Rost im Fundament 11.11.2025, 19:13 Uhr

Warum das Lübecker Rathaus eine Stahlkur braucht

Rost unter Denkmalschutz: Warum die Sanierung des Lübecker Rathausfoyers bis 2027 dauert – und wie Ingenieure das Problem lösen.

Foyer Lübecker Rathaus

Blick ins prächtige Foyer des Lübecker Rathauses. Die Stahlträger, auf denen der Eingangsbereich ruht, sind jedoch verrostet und müssen ausgetauscht werden.

Foto: picture alliance / imageBROKER | Rolf Fischer

Wer dieser Tage das Lübecker Rathaus betritt, sieht auf den ersten Blick, dass sich hier etwas tut. Absperrungen, Baulärm, offene Bodenstellen – das neugotische Foyer gleicht derzeit einer Großbaustelle. Der Grund: Rost. Nach fast 140 Jahren sind die tragenden Stahlträger unter dem Foyer so stark korrodiert, dass sie nun aufwendig ersetzt werden müssen. Eine Herausforderung für Statiker, Handwerker und Denkmalpfleger gleichermaßen.

Wenn Stahl müde wird

Die alten Träger stammen aus dem Jahr 1887. Sie tragen die Lasten des mächtigen Treppenhauses und leiten sie oberhalb der mittelalterlichen Gewölbe des Ratskellers ab. Über Jahrzehnte hinweg war die Konstruktion zuverlässig – bis Risse im Bodenbelag Alarm schlugen. Untersuchungen im Frühjahr 2025 zeigten: Der Zahn der Zeit hat ganze Arbeit geleistet. Die Profile sind stellenweise so stark angerostet, dass die Tragfähigkeit gefährdet war.

Korrosion – also die Reaktion von Metall mit Sauerstoff und Feuchtigkeit – frisst sich langsam, aber stetig in den Stahl. Bei den Trägern des Rathauses hatte sich über Jahrzehnte Rost gebildet, der den sogenannten Flansch (die horizontale Platte eines Stahlträgers) und den Steg (das verbindende Mittelstück) angegriffen hat. Die Folge: Materialverlust und Spannungsrisse.

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Sicherheit geht vor

„Die Sicherheit unseres historischen Rathauses hat oberste Priorität. Die aktuellen Arbeiten sind technisch anspruchsvoll und erfordern höchste Sorgfalt im laufenden Betrieb“, sagt Bürgermeister Jan Lindenau. Rund 140 Sicherheitsabstützungen wurden deshalb im Ratskeller eingebaut – eine Art stählernes Stützgerüst, das die Lasten des Foyers vorübergehend auffängt.

Zusätzlich steht im Erdgeschoss ein temporäres Traggerüst. Dieses Hilfskonstrukt entlastet die geschädigten Träger, bis sie Stück für Stück ausgebaut werden können. Mit hydraulischen Pressen – also Maschinen, die über Öl- oder Flüssigkeitsdruck enorme Kräfte erzeugen – wird das System vorbelastet. Dadurch wird sichergestellt, dass das alte Stahltragwerk völlig entlastet ist, bevor es entfernt wird.

Präzision unter Denkmalschutzbedingungen

Eine Sanierung unter einem denkmalgeschützten Bau wie dem Lübecker Rathaus ist ein Balanceakt. Jede Bohrung, jeder Schnitt muss abgestimmt werden – mit dem Gebäudemanagement, der Denkmalpflege, dem Metallbau und der Statik. Denn das Rathaus ist nicht nur Verwaltungsgebäude, sondern auch ein Kulturdenkmal mit mehr als 700 Jahren Geschichte.

Die neuen Stahlträger vom Typ HEM 300 – rund 250 Kilogramm pro laufendem Meter – werden über den Rathausmarkt angeliefert. Anschließend manövrieren die Bauleute sie mit schweren Hebezeugen, Panzerrollen und Kettenzügen in das Gebäude. Wegen der engen Platzverhältnisse ist das Millimeterarbeit.

HEM-Träger gehören zu den sogenannten Breitflanschträgern. Sie zeichnen sich durch hohe Stabilität und Tragkraft aus – Eigenschaften, die in historischen Bauten mit großen Spannweiten besonders gefragt sind.

Schritt für Schritt zur Stabilität

Zunächst wird die südliche Seite des Treppenhausfoyers saniert – voraussichtlich bis Ende April 2026. Danach folgt die nördliche Seite, bis 2027 soll das komplette Foyer saniert sein. Die Arbeiten sind so geplant, dass das Rathaus währenddessen weiter nutzbar bleibt, auch wenn Absperrungen und Baulärm unvermeidlich sind.

Für den Austausch der Stahlträger müssen angrenzende Räume – darunter Toiletten, die Pförtnerloge und Bereiche der sogenannten „Börse“ – vorübergehend zurückgebaut werden.

Die Hansestadt Lübeck bemüht sich, trotz der Einschränkungen alle wichtigen Veranstaltungen im Rathaus weiterzuführen. Sitzungen, Empfänge und Führungen sollen stattfinden, soweit es der Baufortschritt erlaubt. „Wir investieren bewusst in den Erhalt dieses einzigartigen Kulturdenkmals – für die Menschen in unserer Stadt und für kommende Generationen“, sagt Lindenau.

Baugeschichte mit Patina

Dass das Lübecker Rathaus besondere Aufmerksamkeit verdient, zeigt seine Geschichte. Der Bau begann 1230 – kurz nach der Verleihung der Reichsfreiheit – und wurde 1308 vollendet. Über die Jahrhunderte wuchs der Komplex stetig, wurde umgebaut, ergänzt, teilweise zerstört und wiederaufgebaut. Entsprechend vielfältig sind die Baustile: Spätromanik, Gotik, Renaissance, Barock, Rokoko und Neugotik – sie alle treffen hier aufeinander.

Das heutige Foyer und das dazugehörige Treppenhaus entstanden im Jahr 1887, als die Bürgerschaft repräsentative Räume benötigte. Damals setzten die Baumeister auf Stahl – damals ein modernes Material, das als dauerhaft galt. Dass selbst Stahl nicht ewig hält, zeigt sich nun eindrucksvoll.

Die Träger liegen zwischen den Wänden und Stützen des Foyers und ruhen über den Gewölben des Ratskellers. Sie sind also gewissermaßen das Rückgrat des Eingangsbereichs. Ihre Korrosion gefährdet nicht nur die Statik des Foyers, sondern auch die darunterliegenden historischen Räume.

Alte Technik trifft moderne Verfahren

Bevor die Sanierung begann, öffneten die Ingenieurinnen und Ingenieure einzelne Bereiche des Bodens, um den Zustand der Träger zu beurteilen. Diese sogenannten Bauteilöffnungen liefern Einblick in die verborgene Konstruktion. Erst durch sie ließ sich der tatsächliche Umfang der Schäden erfassen.

Die Ergebnisse waren ernüchternd: Viele Profile wiesen deutliche Abrostungen auf – teils mehrere Millimeter tief. In statischen Systemen, die auf die exakte Form und Festigkeit der Bauteile angewiesen sind, ist das kritisch. Deshalb entschieden sich die Verantwortlichen für eine vollständige Erneuerung.

Vor Beginn der Arbeiten musste die Statik unterfangen werden – also durch provisorische Stützen entlastet werden. Im Ratskeller entstanden daher zusätzliche Abstützungen, die nun wie ein Sicherheitsnetz wirken. Erst wenn alles sicher abgestützt ist, dürfen die alten Träger entfernt werden.

Denkmalpflege im laufenden Betrieb

Während die Bauleute im Untergrund arbeiten, bleibt der denkmalgeschützte Innenraum geschützt. Eine staubdichte Einhausung – im Prinzip ein luftdicht abgetrennter Bereich – bewahrt Gemälde, Wandverkleidungen und Glasmalereien vor Staub und Schmutz.

Für die Fachleute ist das ein Spagat: Sie müssen die historischen Oberflächen bewahren und zugleich tonnenschwere Stahlträger austauschen. Das erfordert nicht nur Fingerspitzengefühl, sondern auch Geduld. Die Planung erfolgt Schritt für Schritt, immer in Abstimmung mit den beteiligten Fachrichtungen.

Was bislang verborgen war

Bei der Freilegung kamen nicht nur rostige Stahlteile, sondern auch historische Baustrukturen ans Licht. Alte Verbindungselemente, Handwerkszeichen und Reparaturspuren erzählen von früheren Eingriffen. Sie sind stille Zeugen einer langen Baugeschichte, die bis ins Mittelalter reicht.

Die Fassade zur Breiten Straße wurde im Laufe der Jahrhunderte mehrfach verändert – unter anderem nach Bränden und Bombenschäden. Der neugotische Stil im Inneren ist Ergebnis einer umfassenden Renovierung in den 1880er Jahren. Dabei gingen zwar einige mittelalterliche Elemente verloren, gleichzeitig entstanden neue, kunstvoll gestaltete Räume, die bis heute prägend sind.

(mit Material der dpa)

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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