Was tun mit alten Windrädern? Schweden baut daraus ein Parkhaus
Rotorblätter sind schwer zu recyceln. Ein Parkhaus in Schweden nutzt sie als Fassade und macht Nachhaltigkeit sichtbar.
Die Fassade des Niels-Bohr-Parkhauses in Lund besteht teilweise aus ausrangierten Rotorblättern.
Foto: Hadil El-imam/Lunds Kommuns Parkerings AB
Windkraft gilt als tragende Säule der Energiewende. Doch mit dem Ausbau wächst ein anderes Problem. Immer mehr Anlagen erreichen das Ende ihrer Lebensdauer. Türme, Generatoren und Fundamente lassen sich vergleichsweise gut verwerten. Die Rotorblätter hingegen bereiten der Branche seit Jahren Kopfzerbrechen. Sie sind langlebig, stabil und technisch komplex – aber genau das macht ihre Entsorgung schwierig. In Lund im Süden Schwedens steht nun ein Bauwerk, das zeigt, wie aus diesem Problem eine Ressource werden kann.
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Ein Parkhaus als Experimentierfeld
Im neuen Stadtteil Brunnshög am Stadtrand von Lund wurde kürzlich der sogenannte Niels-Bohr-Parkplatz eröffnet. Das mehrstöckige Parkhaus fällt nicht wegen seiner Höhe oder Größe auf. Es sticht durch seine Fassade hervor. Große Teile der Außenhülle bestehen aus ausgedienten Rotorblättern eines stillgelegten Windparks in Dänemark. Die Blätter stammen aus dem Windpark Nørre Økse Sø, der vom Energieunternehmen Vattenfall betrieben wurde.
Der Parkplatz gehört der kommunalen Parkgesellschaft Lunds kommunala parkeringsbolag, kurz LKP. Auf fünf Etagen bietet das Gebäude Platz für 365 Fahrzeuge. 40 Stellplätze sind mit Ladepunkten für Elektroautos ausgestattet. Auf dem Dach erzeugen Solarmodule Strom, der in einer Batterie gespeichert wird. Nachts fließt die Energie in die Ladeinfrastruktur. Das Gebäude soll damit nicht nur Autos aufnehmen, sondern auch zeigen, wie sich Materialien länger nutzen lassen.
Die Idee entstand beim Lesen
Der Anstoß für das Projekt kam nicht aus einem Labor oder einem Förderprogramm, sondern aus einem Zeitschriftenartikel. Architekt Jonas Lloyd stieß auf einen Bericht über die US-amerikanische Windindustrie. Darin ging es um die Frage, was mit ausgedienten Rotorblättern geschieht. In vielen Fällen landen sie auf Deponien, weil eine wirtschaftliche Wiederverwertung fehlt.
„Ich habe gelesen, dass in den USA viele der Blätter vergraben werden, und dachte, dass man sie besser nutzen könnte. Das ist nicht nur ein Umweltproblem, sondern auch Verschwendung“, sagt Lloyd.
Als LKP einen neuen Parkplatz plante, griff er diese Idee auf. Gemeinsam mit seinem Team entwarf er ein Parkhaus, das Rotorblätter nicht versteckt, sondern sichtbar einsetzt. Die Blätter bilden sogenannte Vorhangfassaden. Das sind nichttragende Bauteile, die vor die eigentliche Gebäudestruktur gesetzt werden. Für ein Parkhaus ist das funktional. Die offenen Strukturen sorgen für Belüftung und Tageslicht.
Warum Rotorblätter so problematisch sind
Rotorblätter moderner Windkraftanlagen sind technische Hochleistungsprodukte. Sie bestehen aus Verbundwerkstoffen, meist aus Glas- oder Carbonfasern, eingebettet in Kunstharze. Diese Materialien machen die Blätter leicht und stabil. Sie halten Wind, Regen und UV-Strahlung über Jahrzehnte aus. Genau diese Eigenschaften erschweren jedoch das Recycling.
Die einzelnen Materialschichten lassen sich kaum trennen. Klassische Recyclingverfahren stoßen an Grenzen. Mechanisches Zerkleinern führt oft nur zu minderwertigen Füllstoffen. Thermische Verfahren sind energieintensiv. Deshalb sucht die Branche nach Alternativen, die über das reine Recycling hinausgehen.
Sichtbare Nachhaltigkeit statt grauer Theorie
Für Lloyd stand früh fest, dass das Gebäude mehr leisten soll als eine gute Ökobilanz. Er spricht von „sichtbarer Nachhaltigkeit“. Die Idee dahinter: Wer das Parkhaus sieht, soll sofort erkennen, dass hier etwas anders ist.
„Vor allem freue ich mich, dass wir Nachhaltigkeit fördern und dass das Gebäude zu einem Symbol für Nachhaltigkeit geworden ist. Es soll als Augenöffner dienen. Wenn man das Gebäude sieht, sollte man innehalten und sich fragen: Die haben das geschafft, was kann ich tun?“, sagt Lloyd.
Neben den Rotorblättern setzt das Gebäude auf weitere Elemente. Begrünte Fassadenteile bieten Lebensraum für Insekten. Die Kombination aus Pflanzen, Solartechnik und wiederverwendeten Materialien soll zeigen, dass Kreislaufwirtschaft nicht abstrakt bleiben muss.
Vattenfall sucht neue Wege für alte Anlagen
Mit mehr als 1400 Windkraftanlagen in mehreren Ländern gehört Vattenfall zu den großen Akteuren der Branche. Entsprechend relevant ist für das Unternehmen die Frage, was nach dem Rückbau passiert. Anne Mette Traberg, Country Managerin von Vattenfall für Dänemark, sieht das Parkhaus als Signalprojekt.
„Dies ist ein sichtbarer und konkreter Beweis dafür, dass Nachhaltigkeit die Kosten-, Zeitplan- und Sicherheitsanforderungen eines Projekts erfüllen kann“, sagt sie.
Vattenfall hat die 57 Rotorblätter für das Projekt zur Verfügung gestellt. Das Unternehmen verfolgt seit Jahren das Ziel, die Kreislaufwirtschaft im eigenen Geschäft auszubauen. Gebrauchte Rotorblätter werden, wenn möglich, weiterverkauft oder umgenutzt. Sie dienen etwa als Rahmen für Solaranlagen, als Dämmmaterial oder als Ausgangsstoff für andere Produkte. Selbst Skier wurden bereits aus alten Rotorblättern gefertigt.
Zudem hat Vattenfall ein Deponieverbot für ausgediente Rotorblätter eingeführt. Bis 2030 sollen 100 % der Blätter recycelt oder wiederverwendet werden. Derzeit bleibt nur ein kleiner Teil ohne Anschlusslösung. Traberg zeigt sich zuversichtlich, dass neue Verfahren diesen Rest schließen können.
Stolz und Skepsis beim Bauherrn
Für LKP war das Projekt ein Wagnis. Das Unternehmen verwaltet rund 28.000 Parkplätze in der Region. Ein Parkhaus aus Windradteilen gehörte bislang nicht zum Standardrepertoire. CEO Paul Myllenberg erinnert sich an gemischte Reaktionen.
„Es ist wirklich gut geworden. Die Realität hat die Erwartungen übertroffen“, sagt er. Gleichzeitig räumt er ein, dass die ersten Entwürfe intern für Stirnrunzeln sorgten. „Zum Glück haben wir einen mutigen Vorstand.“
LKP schließt nicht aus, die Rotorblätter auch in künftigen Projekten einzusetzen. Von den gespendeten Blättern sind noch einige übrig. Um neue Ideen zu sammeln, hat das Unternehmen einen Wettbewerb gestartet. Bürgerinnen und Bürger können Vorschläge einreichen, wie sich die Blätter nutzen lassen. Der Gewinn: ein Monat kostenloses Parken.
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