Noch eine Absage – und jetzt?
Wie Ingenieure mit Resilienz durch den Bewerbungsprozess kommen – erklärt die Personalberaterin Sybille Heinemann beim VDI nachrichten Recruiting Tag in Hamburg.
Gleich geht es auch mit Vorträgen los. Für viele gehören Absagen im Bewerbungsprozess leider zum Alltag. Wie kann man damit umgehen und gegensteuern?
Foto: Alexandra Ilina
Wieder eine Absage. Eine von vielen. Für viele Ingenieurinnen und Ingenieure ist das derzeit Alltag – trotz Fachkräftemangel, Top-Qualifikationen und sorgfältig verfasster Bewerbungen. Die Frustration wächst, der Glaube an die eigenen Chancen sinkt.
Doch Personalberaterin Sybille Heinemann will an diesem Vormittag in der Hamburger Handelskammer im Rahmen des VDI nachrichten Recruiting Tages einen anderen Blick eröffnen. Die Unternehmerin aus Magdeburg und Leipzig begleitet seit über 26 Jahren Ingenieurinnen und Ingenieure in ihrer beruflichen Entwicklung. Ihre Botschaft: Resilienz ist der entscheidende Erfolgsfaktor in der Jobsuche.
„Resilienz bedeutet Frustrationstoleranz – also die Fähigkeit, mit Rückschlägen umzugehen, ohne daran zu zerbrechen“, erklärt Heinemann. „Und genau diese Stärke brauchen Bewerber heute mehr denn je.“
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Der Arbeitsmarkt: Engpass trotz Flaute
Auf den ersten Blick scheint die Lage paradox. Es gibt bundesweit viele offene Ingenieurpositionen. „Aber die Realität ist komplexer“, sagt Heinemann. Besonders groß sei der Bedarf in der Energie- und Elektrotechnik, wo auf 100 Arbeitssuchende 558 freie Stellen kommen. Gleichzeitig sanken die Ausschreibungen insgesamt um rund 15 %. „Das liest sich dramatischer, als es ist“, beruhigt sie. „Die Nachfrage ist da – nur dauert es heute länger, bis Bewerbungsprozesse abgeschlossen sind.“
Viele Unternehmen suchten noch immer die sprichwörtliche „eierlegende Wollmilchsau“. Zwischen Personalabteilung und Fachabteilung klaffe oft ein Kommunikationsgap. „Kein Wunder, dass sich Bewerber dann fragen, warum Wochen oder gar Monate vergehen, ohne eine Rückmeldung zu erhalten“, so Heinemann. „Aber das hat selten etwas mit der eigenen Qualifikation zu tun.“

Sybille Heinemann.
Foto: privat
Resilienz als Wettbewerbsvorteil
Geduld sei die wichtigste Ressource in solchen Zeiten. „Der Bewerbungsprozess ist kein Sprint, sondern ein Marathon“, sagt Heinemann. Wer das verinnerliche, verliere weniger Energie und bleibe klarer im Denken.
Sie empfiehlt feste Routinen: „Legen Sie sich klare Zeitfenster fest – etwa morgens eine Stunde für die Stellensuche. Danach ist das Thema für den Tag abgeschlossen.“ So bleibe Raum für Regeneration und Abstand.
Und sie rät zu Ordnung: „Führen Sie ein Bewerbungs-Tagebuch. Viele wissen nach einiger Zeit gar nicht mehr, wo sie sich beworben haben. Struktur bringt Ruhe – und Kontrolle.“
„Aus Mitleid wird man nie eingestellt“
Heinemann weiß aus Erfahrung, dass die psychische Verfassung eine größere Rolle spielt, als viele glauben.
„Ich sitze oft Menschen gegenüber, die mit hängenden Schultern dasitzen. Sie wirken erschöpft, enttäuscht, leer. Aber aus Mitleid wird man nie eingestellt.“
Ihr Rat: auf die eigene mentale und körperliche Gesundheit achten. Ausreichend Schlaf, Bewegung, bewusste Atmung und Ernährung seien entscheidend, um innere Stabilität aufzubauen. „Wer körperlich ausgebrannt ist, kann auch seelisch nicht widerstandsfähig bleiben.“
Neue Wege in der Stellensuche
Die klassische Onlinebewerbung allein reiche heute nicht mehr aus. Heinemann betont die Bedeutung des verdeckten Stellenmarkts – also jener Jobs, die nie öffentlich ausgeschrieben werden.
„Gehen Sie auf Fachkonferenzen, Netzwerktreffen und Branchenevents“, rät sie. „Dort treffen Sie die Menschen, die wirklich entscheiden.“
Auch LinkedIn sei heute ein Muss: „Ihr Profil ist Ihr digitales Schaufenster. Aber posten Sie nicht nur Ihren Lebenslauf – treten Sie in den Dialog. Kommentieren Sie Fachbeiträge, teilen Sie Ihr Wissen. So werden Sie sichtbar.“
Heinemann empfiehlt, mehrere Wege parallel zu gehen: „Es ist völlig normal, sich bei mehreren Unternehmen gleichzeitig zu bewerben. Manche Arbeitgeber reagieren irritiert – aber sie selbst sprechen ja auch mit mehreren Kandidaten.“
Flexibel bleiben – und Chancen erkennen
Viele Ingenieurinnen und Ingenieure seien in ihren Branchen oder Rollen festgefahren. Heinemann ermutigt zum Perspektivwechsel:
„Manchmal liegt die passende Stelle in einer Nachbarbranche. Wer offen bleibt, entdeckt neue Wege.“
Auch befristete Engagements oder Interim-Projekte sollten nicht vorschnell abgelehnt werden. „Sehen Sie sie als Chance – als Brücke in neue Erfahrungen.“ Weiterbildung könne helfen, wenn sie gezielt gewählt werde. „Ein Zertifikat ist kein Selbstzweck. Wichtig ist, dass es zu Ihrer beruflichen Strategie passt.“
In diesem Zusammenhang gewinnt Re-skilling zunehmend an Bedeutung. Wer offen für neue Rollen oder Branchen ist, sollte prüfen, welche Fähigkeiten er oder sie gezielt erweitern kann, um den Anforderungen des sich wandelnden Arbeitsmarktes gerecht zu werden. Besonders gefragt sind Kenntnisse in Digitalisierung, Datenanalyse oder nachhaltigen Technologien. Re-skilling ermöglicht es, bestehende Kompetenzen in neue Kontexte zu übertragen, und erhöht die Chancen, in Zukunft flexibel auf Veränderungen reagieren zu können.
Haltung entscheidet
Nach mehr als zwei Jahrzehnten Erfahrung in der Personalberatung zieht Heinemann ein klares Fazit:
„Resilienz, Geduld und Sichtbarkeit sind die Schlüssel zum Erfolg.“
Absagen seien Teil des Prozesses und sagten meist mehr über interne Abläufe als über die eigene Person. „Nehmen Sie Rückschläge nicht persönlich – und behalten Sie Ihren positiven Blick.“
Ihr abschließender Appell: „Verstecken Sie sich nicht. Gehen Sie raus – zu Fachkonferenzen, in Netzwerke, auf Plattformen wie LinkedIn. Denn wer sichtbar bleibt und Haltung zeigt, wird auch gesehen.“
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