Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst 28.07.2025, 14:30 Uhr

Wie die Kuppeln der Leipziger Markthalle Geschichte schrieben

Der Kohlrabizirkus in Leipzig: einst Markthalle, heute Eventort. Technik, Geschichte und Zukunft eines außergewöhnlichen Kuppelbaus.

Kuppeln des Kohlrabizirkus

Bei der Eröffnung der Großmarkthalle waren die beiden Kuppeln die weltweit größten ihrer Art. Möglich machte dies eine besondere Bauweise.

Foto: picture alliance/dpa/Jan Woitas

Der Kohlrabizirkus in Leipzig ist ein architektonisch und baugeschichtlich bedeutender Kuppelbau, der ursprünglich als Großmarkthalle entstand. Mit seiner innovativen Schalenbauweise setzte er 1929 neue Maßstäbe im Ingenieurbau. Heute steht das denkmalgeschützte Gebäude im Zentrum eines Nutzungsmix aus Eissport, Kultur und städtebaulicher Vision. Die Stadt Leipzig will das Areal zu einem Wissensquartier entwickeln – zwischen Denkmalschutz und klimatischen Herausforderungen.

Eine Halle, zwei Kuppeln, viele Geschichten

Wer durch den Leipziger Süden fährt, trifft unweigerlich auf ein monumentales Bauwerk mit zwei riesigen Kuppeln. Rund, wuchtig und doch elegant wirken sie, fast wie zwei überdimensionierte Gewächshäuser. Kein Wunder, dass sich der Spitzname „Kohlrabizirkus“ bis heute gehalten hat – selbst wenn hier längst kein Gemüse mehr verkauft wird.

Doch hinter dem markanten Äußeren steckt weit mehr als ein städtisches Kuriosum. Der Kohlrabizirkus ist ein bedeutendes Kapitel deutscher Ingenieurbaukunst. Seine Entstehung fällt in eine Zeit des Umbruchs – technikbegeistert, funktional und mutig im Materialeinsatz. Und auch heute steht er wieder im Zentrum großer Pläne.

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Blick zurück: Leipzig braucht eine neue Markthalle

Mit der Industrialisierung wuchs Leipzig schnell. Immer mehr Menschen mussten mit frischen Lebensmitteln versorgt werden. Als Handels- und Messestadt spielte Leipzig dabei eine zentrale Rolle für ganz Mitteldeutschland. Die vorhandene Zentralmarkthalle, 1891 eröffnet, wurde den Anforderungen bald nicht mehr gerecht. Ihr größtes Manko: der fehlende Gleisanschluss.

Bereits vor dem Ersten Weltkrieg plante die Stadt deshalb eine neue Großmarkthalle, näher am Bayerischen Bahnhof. Doch der Krieg stoppte das Vorhaben. In den frühen 1920er-Jahren nahm Leipzig einen neuen Anlauf – zunächst mit einer Interimslösung aus zwei umgenutzten Flugzeugmontagehallen.

Erst 1925, mit der Berufung von Hubert Ritter zum Stadtbaurat, kam wieder Bewegung in das Projekt. Ritter, ein Vertreter der modernen Architektur, entwickelte einen Plan, der Ästhetik und Funktion vereinte: Zwei große Kuppeln auf rechteckigem Grundriss sollten den Kern der neuen Markthalle bilden. Eine dritte Kuppel und ein Hochhaus waren als Erweiterung vorgesehen – sie blieben allerdings unausgeführt.

Blick in eine der zwei Hallen der historischen Großmarkthallen

Blick in eine der zwei Hallen der historischen Großmarkthallen.

Foto: picture alliance/dpa/Jan Woitas

Die Idee wird gebaut: Pionierleistung aus Beton

Für den Bau der Halle erhielt die Dyckerhoff & Widmann AG den Zuschlag. Die Bauunternehmung war damals Vorreiterin im Bereich des Stahlbetonbaus. Zwischen 1927 und 1929 errichtete sie in Leipzig zwei freitragende Kuppeln, die zu ihrer Zeit weltweit Maßstäbe setzten. Die Schalenbauweise – entwickelt von Bauingenieur Franz Dischinger – ermöglichte extrem dünne Wandstärken bei hoher Stabilität. Jede Kuppel hat eine Spannweite von 75 Metern und erreicht eine Höhe von 29 Metern.

Der Clou liegt im Aufbau: Die Kuppeln bestehen aus sich kreuzenden Tonnenschalen, die durch Rippen und Grate versteift sind. Die Wandstärke beträgt lediglich 9 bis 10,7 Zentimeter – ein technischer Meilenstein. Das Betongewicht beläuft sich pro Kuppel auf über 2.000 Tonnen. Getragen werden sie von jeweils acht geneigten Stützen.

Auch das architektonische Erscheinungsbild ist durchdacht: An der Nord- und Ostseite schließen sich Klinkerbauten an, in denen sich Büro- und Nebenräume befinden. Großzügige Fensterbänder sorgen für Licht und Belüftung. Das Konzept überzeugte nicht nur in Leipzig, sondern auch international. Die Kombination aus Technik, Funktionalität und klarer Formensprache wurde vielfach gewürdigt.

Zeiss-Dywidag-Schalenbauweise: Technisches Prinzip hinter den Kuppeln

Was heute als Schalenbau bekannt ist, wurde in den 1920er-Jahren von zwei Pionieren entwickelt: dem Bauingenieur Franz Dischinger und dem Physiker Walther Bauersfeld. Gemeinsam schufen sie eine Methode, die zunächst unter dem Namen Zeiss-Dywidag-Verfahren bekannt wurde – und später den Weg für moderne Spritzbetonkonstruktionen ebnete.

Das Verfahren basiert auf einem einfachen, aber wirkungsvollen Prinzip: Zunächst entsteht ein tragendes Gittergerüst aus Stahl, das mit einem engmaschigen Drahtnetz überspannt wird. Auf diese Struktur wird der Beton im sogenannten Trockenspritzverfahren (Torkretverfahren) aufgebracht. Die Gitterstruktur diente anfangs nicht nur als Schalung, sondern wurde als Teil der Bewehrung mit einbetoniert. Später nutzte man sie mehrfach als reines Schalungsgerüst.

Das System erwies sich als äußerst tragfähig und ermöglichte sehr dünne, freitragende Schalen – wie sie beim Kohlrabizirkus umgesetzt wurden. Eingesetzt wurde die Bauweise unter anderem auch beim Großen Windkanal in Berlin-Adlershof, beim Zeiss-Planetarium in Jena, beim Dach der Frankfurter Großmarkthalle und beim Zeiss Bau 23.

 

Woher kommt der Spitzname?

Im Oktober 1929 nahmen die Großhändler den Betrieb in der neuen Halle auf. Hauptsächlich wurden Obst und Gemüse umgeschlagen. Die schiere Menge an Kohlrabi, die hier in Kisten, Körben und Säcken ihren Weg zu den Kund*innen fand, verlieh dem Bau schnell seinen heute offiziellen Spitznamen: Kohlrabizirkus.

Die Einweihung folgte im Oktober 1930. Doch die Nutzung als Markthalle blieb nicht ununterbrochen. Während des Zweiten Weltkriegs erlitt das Gebäude Schäden, vor allem an der Dachhaut. Die Reparaturen zogen sich bis in die 1970er-Jahre. Trotzdem blieb der Kohlrabizirkus bis 1995 ein Ort des Lebensmittelhandels.

Vom Großmarkt zur Eventhalle

Nach der Schließung der Markthalle begann ein neues Kapitel. Die riesige Innenfläche wurde geteilt und für Veranstaltungen, Konzerte und Märkte geöffnet. Besonders populär: der Nachtflohmarkt und verschiedene Musikformate. In der Südhalle zog bis 2012 die größte Indoor-Eisfläche Deutschlands ein – der Eisdom.

Später wurde die Halle zur Heimat des Eissportvereins IceFighters Leipzig, die seit der Saison 2018/19 im sogenannten „Eiszirkus“ spielen. Auch Schlittschuhlauf für die Öffentlichkeit ist möglich. Seit 2024 trägt die Halle den Namen anona ICEDOME. Parallel nutzen verschiedene Clubs, etwa das „Institut für Zukunft“ und heute der Techno-Club Axxon N., die unterirdischen Flächen.

die Kuppeln von oben

Die monumentale Doppelkuppel der historischen Großmarkthallen, im Volksmund «Kohlrabizirkus» genannt. (Luftaufnahme mit einer Drohne).

Foto: picture alliance/dpa/Jan Woitas

Denkmal mit technischer Signatur

Im Herbst 2013 erhielt der Kohlrabizirkus eine besondere Ehrung: Die Bundesingenieurkammer zeichnete die beiden Kuppelbauten als „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“ aus. Damit würdigte sie nicht nur die architektonische Qualität, sondern vor allem die ingenieurtechnische Leistung, die hinter der Schalenbauweise steht.

Die Begründung für die Auszeichnung verweist auf den mutigen Einsatz moderner Baustoffe, die ungewöhnlich große Spannweite der Kuppeln und das damalige Pionierdenken. Konstrukteur Franz Dischinger und Statiker Hubert Rüsch haben mit ihren Berechnungen Neuland betreten. Und auch Oberingenieur Willy Gehler, der die Gesamtprüfung verantwortete, trug maßgeblich zum Gelingen bei.

Der Kohlrabizirkus gilt bis heute als frühes Beispiel dafür, wie sich Funktion, Materialökonomie und gestalterischer Anspruch vereinen lassen – ein Leitbild, das auch heutige Planer*innen noch beschäftigt.

Die Zukunft beginnt mit einem Wettbewerb

Dass sich der Kohlrabizirkus nicht auf seiner Vergangenheit ausruht, zeigt der nächste große Entwicklungsschritt. Im September 2022 lobte die Stadt Leipzig einen städtebaulichen Wettbewerb aus. Ziel war es, das 36 Hektar große Areal rund um die Halle in ein modernes Wissenschaftsquartier zu verwandeln. Zwölf Architekturbüros reichten ihre Entwürfe ein.

Den ersten Preis erhielt das Berliner Team aus de+ architekten und Bacher Landschaftsarchitekten. Ihr Konzept überzeugte mit einer klaren Struktur und hoher Anpassungsfähigkeit. Um die historischen Kuppeln entstehen neue Blockstrukturen, die je nach Bedarf für Forschung, Start-ups, Wohnen oder Kultur genutzt werden können.

Zentrale Elemente wie ein parkartiger Anger, ein Gartenplatz und ein Aktivband schaffen Begegnungsräume. So soll ein lebendiges, urbanes Umfeld entstehen, das Vergangenheit und Zukunft miteinander verbindet. Die denkmalgeschützte Halle bleibt das Herzstück dieses neuen Stadtteils – als sichtbares Erbe und identitätsstiftender Mittelpunkt.

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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