Holzbau knackt die Regel: Fenster tragen mehr als gedacht
Neue Modelle zeigen: Wände mit Fenstern tragen mehr zur Stabilität bei als gedacht. Das spart Material und macht den Holzbau effizienter.
Mehr als Luft: Nadja Manser untersucht die horizontale Traglast von Wänden in Holzrahmenbauweise, die Fensteröffnungen enthalten.
Foto: Empa
Holzbau ist nachhaltig, doch bei der Statik von Wänden mit Fensteröffnungen fehlten bisher Daten. Ein Projekt von Empa, BFH und ETH Zürich untersucht mit Versuchen und Modellen, welchen Beitrag diese Wände zur Aussteifung leisten. Ziel ist, Stahlverankerungen und Betonkern zu reduzieren – für effizientere und ressourcenschonendere Holzbauten.
Inhaltsverzeichnis
Wenn das Holz knackt
Es klingt wie ein kleines Drama in der Werkhalle: Ein Knall, dann Stille. Vorher hatte die Zahl auf dem Bildschirm unaufhörlich nach oben gezählt. Über 100 Kilonewton drückten seitlich gegen eine zweigeschossige Holzwand, bis einer der Balken nachgab. Nadja Manser, Bauingenieurin an der Empa, nickt zufrieden. „Der Versuch war erfolgreich.“
In den folgenden Tagen wird die Wand wieder abgebaut, Kameras und Sensoren werden neu positioniert. Dann ist die nächste Konstruktion an der Reihe. Immer wieder derselbe Ablauf: aufbauen, belasten, dokumentieren, zerstören.
Diese Szenen markieren den Höhepunkt eines Forschungsprojekts, das die Empa gemeinsam mit der Berner Fachhochschule, der ETH Zürich, dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) und mehreren Industriepartnern seit 2021 verfolgt. Ihr Ziel: eine Lücke im Holzbau schließen.
Wo die Berechnung hakt
Holzrahmenbau gilt als klimafreundliche Alternative zu Beton. Doch bei der Statik gibt es eine Schwachstelle: Wände mit Fensteröffnungen werden in der Praxis ignoriert, wenn es um die horizontale Aussteifung geht. Der Grund ist simpel – niemand weiß genau, wie viel Last diese Wände tatsächlich aufnehmen können.
„Sobald ein Fenster in der Fassade eingeplant ist, muss das ganze Wandsegment vom planenden Ingenieur so behandelt werden, als sei dort nur Luft. Das ist nicht effizient“, erklärt Nadja Manser.
Das Problem betrifft nicht nur die Schweiz. Auch in anderen europäischen Ländern fehlen klare Regeln. Dabei sind horizontale Kräfte für Gebäude entscheidend – sei es Wind, der gegen die Fassade drückt, oder ein Erdbeben.

Eine zweigeschossige Hauswand mit Fensteröffnungen wird kontrolliert unter Druck gesetzt. Die Forschenden führten eine Reihe solcher Versuche an der Empa durch.
Foto: Empa
Schritt für Schritt zum Modell
Die Forschenden begannen klein. An der Berner Fachhochschule testeten sie zunächst einzelne Beplankungsplatten. Dann folgten kleinere Wandelemente, später ganze eingeschossige Wände mit Öffnungen unterschiedlicher Größe.
In der Empa-Halle wurden schließlich Großversuche gefahren: zweigeschossige Holzwände und lange eingeschossige Konstruktionen, jeweils mit zwei Fensteröffnungen nebeneinander. Das Ergebnis: Die Wände leisten einen erheblichen Beitrag zur Stabilität.
Daraus entsteht nun ein Computermodell, das die horizontale Aussteifung von Wänden mit Öffnungen berechnen kann. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass weniger Stahlverankerungen nötig sein könnten. Manser sagt: „Bei gewissen Gebäuden kann womöglich auf einen Betonkern verzichtet werden, der heute bei vielen Holzbauten notwendig ist.“
Zeit, Geld und Material sparen
Das klingt nach nüchterner Mathematik, hat aber praktische Folgen. Stahlverankerungen und Betonkern bedeuten Kosten, zusätzliches Gewicht und mehr graue Energie. Könnte man darauf verzichten, lassen sich Ressourcen einsparen. Holzbau würde damit noch wirtschaftlicher und nachhaltiger.
Eine Studie des Umweltbundesamts zeigt, dass Bauen mit Holz den CO₂-Ausstoß deutlich reduzieren kann – um bis zu 50 % im Vergleich zu konventionellem Betonbau. Jede Schraube und jeder Kubikmeter Beton, den man spart, macht einen Unterschied.
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Vom Forschungsmodell zur Praxis
Noch ist das Rechenmodell komplex. Zu viele Parameter, zu viel Rechenaufwand für den Alltag auf der Baustelle. Doch die Forschenden wollen es vereinfachen. „Das Ziel ist, daraus ein vereinfachtes Praxismodell abzuleiten, das weniger rechenintensiv ist, aber trotzdem ausreichend genaue Werte liefert“, so Manser.
Dabei hilft die enge Zusammenarbeit mit der Industrie. Schon während des Projekts mussten Forschung und Praxis zusammenfinden. Unterschiedliche Ansprüche waren manchmal schwer unter einen Hut zu bringen. Doch genau das könnte den Erfolg sichern: Wenn das Modell fertig ist, soll es direkt im Alltag von Ingenieur*innen nutzbar sein.
Ein Blick in die Zukunft
Die Statik ist im Holzbau der Schlüssel zur Effizienz. Neue Berechnungsmethoden machen den Unterschied, ob ein Haus einen schweren Sturm oder gar ein Erdbeben aushält – oder ob es mehr Stahl und Beton braucht, als nötig wäre.
Die Forschenden hoffen, dass ihre Arbeit bald in Normen einfließt. Erst dann können Planer die zusätzlichen Tragreserven von Wänden mit Öffnungen in die Berechnungen aufnehmen. Bis dahin bleibt es bei weiteren Versuchen, Modellen und viel Holz, das unter kontrolliertem Knacken den Forschenden die Antworten liefert.
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