Ingenieurwissen der Römer: So trotzt der Tempel 2000 Jahre dem Vulkan
Warum steht der Venustempel in den vulkanisch aktiven Campi Flegrei seit 2000 Jahren? Es geht um Statik und Materialkunde.
Blick auf die Thermenanlage von Baiae. Trotz ständiger Vulkantätigkeit sind die Bauwerke erstaunlich gut erhalten.
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Über die Römer und ihre Baukunst berichten wir regelmäßig. Wir haben bereits über ihren speziellen Beton und ihre Thermen geschrieben. In diesem Fall kommen beide Themen zusammen. Und das alles in einer Gegend, die keinesfalls dafür ausgelegt ist, dass Bauwerke 2000 Jahre überdauern. Der Venustempel in Baiae hat dies trotzdem geschafft. Der Vulkantätigkeit zum Trotz. Forschende haben untersucht, wie das möglich ist.
Inhaltsverzeichnis
Geologisches Risiko? Die römische Antwort: Perfekte Material-Chemie
Die Campi Flegrei in der Nähe von Neapel gehören zu den aktivsten Vulkanregionen Europas. Hier hebt und senkt sich der Boden in unregelmäßigen Zyklen. Gase treten aus dem Erdinneren aus. Erschütterungen sind ein ständiger Begleiter. In dieser geologisch instabilen Umgebung errichteten die Römer vor fast 1900 Jahren den Tempel der Venus. Dieser war Teil einer großflächigen Thermenanlage in Baiae. Das Bauwerk steht noch heute – zumindest in Teilen.
Diese Standfestigkeit ist bemerkenswert. Sie besteht trotz der wiederkehrenden Hebungs- und Senkungsvorgänge, die man als Bradyseismus bezeichnet. Auch die hohe Feuchtigkeit und die korrosive, vulkanische Atmosphäre konnten dem Bauwerk bislang kaum etwas anhaben. Eine neue, detaillierte Analyse liefert nun die technische Erklärung für dieses scheinbar unmögliche Überleben.
Forschende der Universitäten Neapel und Chieti-Pescara untersuchten die Materialien des Bauwerks. Ihre Studie zeichnet ein präzises Bild der verwendeten Baustoffe, der antiken Herstellungsverfahren und der Logistik hinter dem Projekt. Das Ergebnis: Die Römer verstanden die Geologie ihrer Umgebung meisterhaft. Sie setzten gezielt Materialien ein, die selbst unter den extremen vulkanischen Bedingungen stabil blieben.
Eine kaiserliche Therme inmitten eines aktiven Feldes
Der Venustempel war, entgegen seinem Namen, kein reiner Kultbau. Er bildete einen Teil des ausgedehnten Thermenkomplexes. Kaiser Hadrian ließ die gesamte Anlage im 2. Jahrhundert n. Chr. erweitern. Der heute noch sichtbare Rundbau mit seinem achteckigen Grundriss diente wahrscheinlich als große Schwimmhalle, als sogenannte Natatio.
Die Lage war denkbar ungünstig für ein langlebiges Bauwerk. Der Boden der Campi Flegrei bewegt sich seit Jahrtausenden. Ganze römische Ruinen liegen heute bis zu sechs Meter unter dem aktuellen Meeresspiegel. Auch Teile des Venustempels wurden von den Senkungen erfasst.
Dass die Grundstruktur des Gebäudes dennoch weitgehend erhalten blieb, lässt sich nicht mit purem Glück erklären. Die wissenschaftliche Untersuchung macht deutlich, dass die Konstruktion bewusst auf die geologischen Risiken ausgelegt wurde. Man plante die Struktur, um den ständigen Bewegungen standzuhalten.

Der Venustempel in Baiae trotzt seit 2000 Jahren dem Vulkanausbruch. Wie ist das möglich?
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Die römische Präferenz für vulkanisches Gestein
Der Schlüssel zur Langlebigkeit liegt in der Materialwahl. Die Römer verwendeten gezielt Gesteine, die bereits aus vulkanischen Prozessen hervorgegangen waren. Diese Gesteine sind chemisch besonders reaktionsfreudig und dadurch langlebiger. Die Baumeister passten das Material exakt an die Belastung und Funktion des jeweiligen Bauteils an.
1. Hydraulischer Mörtel: Die antike Betonchemie
Die Analysen bestätigten, dass der verwendete Mörtel auf Kalk basierte. Dieser Kalk wurde jedoch mit großen Anteilen an vulkanischem Material gemischt. Diese spezielle Mischung löst eine sogenannte pozzolanische Reaktion aus. Das bedeutet: Der Mörtel härtet nicht nur an der Luft aus, sondern auch unter Wasser oder bei hoher Feuchtigkeit. Das Material eignete sich ideal für ein Thermalbad, in dem dauerhaft Feuchtigkeit herrschte.
Die Forschenden identifizierten in den Mörtelproben Pumice (Bims) sowie Zeolithe wie Analcim, Phillipsite und Chabasit. Diese Mineralien stammen aus dem Neapolitan Yellow Tuff, einem Gestein der Phlegräischen Felder. Die Reaktionsränder an den Bimsfragmenten weisen auf eine langanhaltende chemische Verfestigung hin.
Hydraulischer Mörtel ist ein zentraler Grund, warum römische Hafenanlagen und Thermen bis heute existieren. Im Tempel der Venus erfüllt er dieselbe Aufgabe. Er bleibt stabil, obwohl die Wände seit Jahrhunderten Feuchtigkeit ausgesetzt sind.
2. Ziegel mit versteckter Vulkanfraktion
Die Ziegel, teilweise rötlich gebrannt, sind ebenfalls komplexe Verbundmaterialien. Sie bestehen aus einer Mischung von Quarz, Feldspat, Glimmer und Hämatit. Auch hier fanden die Forschenden vulkanische Fragmente. Naturmaterialien und künstlich beigemischte Körner liegen ungewöhnlich dicht beieinander.
Die Studie interpretiert dies als klares Indiz. Die Römer mischten das Material bewusst, um die mechanischen Eigenschaften zu verbessern. Die Reaktion in diesem Material ist noch heute messbar. Im Forschungsbericht heißt es dazu über die noch reaktiven Bestandteile im Ziegelmaterial: „The matrix is still moderately active“.
Das bedeutet: Selbst nach 1900 Jahren finden in den Ziegeln langsame Umbauprozesse statt. Diese chemischen Vorgänge können die Festigkeit des Materials über die Zeit sogar noch erhöhen.
3. Vesuv-Schlacke: Der entscheidende Leichtbaustoff
Ein Material spielte eine besonders wichtige Rolle in der Konstruktion, welches heute kaum Beachtung findet: Schlacke vom Vesuv. Diese poröse, leichte vulkanische Substanz nutzten die Baumeister ausschließlich in den oberen Bereichen des Tempels. Das Ziel war, das Gewicht der Gesamtstruktur zu reduzieren.
Die Analysen einer Probe zeigten Leucit, ein Mineral, das eindeutig auf den Vesuv hinweist. Das Material wurde also gezielt aus einem anderen Vulkangebiet herangeschafft. Dieser Befund belegt einen enormen planerischen und logistischen Aufwand.
Die Römer wussten, dass ein massiver, schwerer Steinbau auf dem instabilen Untergrund der Campi Flegrei schnell versagen würde. Die leichte Schlacke dämpft Bewegungen, reduziert das Gesamtgewicht und verteilt die Lasten auf die Fundamente besser.
4. Tuff und Lava: Robust und lokal verfügbar
Für die tragenden Fundamente und Bereiche griffen die Baumeister auf lokale Materialien zurück. Dazu zählten der Neapolitan Yellow Tuff, der reich an Zeolithen ist, und Trachytische Lava, die typisch für die Campi Flegrei ist.
Die Lava enthält Plagioklas, Klinopyroxen, Glimmer und Feldspat. Diese Mineralien bleiben auch unter wechselnden Feuchtigkeits- und Temperaturbedingungen stabil. Die Kombination der Materialien machte die gesamte Struktur robust: schwere Materialien unten, leichte Materialien oben. Dieses Prinzip des gezielten Leichtbaus ist heute in modernen Ingenieurdisziplinen ein selbstverständlicher Ansatz.

Forschende der Universitäten Neapel und Chieti-Pescara untersuchten die Materialien der Thermen von Baiae.
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Der Tempel als geologischer Bewegungskompensator
Wie bereits geschrieben, heben und senken sich die Campi Flegrei über Jahrhunderte um mehrere Meter. Der Tempel der Venus steht also buchstäblich auf einer geologischen Plattform, die sich ständig verformt. Die Forschenden identifizierten drei Faktoren, die das Bauwerk stabilisieren:
- Der Hydraulische Mörtel gleicht Spannungen aus, statt starr zu reißen.
- Das Leichtmaterial im oberen Bereich reduziert Zug- und Druckkräfte im Mauerwerk.
- Mineralogische Reaktionen laufen über Jahrhunderte weiter ab und erhöhen die Festigkeit des Materials.
Der Tempel zeigt damit die Eigenschaften eines Bauwerks, das sich mit seiner Umgebung entwickelt. Es handelt sich nicht um eine starre, sondern um eine adaptiv reagierende Struktur.
Befunde mit Mehrwert für die Restaurierung
Ein Detail der Studie könnte zukünftige Restaurierungsarbeiten am Tempel erheblich vereinfachen. Die sogenannten Salz-Ausblühungen an den Oberflächen bestehen fast vollständig aus Halit (Natriumchlorid, also Kochsalz). Halit löst sich leicht in Wasser.
Damit eignen sich einfache Spül- oder Kompressenverfahren, um die Oberflächen wiederherzustellen. Salz ist oft ein großes Problem für antike Bauwerke. Hier ist es zumindest vergleichsweise beherrschbar.
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