Spannbeton auf dem Prüfstand: Technik, Geschichte, Schwachstellen
So funktioniert Spannbeton: Verfahren, Vorteile, Risiken und Geschichte dieser wichtigen Bauweise einfach erklärt.

Blick auf die Unterseite der alten Salzbachtalbrücke in Wiesbaden. Die Spannbetonbrücke wurde 2021 gesprengt.
Foto: picture alliance / Bors Roessler | Boris Roessler
Beton allein genügt oft nicht. Er trägt viel – aber nicht alles. Besonders bei Zugkräften stößt er an seine Grenzen. Genau hier kommt der Spannbeton ins Spiel. Er kombiniert Beton mit vorgespanntem Stahl und überwindet so die natürlichen Schwächen des Materials. Doch diese Technik verlangt Präzision. Fehler können teuer, im schlimmsten Fall sogar gefährlich werden. Dieser Beitrag erklärt, wie Spannbeton funktioniert, woher die Methode kommt – und warum trotz aller Vorteile Risiken bleiben.
Inhaltsverzeichnis
- Beton und Stahl im Zusammenspiel: Das Prinzip des Spannens
- Wie Spannbeton in der Praxis funktioniert: Drei Verfahren im Überblick
- Innen oder außen? Wo die Kraft verläuft, macht den Unterschied
- Was Spannbeton leistet – und wo seine Grenzen liegen
- Welche Materialien im Spannbeton zum Einsatz kommen
- Spannbeton im Wandel: Ein Blick in die Geschichte
- Moderne Entwicklungen und digitale Überwachung
Beton und Stahl im Zusammenspiel: Das Prinzip des Spannens
Stellen Sie sich einen Betonträger vor, etwa unter einer Brücke. Wird er von oben belastet, entsteht unten im Querschnitt Zugspannung. Genau dort ist Beton am schwächsten – denn Beton hält Druck gut aus, Zug jedoch kaum. Die Lösung: Man versetzt diesen Bereich schon vor der Belastung in einen dauerhaften Druckzustand. Möglich wird das durch Stahl, der vorab auf Zug gespannt wird. Dieses sogenannte Vorspannen neutralisiert die später auftretenden Zugspannungen.
Das Prinzip ist einfach – seine Umsetzung jedoch alles andere als trivial.
Im Spannbetonbau bringen Fachkräfte hochfeste Spannglieder – also Drähte, Litzen oder Stäbe – unter Spannung in das Bauteil ein. Der Beton wird dann so gegossen, dass er diese Vorspannung dauerhaft übernimmt. Das Resultat: weniger Risse, höhere Tragfähigkeit, geringerer Materialbedarf.
„Durch das gezielte Einbringen dieser Spannkräfte wird das Bauteil bereits in unbelastetem Zustand auf Druck beansprucht – die später auftretenden Zugspannungen werden so teilweise oder ganz kompensiert.“
Im Vergleich zum klassischen Stahlbeton sind die Zugzonen also besser geschützt. Das ermöglicht schlankere Bauteile mit größeren Spannweiten – etwa bei Brücken, Hallen oder Hochhäusern.
Wie Spannbeton in der Praxis funktioniert: Drei Verfahren im Überblick
Der Spannbeton lebt von der richtigen Vorspannung. Wie genau die Kraft in das Bauteil eingebracht wird, hängt vom Verfahren ab. In der Praxis haben sich drei Techniken etabliert – jede mit ihren eigenen Stärken und Einschränkungen.
- Vorspannung im Spannbett: Kraft vor dem Guss
Die Spannbettvorspannung findet vor allem in Fertigteilwerken Anwendung. Hier werden die Spannglieder zwischen festen Widerlagern gespannt – meist horizontal auf mehreren Metern. Erst dann wird der frische Beton eingebracht. Sobald er ausgehärtet ist, wird die Spannkraft freigegeben und überträgt sich auf das Bauteil. Voraussetzung: eine möglichst gerade Führung der Spannglieder. Gekrümmte Verläufe sind hier kaum möglich.
Diese Methode eignet sich gut für standardisierte Bauteile wie Träger oder Platten, die in großen Stückzahlen produziert werden. In ihrer Produktion zählt vor allem Wiederholbarkeit – und die bietet das Spannbettverfahren.
- Nachträgliche Vorspannung: Flexibilität auf der Baustelle
Bei Ortbetonbauwerken wie Brücken oder Stützwänden kommt häufig die nachträgliche Vorspannung mit Verbund zum Einsatz. Dabei wird der Beton zunächst gegossen, allerdings mit eingebauten Hüllrohren. Nach dem Erhärten zieht man die Spannglieder durch diese Rohre, spannt sie hydraulisch und verpresst sie anschließend mit Zementmörtel.
Der Vorteil: Die Spannglieder lassen sich an die tatsächlichen Bauwerksformen anpassen – auch bei gekrümmtem Verlauf. Die Verbindung zwischen Stahl und Beton entsteht nicht sofort, sondern kontrolliert und gezielt nachträglich.
- Vorspannung ohne Verbund: Nachspannbar und beweglich
Eine Sonderform ist die Vorspannung ohne Verbund. Dabei verlaufen die Spannglieder in Hüllrohren, die nicht mit Zement, sondern mit Schmierstoff wie Fett gefüllt sind. Das erlaubt Beweglichkeit. Spannverluste durch Setzungen oder Temperaturwechsel können so teilweise ausgeglichen werden. Die Technik kommt etwa in schlanken Decken, bei nachträglicher Verstärkung oder in Hochhäusern zum Einsatz.
Auch externe Vorspannungen – bei denen die Spannglieder außerhalb des Betonquerschnitts verlaufen – setzen oft auf dieses Prinzip. Diese lassen sich leichter kontrollieren, warten oder im Schadensfall austauschen.

Ein Mitarbeiter des Landesamtes für Straßenbau und Verkehr zeigt ein Beispiel des Spannstahls der Agra-Brücke der Bundesstraße 2.
Foto: picture alliance/dpa | Jan Woitas
Innen oder außen? Wo die Kraft verläuft, macht den Unterschied
Neben dem Verfahren unterscheidet sich auch die Lage der Spannglieder. Sind sie im Inneren des Bauteils integriert, spricht man von interner Vorspannung. Diese Variante dominiert im klassischen Brückenbau oder bei Fertigteilen. Die Spannkraft wirkt direkt im Betonquerschnitt.
Bei der externen Vorspannung verlaufen die Spannglieder außerhalb des Hauptquerschnitts – oft in Hohlkästen oder Schächten. Das hat Vorteile bei der Sanierung oder bei außergewöhnlichen Geometrien. Auch Kontroll- und Austauschmöglichkeiten sind besser. Allerdings erfordert die Technik mehr Platz und zusätzliche Schutzmaßnahmen gegen Umwelteinflüsse.
Was Spannbeton leistet – und wo seine Grenzen liegen
Spannbeton punktet mit einer Reihe technischer Vorteile. Das Prinzip der Vorspannung sorgt dafür, dass Betonbauteile über Jahre hinweg leistungsfähig bleiben – auch bei hohen Belastungen. Doch dieser Vorteil hat seinen Preis. Die Technik ist anspruchsvoll, kostenintensiv und im Schadensfall schwer zu reparieren.
Technische Vorteile: Tragfähig, schlank, langlebig
Ein wesentliches Merkmal des Spannbetons ist seine hohe Tragfähigkeit. Durch die gezielte Vorspannung können größere Spannweiten realisiert werden – etwa bei Brücken oder Stützkonstruktionen. Das reduziert nicht nur die Zahl der Stützen, sondern auch das Eigengewicht des Bauwerks.
Auch die Formgebung profitiert: Schlankere Querschnitte bedeuten weniger Materialeinsatz. In Hallen oder Hochhäusern führt das zu flacheren Decken, kürzeren Bauzeiten und geringeren Transportlasten.
„Die Druckvorverformung reduziert oder verhindert die Rissbildung – besonders relevant für wasserundurchlässige oder aggressive Umgebungen.“
Ein weiterer Vorteil: Die Rissbildung wird minimiert. Weil der Beton bereits vorgespannt ist, treten Zugkräfte gar nicht erst in der kritischen Zone auf. Das macht das Bauwerk widerstandsfähiger gegen Feuchtigkeit, Frost oder aggressive Chemikalien. Besonders in Umgebungen mit hoher Korrosionsgefahr oder hoher Dauerbelastung ist das ein klarer Pluspunkt.
Schwachstellen: Fehler sind schwer zu korrigieren
Trotz aller Stärken ist der Spannbeton nicht frei von Risiken. Kleine Abweichungen in der Ausführung können große Folgen haben. Etwa wenn die Spannkraft nicht korrekt übertragen wird – durch unzureichende Verankerungen, fehlerhafte Spannstahlführung oder mangelhafte Verpressung der Hüllrohre.
Auch das Material selbst kann zur Schwachstelle werden. Spannstähle unterliegen mit der Zeit einem Spannkraftverlust – durch sogenannte Relaxation, durch Kriechen des Betons oder durch Korrosion. Besonders ältere Spannstähle sind anfällig für Spannungsrisskorrosion, etwa bei früher verwendeten Neptunstählen.
Ein tragisches Beispiel liefert die Carolabrücke in Dresden. Im Jahr 2024 stürzte ein Teil der Brücke ein – als Ursache wurde eine unbemerkte Korrosion der Spannstähle festgestellt. Der Fall zeigt, wie wichtig Materialwahl und regelmäßige Kontrolle sind.
Planungsaufwand und Sanierungsprobleme
Spannbeton verlangt eine präzise Planung. Die Spannkräfte, ihre Verläufe und die Verankerungspunkte müssen exakt berechnet und ausgeführt werden. Das Regelwerk – etwa der Eurocode 2 – schreibt Grenzwerte für Biegetragfähigkeit, Rissbreiten oder Spannungsverlust genau vor.
Abweichungen führen schnell zu einem Verlust der Tragfähigkeit. Anders als bei unbewehrtem Beton ist die Toleranz gering. Sanierungen gestalten sich entsprechend aufwendig – besonders wenn Spannglieder unzugänglich oder beschädigt sind.

Was passieren kann, wenn Spannbeton versagt, zeigt die Carolabrücke in Dresden. picture alliance/dpa | Robert Michael
Welche Materialien im Spannbeton zum Einsatz kommen
Spannbeton ist kein Alltagsbeton. Er lebt von der Kombination spezieller Materialien, die aufeinander abgestimmt sein müssen – angefangen beim hochfesten Beton bis hin zum speziellen Spannstahl.
Hochfester Beton für hohe Drucklasten
In Spannbetonkonstruktionen kommen in der Regel Betone der Festigkeitsklassen C50/60 oder höher zum Einsatz. Diese Betone zeichnen sich durch hohe Druckfestigkeit, geringe Verformung unter Last und geringe Rissneigung aus. Auch das sogenannte Schwinden – also das Nachgeben des Betons im Laufe der Zeit – fällt bei modernen Mischungen geringer aus.
Je geringer das Schwinden, desto stabiler bleibt die Spannkraft im System.
Spannstahl mit besonderen Eigenschaften
Die Spannglieder bestehen aus hochfestem Stahl, der speziell für die Anwendung im Spannbeton entwickelt wurde. Typisch sind Litzen mit sieben verdrillten Einzeldrähten oder glatte Stäbe. Die Streckgrenze – also die Grenze, ab der der Stahl plastisch verformt wird – liegt bei bis zu 1.860 N/mm². Damit ist Spannstahl deutlich zugfester als herkömmlicher Baustahl.
Besonders wichtig ist die sogenannte Relaxationseigenschaft. Dabei handelt es sich um den Spannkraftverlust unter konstanter Dehnung. Moderne Spannstähle mit geringer Relaxation sorgen dafür, dass die eingeleiteten Kräfte über Jahrzehnte stabil bleiben.
Schutz durch Hüllrohre, Anker und Fett
Je nach Verfahren verlaufen die Spannglieder in Hüllrohren – entweder aus Metall oder Kunststoff. Diese Rohre schützen die Stähle vor Beton und Feuchtigkeit und ermöglichen bei Bedarf Nachspannungen oder Austausch. Bei Systemen ohne Verbund kommen zusätzlich Fette zum Einsatz, um die Beweglichkeit und den Korrosionsschutz zu verbessern.
Zur Verankerung dienen spezielle Systeme, etwa Keilanker oder Verpresskörper. Auch Kupplungen zum Anschluss einzelner Litzen oder Endstücke sind Bestandteil vieler Systeme. Namen wie Dywidag, Freyssinet oder VSL stehen für unterschiedliche Ausführungen – je nach Bauwerk und Landesnorm.
Spannbeton im Wandel: Ein Blick in die Geschichte
Die Idee, Beton durch Zugkraft widerstandsfähiger zu machen, ist älter als oft vermutet. Schon 1886 schlug der US-Amerikaner Jackson vor, gespannte Stahlteile in Beton einzubetten, um die Rissbildung zu minimieren. Zwei Jahre später ließ sich der Berliner W. Döhring eine Technik patentieren, bei der Drähte in Betonbalken eingespannt wurden. Doch diese frühen Ansätze hatten ein Problem: Die verwendeten Stähle verloren mit der Zeit zu viel Kraft – vor allem durch Relaxation und Korrosion.
Erst in den 1920er-Jahren gelang der entscheidende Schritt. Der französische Ingenieur Eugène Freyssinet erkannte, dass nur hochfeste Spannstähle mit geringer Relaxation langfristig wirken. Er ließ zwischen 1928 und 1936 mehrere Patente eintragen und baute erste Spannbetonwerke, die diesem Prinzip folgten. Seine Erkenntnis, dass Beton unter Last kriecht und schwindet – also sich langsam verändert –, floss in die Systematik der Vorspannung ein. Freyssinet gilt bis heute als Wegbereiter des modernen Spannbetonbaus.
Auch deutsche Ingenieur*innen beteiligten sich früh an der Entwicklung. 1937 entstand in Aue die erste Spannbetonbrücke Deutschlands. Im Jahr darauf folgte die Autobahnbrücke bei Beckum – ein Bauwerk, das heute als technisches Denkmal gilt. In der Nachkriegszeit wuchs die Bedeutung des Spannbetons deutlich. Besonders Brückenbauprojekte wie die Lahnbrücke bei Balduinstein (1951) oder die Rheinbrücke bei Bendorf (1965) zeigten, welche Spannweiten möglich wurden.
Moderne Entwicklungen und digitale Überwachung
Heute ist Spannbeton Hightech. Die Werkstoffe, die Planung und die Überwachung sind auf einem ganz anderen Niveau als noch vor wenigen Jahrzehnten. Das Ziel bleibt gleich: langlebige, wirtschaftliche Bauwerke – aber mit weniger Risiko.
Besserer Beton, zuverlässigerer Stahl
Moderne Betone schwinden weniger, sind druckfester und haltbarer. Gleichzeitig wurde der Spannstahl weiterentwickelt. Spannstähle mit besonders geringer Relaxation halten die Vorspannung über Jahrzehnte nahezu konstant. Damit sinkt das Risiko von Spannkraftverlusten deutlich – ein wichtiger Faktor für die Dauerhaftigkeit.
In der Forschung rücken zunehmend neue Materialien in den Fokus. Carbonfaserverstärkte Kunststoffe (CFK) gelten als aussichtsreiche Alternative zu klassischem Spannstahl. Sie sind korrosionsfrei, leicht und extrem zugfest. Noch ist der Einsatz auf Spezialprojekte beschränkt – doch die Entwicklungen zeigen, wohin die Reise gehen könnte.
Ein Beitrag von: