Mehr Frauen in Tech: Wie Industry4Her Barrieren abbaut und Karrieren ermöglicht
Industry4Her ist eine brasilianische Initiative, die im Kontext der vierten industriellen Revolution (Industrie 4.0) ins Leben gerufen wurde, um gezielt die Teilhabe von Frauen in technologieorientierten Industriezweigen zu fördern. Ziel ist es, Frauen für Berufe in Bereichen wie digitale Transformation, Innovation, Automatisierung, Künstliche Intelligenz und Robotik zu gewinnen und bestehende Barrieren in männerdominierten technischen Berufen abzubauen.

Renate Fuchs, Gründerin von Industry4Her, präsentiert das Programm auf der EXPOMAFE.
Foto: Alexandra Ilina
Am Rande der EXPOMAFE haben wir mit der Gründerin der Initiative und der Vice-Präsidentin der VDI-Brazil Renate Fuchs gesprochen. Bei der Messe wurde das Programm präsentiert
Könnten Sie uns etwas über das Projekt Industry4her erzählen? Sie sind ja die Gründerin dieses Projekts. Wie ist die Idee dazu entstanden?
Im Jahr 2019 kam ich als erste Vizepräsidentin zum VDI und war dort für den Cluster ‚Inclusion and Diversity‘ verantwortlich. Ich hatte den Wunsch, etwas Neues zu initiieren – ein Projekt, das nachhaltig wirkt.
Damals dachte ich viel an die jungen Frauen, die in die Industrie einsteigen wollen – und an meine eigenen Erfahrungen. Oft war ich die einzige Frau im Raum. Ich wollte dazu beitragen, dass Frauen von morgen andere Voraussetzungen vorfinden und nicht dieselben Hürden erleben müssen wie ich.
Die konkrete Idee kam tatsächlich sehr spontan – unter der Dusche. Ich hatte bereits einen Termin mit dem damaligen Direktor des VDI vereinbart, ohne genau zu wissen, was ich vorschlagen würde. Aber ich arbeite gut unter Druck – und so kam mir die Idee: Wir brauchen gezielte Qualifizierungsprogramme für Frauen in der Industrie.
Denn das Problem ist vielschichtig: Noch immer entscheiden sich vergleichsweise wenige Frauen für ein Ingenieurstudium – das ist oft das Erste, worauf geschaut wird, wenn Stellen frei sind. Dabei gibt es durchaus viele talentierte Frauen, die in der Industrie mitwirken und deren Transformation mitgestalten wollen. Die Unternehmen haben einen hohen Bedarf und suchen genau diese Talente. Doch leider finden diese beiden Seiten oft nicht zusammen.
Der VDI war sofort offen für die Idee – mit dem Hinweis: ‚Wir haben kein Budget, aber viele gute Partner.‘ Also haben wir gemeinsam angefangen, das Projekt zu entwickeln. Wir haben Universitäten und Partner mit ins Boot geholt. Und die Resonanz war überwältigend: Alle sagten, dass es so etwas noch nicht gibt – Programme für Frauen in Tech und Innovation, ja, aber speziell für Frauen in der Industrie? Fehlanzeige.
Wir haben dann gezielt nach Teilnehmerinnen gesucht – und es war unglaublich: Über tausend Frauen haben ihr Interesse bekundet. 450 haben uns ausführliche Motivationsschreiben geschickt. Schließlich haben wir 24 Teilnehmerinnen für die Pilotgruppe ausgewählt, die das Programm als Erste durchlaufen haben.
Chancen für Frauen schaffen
Wie viele Frauen konnten Sie bisher durch das Programm unterstützen, und welche Rolle spielen die Unternehmen dabei?
Insgesamt haben wir bereits 700 Frauen qualifiziert. Aktuell befinden wir uns in der 12. Edition des Programms in Brasilien.
Über 50 Unternehmen unterstützen uns als Sponsoren. Der besondere Rahmen dabei ist: Diese Unternehmen helfen nicht nur ihren eigenen Mitarbeiterinnen, indem sie sie ins Programm schicken, sondern sie ermöglichen auch Frauen die Teilnahme, die aktuell keinen Job haben.
So schaffen wir echte Chancen für Frauen, die sonst keinen Zugang zu solchen Qualifizierungsangeboten hätten.

Renate Fuchs, Gründerin von Industry4Her und Vizepräsidentin der VDI-Brazil, setzt sich mit Leidenschaft für mehr Sichtbarkeit und Chancen von Frauen in der Industrie 4.0 ein.
Foto: privat
Kommunikation ist sehr wichtig
Können Sie uns einen Einblick geben, wie das Programm aussieht? Welche Themen und Inhalte werden darin vermittelt?
Das Programm besteht aktuell aus zwei Modulen: einem Standard-Modul – über 60 Stunden und einem Leadership-Modul – 25 Stunden. Im Leadership Modul geht es hauptsächlich über Mentorship.
Im Standard-Modul behandeln wir vier zentrale Themen:
- Industrie 4.0 – Was sind die aktuellen Technologien? Wie arbeitet man mit Daten? Wie setzt man agile Methoden in Projekten um?
- Praxisbeispiele aus der Industrie – Unternehmen stellen reale Cases vor, damit die Teilnehmerinnen sehen, wie die Umsetzung in der Praxis aussieht.
- Design Thinking – Die Teilnehmerinnen bekommen Trainings in Design Thinking und arbeiten parallel an echten Herausforderungen von Unternehmen.
- Soft Skills – Dazu gehören Themen wie Kommunikation, Teamarbeit und persönliche Weiterentwicklung.
Ziel ist es, Wissen und Praxis miteinander zu verbinden – damit die Teilnehmerinnen nicht nur Theorie lernen, sondern auch direkt anwenden können.
Welche Soft Skills sind aus Ihrer Sicht besonders wichtig für Frauen in der Industrie?
Kommunikation ist ein zentraler Soft Skill – insbesondere für Frauen in technischen Berufen. Es geht darum, wie sie mit ihren Teams zusammen arbeiten sollen, wie sie mit Konflikten umgehen und vor allem, wie sie sich selbstbewusst positionieren können.
Ein großes Thema, das viele Teilnehmerinnen ansprechen, ist, dass sie sich oft nicht gehört oder gesehen fühlen. Sie haben das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden – trotz ihrer Kompetenz. Genau da setzen wir im Programm an: Wir stärken nicht nur fachliche, sondern auch persönliche Fähigkeiten, um in solchen Situationen souverän und selbstsicher auftreten zu können.
Ist das Thema Gender Pay Gap – also die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern – auch in Brasilien noch ein aktuelles Thema?
Ich denke, in den großen Unternehmen ist das Thema Gender Pay Gap bereits besser adressiert. Allerdings ist Brasilien ein großes Land mit sehr unterschiedlichen Regionen, und deshalb kann man heute noch nicht sagen, dass das Problem vollständig gelöst ist.
Wie hoch ist eigentlich der Frauenanteil in brasilianischen Unternehmen? Auf der Messe habe ich viele Frauen gesehen, was mich positiv überrascht hat. Ist das repräsentativ, oder sind es in Wirklichkeit doch weniger?
In den vergangenen Jahren ist der Frauenanteil in Führungspositionen in Brasilien langsam, aber stetig gestiegen. Im Jahr 2023 lag der Anteil von Frauen in Unternehmensleitungen bei 17 %, in Vizepräsidien bei 22 % und in Direktionen bei 27 %. (Sources Talenses Group Studie Panorama Mulheres 2023)
Außerdem höre ich oft, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen ein wichtiges Thema ist. Wie wird das in Brasilien gehandhabt?
Um Familie und Beruf wirklich gut miteinander zu vereinbaren, braucht man oft Unterstützung. Gerade in Leitungspositionen ist es üblich, sich zum Beispiel eine Kinderbetreuung oder Hilfe aus der Familie zu organisieren, damit die Kinder bestmöglich aufwachsen können.
Ich denke, diese Herausforderung ist global sehr ähnlich. Frauen übernehmen in der Regel den Großteil der Haus- und Familienarbeit und haben dadurch oft eine größere Doppelbelastung als Männer.
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„Wir Frauen können uns wirklich alles zutrauen“
Haben Sie einen Tipp oder Ratschlag für Frauen, die am Anfang ihrer Karriere stehen und noch unsicher sind, ob sie den nächsten Schritt wagen sollen?
Erstens: Wir Frauen können uns wirklich alles zutrauen. Immer mehr sehen wir Frauen, die sich beruflich verwirklichen und als Vorbilder fungieren.
Mein Tipp ist, sich auf die eigenen Stärken zu konzentrieren – auch wenn es sich um soziale Kompetenzen handelt.
Gleichzeitig ist es entscheidend, sich mit neuen Technologien vertraut zu machen. Man muss nicht jede einzelne Technologie bis ins kleinste Detail beherrschen oder programmieren können, aber es ist wichtig, ein grundlegendes Verständnis zu entwickeln: Welche Technologien gibt es, wie können wir sie in der Arbeit nutzen, und welche Ergebnisse lassen sich damit erzielen?
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