Kühlender Beton als Lösung gegen Hitze in der Stadt?
Kühlender Beton spart Energie und CO₂: Zwei neue Verfahren machen Gebäude zum Kühler – auch ohne Klimaanlage.
Mit neuen Betontechnologien sinkt der Kühlbedarf von Gebäuden und damit auch der CO₂-Ausstoß.
Foto: Smarterpix / Shenki
Gebäude gehören zu den größten Energieverbrauchern weltweit. Rund 40 % der globalen Energie gehen auf ihr Konto. Auch beim CO₂-Ausstoß tragen sie erheblich bei – 36 % der weltweiten Emissionen entstehen entlang des Lebenszyklus. Ein besonderer Treiber ist die Klimatisierung. Klimaanlagen sorgen in heißen Sommern für bis zu 50 % des Spitzenstrombedarfs. Prognosen zeigen, dass sich die Emissionen durch Kühlung bis 2050 verdreifachen könnten.
Mit dem Klimawandel wird die Frage drängender: Wie lassen sich Gebäude kühlen, ohne immer mehr Energie zu verbrauchen? Eine Antwort könnte Beton liefern – ausgerechnet das Material, das bislang als Teil des Problems gilt.
Inhaltsverzeichnis
Beton – Klimasünder mit Potenzial
Zement ist das am meisten hergestellte Material der Welt. Im Jahr 2023 waren es 4,1 Milliarden Tonnen. Gleichzeitig verursacht die Zementproduktion 8 % der weltweiten CO₂-Emissionen. Betonflächen in Städten verstärken zudem das Hitzeproblem. Sie speichern Sonnenenergie und geben sie nachts wieder ab. Der sogenannte Wärmeinsel-Effekt treibt die Temperaturen in Ballungsräumen weiter in die Höhe.
Forschende aus den USA und Europa haben nun zwei vielversprechende Ansätze vorgestellt. Sie wollen Beton selbst zum aktiven Kühler machen.
Supercool Cement – Kühlung durch Kristalle
Ein Team der Purdue University hat einen Zement entwickelt, der sich nicht wie herkömmlicher Beton aufheizt, sondern selbst kühlt. Möglich wird das durch die gezielte Auswahl und Anordnung der Bestandteile.
Beim Aushärten bilden sich winzige Ettringit-Kristalle. Diese Kristalle streuen das Sonnenlicht, sodass bis zu 96,2 % der Strahlung reflektiert werden. Gleichzeitig ermöglichen Aluminium- und Schwefelbindungen eine fast vollständige Abstrahlung der Wärme im Infrarotbereich. Das Material erreicht damit Werte, die bisher nur aus der Nanophotonik bekannt waren – allerdings ohne teure Spezialbeschichtungen.
Der neue Zement im Praxistest
In Praxistests auf dem Campus der Purdue University lag die Oberfläche des neuen Zements bei voller Mittagssonne mehr als 5 °C unter der Umgebungstemperatur. Im Vergleich zu normalem Zement war der Unterschied noch deutlicher: minus 26 °C. Selbst nachts hielt der Effekt an, mit bis zu 7 °C geringerer Temperatur als die Luft. Die Forschenden errechneten eine Kühlleistung von 96 Watt pro Quadratmeter.
Auch die mechanischen Eigenschaften überzeugen. Supercool Cement hält Druckbelastungen von über 100 Megapascal aus – deutlich mehr als viele Standardbetone. Er widersteht UV-Strahlung, Frost-Tau-Wechseln und aggressiven Flüssigkeiten. Ein zusätzlicher Vorteil: Die Oberfläche schützt sich selbst vor Abnutzung. Damit eignet sich das Material sowohl für Neubauten als auch für die Beschichtung bestehender Flächen.
Ein weiterer Pluspunkt: Die Herstellung benötigt rund 200 °C weniger Brenntemperatur. Das senkt die Emissionen schon bei der Produktion um 25 %. Modellrechnungen zeigen, dass eine Tonne des Materials im Laufe der Nutzungszeit mehr CO₂ einspart, als bei der Herstellung freigesetzt wird. In manchen Regionen könnte die Bilanz sogar negativ ausfallen.
Hier geht es zur Originalpublikation
Photonischer Beton – Kühlung durch gezielte Lichtlenkung
Parallel dazu arbeitet ein europäisches Konsortium im Rahmen des Miracle-Projekt an einer ähnlichen Idee. Koordiniert wird das Vorhaben von Jorge Dolado vom Spanischen Nationalen Forschungsrat. Er beschreibt den Ausgangspunkt so: „Das einzige Material, das in den erforderlichen Mengen verfügbar ist, um hier eine signifikante Wirkung zu erzielen, ist Beton.“
Die Forschenden kombinierten ihr Wissen aus Photonik und Betonwissenschaft. Ziel war es, einen Beton zu entwickeln, der Sonnenlicht reflektiert und gleichzeitig Wärme abstrahlt. So entsteht eine Kühlung, selbst bei starker Sonneneinstrahlung.
Test unter Extrembedingungen
Getestet wurde der photonische Beton unter extremen Bedingungen. In der Tabernas-Wüste in Spanien, wo Temperaturen tagsüber 30 bis 32 °C erreichen, blieb die Betonoberfläche rund 2 °C kühler als die Luft. Normaler Beton hätte sich dort auf über 65 °C aufgeheizt. „Für Gebäude könnte dies eine erhebliche Einsparung an Kühlenergie bedeuten“, sagt Dolado. Unter bestimmten Umständen sei sogar ein Verzicht auf Klimaanlagen denkbar.
Simulationen zeigen, dass Städte, die ihre Dächer und Gehwege mit photonischem Beton ausstatten, ihre Temperaturen um 10 °C am Tag und 5 °C in der Nacht senken könnten. Zwei Patente wurden bereits erteilt, ein drittes ist in Vorbereitung. Mit PhotoKrete SL ist zudem ein Spin-off gegründet worden, das die Technologie zur Marktreife bringen soll.
Hier geht es zum Projekt Miracle
Einordnung durch die Forschung
Auch an der TU Darmstadt beschäftigen sich Forschende mit dem Thema, so waren sie zum Beispiel am Miracle-Projekt beteiligt. Prof. Eduardus Koenders, Materialwissenschaftler und Leiter des Instituts für Werkstoffe im Bauwesen, hat die Arbeiten seiner Kolleginnen und Kollegen aus den USA begutachtet. Er sagt gegenüber der Tagesschau: „Man hat ein paar Möglichkeiten, um die Wellenlänge zu beeinflussen, so dass man genau dieses Fenster erreicht.“ Damit meint er das atmosphärische Fenster – einen Bereich im Infrarotspektrum, in dem Wärme nahezu ungehindert ins Weltall abgestrahlt werden kann.
Koenders schätzt die Kühlwirkung solcher Materialien auf „ungefähr zehn bis 15 Grad“ – abhängig von der Sonneneinstrahlung. Aus seiner Sicht sind die Verfahren skalierbar und nicht nur für Neubauten, sondern auch für die Nachrüstung geeignet. Besonders vielversprechend sind Flächen mit direkter Sonneneinstrahlung, etwa Dächer und Fassaden. Auch Straßen oder Gehwege könnten profitieren.
Allerdings weist Koenders auf offene Fragen hin. In heißen Klimazonen ist Kühlung gefragt. In kälteren Regionen wie Deutschland stellt sich im Winter jedoch das Gegenteil ein: Gebäude sollen warm bleiben. Denkbar wären daher zusätzliche Hüllen mit Dämmung, die den Effekt saisonal steuern.
Ein Beitrag von: