Strategie 01.08.2024, 11:00 Uhr

Führen auf Distanz: Worauf es wirklich ankommt

Hybrid Work ist einerseits selbstverständlich geworden, andererseits streben etliche Unternehmen zurück in die alte Welt und verordnen Anwesenheitspflicht. Ob das gelingt? Warum Führung auf Distanz allen Unkenrufen zum Trotz immer wichtiger wird und wie es gelingt, erklärt Gudrun Happich, seit rund 20 Jahren Führungskräfte-Coach.

Gudrun Happich

Gudrun Happich.

Foto: Galileo-Institut

Viele Unternehmen, vor allem auch aus der Tech-Branche, beordern reihenweise Mitarbeitende zurück ins Büro. Eine gute Idee?

Das kommt darauf an, welche Idee damit verfolgt wird. Was ich beobachte, dass man sich damit mehr „Kontrolle“ und „Engagement der Mitarbeiter“ erhofft. Die Annahme: Wenn die Leute wieder im Büro sind, dann werden sie sich mehr engagieren und sich wieder mehr mit dem Unternehmen und den Aufgaben identifizieren. Ob diese Annahme aufgeht, steht auf einem ganz anderen Blatt. Aus meiner Sicht und Erfahrung sollte im Vordergrund stehen: Wie binde ich meine Mitarbeiter ans Unternehmen? Was ich aktuell vielfach höre und lese, dass viele Mitarbeiter – insbesondere in der Tech-Branche – formulieren: „Wenn ich jetzt wieder Vollzeit ins Büro soll, ist das für mich ein Kündigungsgrund.“

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Zwischenmenschliche Ebene

Was sind die größten Probleme beim Führen auf Distanz?

Führen über Standorte und Kontinente hinweg, hat es schon immer gegeben. Die Coronakrise und der damit verbundene Zwang zum Home Office ließ viele Führungskräfte erstmals Erfahrungen mit Distance Leadership sammeln. In der Praxis entstehen Unsicherheiten und es werden Fragen wie diese gestellt:

  • Wie halte ich Kontakt zu meinen Mitarbeitern?
  • Wie sichere ich die Leistungsfähigkeit und Produktivität?
  • Wie motiviere ich Mitarbeiter aus der Ferne?
  • Wie schaffe ich eine Teamatmosphäre?

Bei der Lösung dieser Herausforderungen wird vielfach an Tools und Methoden gedacht. Aber es kommt in erster Linie auf die zwischenmenschliche Ebene an. Es geht darum als Führungskraft vertrauensvolle Beziehungen zu Mitarbeitern und Kollegen aufzubauen. Darum, das Team zusammenzuhalten und zu motivieren, das sich nur virtuell trifft.

Remote Führen in technischen Berufen

Ist remote Führen in technischen Berufen schwieriger? Gibt es hier Besonderheiten?

Ich würde gerne antworten: JAein!! Man unterstellt Mitarbeitern in technischen Berufen ja gerne, dass sie eher auf der sachlichen Ebene zuhause sind und zwischenmenschlicher Kommunikation nicht so viel abgewinnen können. In meiner über 30-jährigen Erfahrung als C-Level-Coach kann ich das nicht bestätigen. Als Führungskraft sollte ich mich für meine Mitarbeiter auch als Menschen interessieren, egal ob technische Berufe oder nicht.

Auf was kommt es beim Führen auf Distanz an, damit Teams motiviert sind und beste Leistungen erbringen?

Wie gesagt, die zwischenmenschliche Ebene steht beim Führen auf Distanz an erster Stelle. Dazu ein paar Impulse: Bei neuen Mitarbeitern oder auch in der Anfangsphase der Zusammenarbeit besuchen Sie sie an deren Standorten. Lernen Sie sie kennen, in DEREN Umfeld, stellen Sie interessierte Fragen, erleben sie, wie sich der Mitarbeiter verhält. So gewinnen Sie nicht nur einen ersten Eindruck, sondern Sie zeigen Ihre Wertschätzung, und bauen gleichzeitig tragfähige Beziehungen auf.

Was ist noch wichtig?

Investieren Sie am Anfang genügend Zeit, um mindestens zu den wichtigsten Mitgliedern Ihres Teams eine feste Beziehung aufzubauen. Diese persönlichen Treffen können Sie am Anfang alle sechs Wochen bis drei Monate wiederholen. Experimentieren Sie, was für das Team gut ist. Kombinieren Sie es mit den virtuellen Treffen. Finden Sie heraus, wie die ideale Zusammensetzung der Treffen, Dauer und Frequenz der gemeinsamen Meetings erfolgen soll. Wenn Sie ganze Standorte betreuen, bauen Sie eine enge vertrauensvolle Beziehung zu einer einflussreichen und vertrauenswürdigen Person vor Ort auf. Sie ist Ihre Verbindungsperson und gleichzeitig Multiplikator – eine Art verlängerter Arm vor Ort. Zu dieser Person halten Sie engen Kontakt, statt zu vielfältigen Kontaktpersonen vor Ort.

Impulse und Bestpractice Empfehlungen

Lässt sich das lernen?

Ja, auf jeden Fall. Hierzu ein paar Impulse und Bestpractice Empfehlungen:

  1. Bauen Sie persönliche Kontakte auf – wie in der vorhergehenden Antwort formuliert.
  2. Führen Sie Regeln und Routinen ein. Alles, was sich als gut in der Zusammenarbeit herausgestellt hat, etablieren Sie bitte als Regeln, die für alle gelten. So etablieren Sie erfolgreiche Routinen. Für Führung auf Distanz benötigen Sie unbedingt verbindliche Spielregeln, die den Zusammenhalt und die Verlässlichkeit sicherstellen.
  3. Nutzen Sie eine feste Agenda für Meetings: Egal ob Team- oder Einzelmeetings, die Agenda hilft allen zur Orientierung. Jeder kann sich vorbereiten und alle können sich auf die wirklich wichtigen Punkte konzentrieren. Für die Kommunikation untereinander vereinbaren Sie eine „Netiquette“ sowohl für die (Video)-Meetings, als auch für den E-Mail-Austausch. Achten Sie als Führungskraft unbedingt an die Einhaltung dieser Punkte und Regeln. Erst wenn diese Führungsstandards fest etabliert sind, können Sie über individuelle Führungsweisen nachdenken.
  4. Halten Sie das Team zusammen und motivieren Sie Ihre Mitarbeiter: Pflegen Sie regelmäßige persönliche Kontakte, etwa über TeamsChat oder Whatsapp. Zeigen Sie dem Mitarbeiter, dass Sie an ihm interessiert sind. Nutzen Sie persönliche Gespräche, um noch mehr Vertrauen aufzubauen und/oder den Überblick und die Kontrolle zu behalten.

Lassen Sie sich vor Ort blicken. So gewinnen Sie regelmäßig einen aktuellen Eindruck und drücken durch diesen auch Ihre Wertschätzung aus. Vermeiden Sie es, das einzige Teammitglied zu sein, das sich regelmäßig nur virtuell zuschaltet, während sich alle anderen physisch vor Ort versammeln.

Nutzen Sie agendafreie virtuelle Meetings, wo Sie Raum und Zeit für „Befindlichkeiten“ lassen. Aufgestautes findet Luft, Emotionen können zielgerichtet geäußert werden. Dafür Lösungen zu entwickeln ist möglich.

Organisieren Sie echte Begegnungen. Neben allen Vorteilen für das virtuelle Führen darf der Wert eines Physischen Treffens nicht unterschätzt werden. In regelmäßigen Abständen sollte der persönliche Austausch, die Atmosphäre im Team und echte Begegnung im Vordergrund stehen.

Wird das Führen verteilter Teams aus der Ferne künftig zu einer Kernkompetenz für Führungskräfte?

Ja, das Führen von virtuellen Teams gehört heute zum festen Bestandteil des beruflichen Alltags und wird es aller Voraussicht nach auch weiterhin bleiben. Dabei müssen die Mitarbeiter keineswegs rund um den Erdball verteilt sein: Es reicht manchmal schon das Nebengebäude, das benachbarte Stockwerk oder der Standort um die Ecke. Statt sich auf Tools und Methoden zu konzentrieren, liegt der Schlüssel darin, wie Sie als Führungskraft die zwischenmenschliche Ebene managen und trotz der räumlichen Trennung eine solide Beziehungsebene aufbauen.

Die Expertin.
Gudrun Happich ist seit rund 30 Jahren Führungskräfte-Coach sowie Sparringspartnerin für Geschäftsführer, Vorstände und C-Levels sowie Führungspersönlichkeiten, die das klare Ziel haben, dorthin aufzusteigen. Die Diplom-Biologin und Inhaberin des Galileo Instituts blickt selbst auf langjährige Führungserfahrung zurück und war unter anderem als Mitglied der Geschäftsleitung für mehr als 1.000 Mitarbeiter im Raum DACH verantwortlich. Gudrun Happich ist Autorin mehrerer Bücher, darunter der Business-Bestseller „Ärmel hoch“ und „Herausforderungen im Führungsalltag“, das 2021 den getAbstract Readers Choice Award gewonnen hat. Dieses Buch ist 2024 vollkommen überarbeitet und ergänzt im Haufe Verlag neu erschienen. Ihr neues Buch „C-Level. Im Top-Management erfolgreich werden, sein und bleiben“ ist 2023 im Haufe Verlag erschienen.

Ein Beitrag von:

  • Chris Löwer

    Chris Löwer

    Chris Löwer arbeitet seit mehr als 20 Jahren als freier Journalist für überregionale Medien. Seine Themenschwerpunkte sind Wissenschaft, Technik und Karriere.

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