfte verglichen die Arbeit in diesem Abschnitt mit dem Bohren in „tofu pudding“.
Zudem traten Spannungen von bis zu 22 MPa auf. In harten Granitabschnitten führte dies zu Gebirgsschlägen. Dabei platzen Gesteinssplitter mit hoher Geschwindigkeit von den Tunnelwänden ab. Über eine Strecke von fast vier Kilometern mussten die Arbeitenden spezielle Schutzmaßnahmen gegen diese unkontrollierten Ausbrüche treffen.
Zusätzlich kämpften die Teams mit gewaltigen Wassermengen. Pro Tag drangen bis zu 29.000 m³ Wasser in die Ausgrabungen ein. Das entspricht etwa zwölf olympischen Schwimmbecken. Der Wasserdruck in den Klüften erreichte 4 MPa. Das ist vergleichbar mit dem Druck in 400 m Meerestiefe. Ohne massive Pumpanlagen und Abdichtungen hätten Schlamm- und Wassereinbrüche die gesamte Baustelle gefährdet.

Vor einem Jahr waren die Tunnelbauarbeiten noch voll im Gang.
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Die „Drei-Tunnel-plus-vier-Schächte“-Strategie
Um die Bauzeit von geschätzten zwölf Jahren auf etwa fünf Jahre zu verkürzen, wählten die Planenden ein unkonventionelles Layout. Klassische Straßentunnel bestehen meist aus zwei Röhren. In Xinjiang kam jedoch die Strategie „three-tunnel-plus-four-shafts“ zum Einsatz.
In der Mitte zwischen den beiden zweispurigen Haupttunneln verläuft ein Pilotstollen. Dieser dient mehreren Zwecken:
- Geologische Erkundung: Der Pilotstollen hat einen Durchmesser von 8,43 m. Er wurde mit einer Tunnelbohrmaschine (TBM) vorgetrieben. So erhielten die Ingenieurinnen und Ingenieure ein Echtzeit-Abbild der Geologie, bevor die Haupttunnel diesen Bereich erreichten.
- Beschleunigung des Baus: Durch Querschläge konnten die Teams die Haupttunnel von mehreren Stellen gleichzeitig angreifen. Man arbeitete also nicht nur von den beiden Portalen aus. Der Vortrieb der Haupttunnel erfolgte im Sprengvortrieb (Drill and Blast). Diese Methode ist flexibler, wenn sich die Gesteinsqualität plötzlich ändert.
- Logistik und Sicherheit: Während der Bauphase diente der mittlere Tunnel dem Materialtransport und der Frischluftzufuhr. Im Betrieb fungiert er nun als Rettungsweg und Schacht für die Belüftungssysteme.
Zusätzlich wurden vier vertikale Schächte gegraben. Diese dienen dem Luftaustausch in dem 22 km langen Bauwerk. Einer dieser Schächte hält mit 706 m Tiefe den Weltrekord für vertikale Autobahntunnelschächte. Für den Bau nutzten die Firmen das Raise-Boring-Verfahren. Dabei wird zuerst ein Pilotloch gebohrt, bevor ein Bohrkopf das volle Profil von unten nach oben aufweitet. Das ausgebrochene Gestein fällt durch die Schwerkraft in den Tunnel und wird dort abtransportiert.
Hightech im Eis: Die TBM-Modelle „Tianshan“ und „Victory“
Zwei maßgeschneiderte Tunnelbohrmaschinen (TBM) waren das Herzstück des Projekts. Die Maschinen mit den Namen „Tianshan“ und „Victory“ wurden von Zhongjiao Tianhe entwickelt. Sie sind etwa 282 m lang und wiegen rund 2000 t. Besonders wichtig war ihre Anpassungsfähigkeit. Die Maschinen beherrschten drei verschiedene Modi:
- Der TSA-Modus für stabiles Hartgestein ermöglichte maximale Geschwindigkeit.
- Der TE-Modus schützte die Maschine in Bruchzonen durch einen Schild und sofortige Betoninfusionen.
- Der TS-Modus wurde in den gefährlichsten Zonen eingesetzt. Hier installierte die Maschine schwere Stahlsegmente, um dem Druck des nachgebenden Berges standzuhalten.
Ein technischer Fortschritt war das „Pressure Injection“-System für den Beton. Statt Spritzbeton, der viel Staub und Abfall erzeugt, pressten diese TBM den Beton unter hohem Druck hinter eine Stahlschalung direkt an den Fels. Das sorgte für eine höhere Festigkeit und ermöglichte den Ausbau sehr nah hinter dem Bohrkopf.
Trotz dieser Technik gab es Rückschläge. Im Dezember 2021 blieb die Maschine „Victory“ in einer weichen Gesteinszone stecken. Der Druck des Gebirges war so groß, dass der Bohrkopf blockierte. Ein Team aus 41 Fachleuten arbeitete 24 Tage lang durchgehend, um die Maschine zu befreien. Sie mussten den Bereich um den Schild manuell erweitern und das fließende Gestein durch Hochdruckverpressungen stabilisieren.
Bauen unter Extrembedingungen
Die Logistik auf 3000 m Höhe stellte das Personal vor physische Herausforderungen. Der Sauerstoffgehalt der Luft beträgt dort nur etwa 70 % des Wertes auf Meereshöhe. Das reduziert nicht nur die Leistungsfähigkeit der Menschen, sondern auch die Effizienz von Dieselmotoren. Alle Maschinen erhielten daher Turbolader und angepasste Kraftstoffmischungen.
Im Winter sanken die Temperaturen auf bis zu -42 °C. Hydraulikflüssigkeiten drohten zu gelieren und Beton konnte nicht normal aushärten. Die Bauunternehmen errichteten daher beheizte Einhausungen für die Betonmischanlagen. Die rund 3.000 Beteiligten lebten in beheizten Camps, die wie kleine Städte in der Wildnis funktionierten.
Um die Umwelt zu schonen, trafen die Verantwortlichen ungewöhnliche Entscheidungen. Der Tunnel liegt nahe dem Tianshan-Gletscher Nr. 1, einer wichtigen Wasserquelle für Urumqi. Um den Bauverkehr nicht durch das sensible Flusstal des Urumqi-Flusses führen zu müssen, bauten die Ingenieurteams eine Hochseilbrücke für den Materialtransport. Dies war teurer als eine herkömmliche Straße, verhinderte jedoch Schäden am Flussbett und an den alpinen Wiesen.

Die ersten Autos fahren durch den Tianshan Shengli Tunnel.
Foto: picture alliance / Xinhua News Agency | Xu Hongyan
Ökologische Verantwortung im Hochgebirge
Das Projekt verfolgte eine „Zero Discharge“-Politik. Kein Abwasser vom Bau durfte ungefiltert in die Umgebung gelangen. An den Tunnelportalen entstanden Kläranlagen, die das Wasser filterten und chemisch neutralisierten. Fast 100 % des behandelten Wassers flossen zurück in den Baukreislauf – etwa zur Kühlung der TBM oder zum Mischen von Beton.
Auch der anfallende Abraum wurde verwertet. Millionen Tonnen Gestein landeten nicht auf Halden, sondern wurden aufbereitet. Dieses Material diente als Unterbau für die anschließenden Abschnitte der Schnellstraße.
Nach Abschluss der Arbeiten renaturierten die Teams die genutzten Flächen. Sie pflanzten lokale Grasarten an, um das ursprüngliche Landschaftsbild wiederherzustellen. Sogar auf das lokale Wildleben wurde Rücksicht genommen. Lärmschutzmaßnahmen sollten Schneeleoparden und andere geschützte Tiere während der Bauphase so wenig wie möglich stören.
Wirtschaftlicher Wandel für die Region
Die Eröffnung des Tianshan-Shengli-Tunnels verändert die ökonomische Struktur Xinjiangs grundlegend. Der Süden der Region ist das globale Zentrum der Baumwollproduktion. Die Weiterverarbeitung findet jedoch oft im Norden statt. Bisher dauerte der Transport der Rohmaterialien drei bis vier Tage. Tao Feng, Manager bei der Yuli Lihua Textile Co., Ltd., erklärte gegenüber Medien, dass die Transportkosten und -zeiten nun massiv sinken werden. Die Logistikzyklen verkürzen sich auf ein bis zwei Tage. Das ermöglicht Unternehmen eine Lagerhaltung nach dem „Just-in-Time“-Prinzip.
Auch der Handel mit frischen Lebensmitteln profitiert. Korla ist bekannt für seine Birnen. Da der Tunnel eine temperaturstabile und schnelle Passage bietet, sinkt das Risiko für Verderb während der Fahrt über die kalten Pässe. Die Früchte erreichen die Flughäfen im Norden innerhalb weniger Stunden und können noch am selben Tag in ostchinesische Städte exportiert werden.
Zudem erwartet die Region einen Aufschwung im Tourismus. Der Tunnel macht Tagestrips zwischen der Taklamakan-Wüste im Süden und den alpinen Seen im Norden möglich. Die wetterunabhängige Verbindung sichert auch den Wintertourismus ab, da Reisende keine Sperrungen der Gebirgspässe mehr fürchten müssen.
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