Bereue, was du nicht getan hast
Wir lernen aus allem etwas. Das zeigt unser folgendes Szenario.

Optimistisch in die Zukunft sehen und nicht wehmütig zurück.
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Jens ist Ingenieur und bis vor Kurzem war er der Lebensgefährte von Kathrin. Die Betonung liegt auf „war“, denn nach nicht einmal einem halben Jahr des Zusammenlebens ist die Beziehung gescheitert. Jens und Kathrin hatten sich auf Anhieb ineinander verliebt, aber es trennten sie mehr als 100 Kilometer, die niemand von ihnen täglich hin- und herfahren konnte und wollte. Jens macht Nägel mit Köpfen: Er suchte sich eine neue Aufgabe im Bergischen Land, kündigte seine Wohnung und zog bei Kathrin ein. Er investierte in einige neue Möbel, um aus der Single-Wohnung einen Paarhaushalt zu machen und war glücklich.
Es gibt keine Fehlentscheidungen
Schon bald stellte sich heraus, dass der neue Job nicht seinen Erwartungen entsprach und auch nicht dem, was der Personalchef ihm beim Einstellungsgespräch erzählt hatte. Parallel dazu erwies sich das Zusammenleben mit Kathrin als schwierig, sie erwartete mehr Engagement in der Beziehung als er in seiner angespannten beruflichen Situation geben konnte. Eines Abends stand Jens vor der Tür, um mir zu erzählen, dass die Beziehung zu Ende sei und er zurück in seine Heimat gehe und sich dort wieder einen Job als Entwicklungsingenieur suche. Er wirkte ein wenig traurig, aber nicht am Boden zerstört. Auf meine Frage, ob er seine Ende letzten Jahres getroffene Entscheidung bereue, sagte er: „Ich habe noch nie im Leben etwas bereut, was ich getan habe, aber so manches Mal das, was ich unterlassen habe. Dieses Kapitel meines Lebens macht mich traurig, aber aus der Erfahrung weiß ich, dass es mich nicht umbringen wird. Ich habe viel gelernt und weiß, dass jedes Erlebnis mich in meiner Entwicklung weiterbringt. Deshalb gibt es für mich auch keine Fehlentscheidungen.“
„Hätte“ ist rückwärts gerichtet
Ich weiß nicht, ob ich in dieser Situation so souverän reagiert hätte. Oft neigen wir sogar dazu, einen Schuldigen zu suchen. Wenn der Personalchef die Aufgaben nur realistischer beschrieben hätte, wenn Kathrin weniger von ihm gefordert hätte. Und bei all diesen Formulierungen ist das Wort „hätte“ immer im Boot. Dabei ist „hätte“ so überflüssig wie Zahnschmerzen, denn es ist rückwärts gerichtet und somit weder für die Gegenwart, noch für die Zukunft hilfreich. Und wenn Jens eine andere Entscheidung getroffen hätte? Wenn er seinen alten Job behalten hätte, wenn er nicht seine Wohnung aufgegeben hätte? Dann wäre irgendetwas passiert, dass ihn hätte bedauern lassen, so und anders gehandelt zu haben. Gleich welche Entscheidung wir treffen, wir zahlen immer einen Preis dafür. Das nennt man Erfahrung.
Angst ist kein guter Ratgeber
Und hat Jens denn nun eine negative Erfahrung gemacht? Nein, nur eine Erfahrung, und so wie er damit umgeht, wird ihm vermutlich kein fader Nachgeschmack bleiben, sondern nach einem kleinen Abstand eine schöne Erinnerung. Ob ein Job der richtige ist, ob eine neue Liebe den Alltag überleben wird, das wissen wir nie, aber deshalb nur mit halber Kraft zu fahren nach dem Motto „Schaun wir mal“ macht uns zu halbherzig handelnden Menschen, die sich nicht einlassen, sich nicht trauen, Gas zu geben. Aus Angst, Fehler zu machen, gar nicht zu handeln, führt dann womöglich zu den Unterlassungen, die es tatsächlich irgendwann zu bereuen gibt. Angst ist nie ein guter Ratgeber.
Geschehenes lässt sich nicht ungeschehen machen
Viele Menschen raten lieber anderen etwas als sich selbst und auch dann ist nur ein konstruktiver Rat ein guter Rat. „Hätten Sie mal besser auf mich gehört …“. „Hätten Sie das nicht anders machen können?“. „Hätten Sie sich besser vorbereitet, wäre das nicht passiert.“ Aus Sätzen wie diesen spricht nicht der wohlwollende Ratgeber, sondern der kritische Oberlehrer, der meint, alles besser zu wissen. Er stellt sich damit über den anderen und treibt ihn buchstäblich in die Enge. Der Angesprochene hat eben seine eigene Meinung gehabt, er hat auf seine Weise gehandelt, er war womöglich nicht gut genug vorbereitet, aber ändern lässt sich das alles nicht mehr. Es ist Vergangenheit und erst jetzt und in Zukunft kann der so Kritisierte Dinge verändern, die nicht optimal gelaufen sind. Was geschehen ist, ist geschehen und wenn es ein Fehler war, dann weiß es derjenige auch selbst. Menschen haben das Recht Fehler zu machen, um daraus zu lernen. Andere Menschen haben das Recht ihnen Unterstützung für die Zukunft anzubieten, sie nehmen sich das Recht heraus zu be- und verurteilen und Vorwürfe zu machen. Die schönste Geschichte, die ich dazu einmal gehört habe, ist diese: Ein Verkäufer macht einen Fehler bei der Kalkulation und dieser Fehler kostet das Unternehmen satte 50.000 Euro. Er ist sicher, dass er die Kündigung erhält, als der Chef ihn sprechen will, aber es kommt anders. „Sie haben das Unternehmen gerade um 50.000 Euro gebracht“, beginnt der Chef, „das ist unsere Investition in ihre Erfahrung. Allerdings sind Sie damit auch unser teuerster Mitarbeiter und ich bitte Sie herzlich, noch viele Jahre in diesem Unternehmen zu bleiben, damit sich unsere Investition in Sie amortisiert.“
Wir lernen aus allem etwas
Ob Jens aus seiner Erfahrung lernt, dass er weniger schnell handeln sollte, ob er lernt, dass er einen Schritt nach dem anderen tun sollte oder ob er lernt, dass schnelles Handeln zu schnellen Ergebnissen führt, ist gar nicht wichtig. Wichtig ist, dass er sich nicht grämt, dass er sich und andere nicht verurteilt, sondern dankbar ist für das, was er erlebt hat und sich das Heute nicht mit dem Bedauern des Gestern beschwert. Was ich daraus lerne, ist, dass ich nicht so schnell das Verhalten anderer verurteilen und ganz bestimmt nicht „hättest du besser …“ sagen sollte. Lernen tun wir immer aus allem irgendetwas, wir kommen nur schneller dahinter, was wir gelernt haben, wenn es nicht im Dunst der (Selbst-)vorwürfe liegt.
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