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Umweltverschmutzung 18.01.2021, 07:00 Uhr

Überraschendes Konzept: Wie Pflanzen Mikroplastik aus dem Meer entfernen

Unmengen an Plastikmüll treiben weltweit in Gewässern, lassen sich aber nur schwer entfernen. Forscher zeigen, wie Seegräser diese Aufgabe bewältigen – und gleichzeitig Kohlendioxid binden.

Kunststoffe zerfallen im Meer zu kleineren Partikeln. Seegräser könnten helfen, Plastikmüll aus Gewässern zu entfernen. 
Foto: panthermedia.net/ead72

Kunststoffe zerfallen im Meer zu kleineren Partikeln. Seegräser könnten helfen, Plastikmüll aus Gewässern zu entfernen.

Foto: panthermedia.net/ead72

In unseren Meeren sollen sich nach Schätzung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) zwischen 100 und 142 Millionen Tonnen Müll befinden. Größtenteils handelt es sich um Kunststoffe. Pro Jahr kommen bis zu zehn Millionen Tonnen neu hinzu. Zirka 70% der Abfälle sinken zu Boden. Die restlichen 30% treiben im Meer oder werden an Stränden angespült.

UNEP-Forscher fanden heraus, dass im Schnitt 13.000 Partikel aus Kunststoff pro Quadratkilometer Meeresoberfläche zu finden sind. Aufgrund ihrer schlechten biologischen Abbaubarkeit bleiben sie Jahrzehnte im Meer. Sie landen in der Nahrungskette und damit auch im menschlichen Organismus. Welche gesundheitlichen Folgen die Teilchen haben, wird derzeit untersucht. Zumindest aus Tierexperimenten gibt es Hinweise auf mögliche Schäden, etwa durch Entzündungen im Körper oder Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts. Umso wichtiger sind Strategien zur Entfernung von Kunststoffabfällen aus den Meeren.

Eine innovative Idee kommt von Forschern der Universität Barcelona. Sie fanden heraus, dass das Neptungras (Posidonia oceanica), eine weit verbreitete Pflanze, Kunststoffpartikel aus dem Meer aufnimmt und bindet. Während der Herbst- oder Winterstürme wird Material herausgerissen. Es bildet zusammen mit Kunststoffmüll sogenannte Seebälle oder Meeresbälle in Münz- bis Tennisball-Größe. Diese gelangen an Strände und können gezielt entsorgt werden.

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Eine Falle für Plastik in Küstengebieten

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Seebälle des Neptungrases binden Kunststoffpartikel.

Foto: Universität Barcelona

Zum Hintergrund: Das Neptungras kommt in vielen Meeren vor. Es bildet am Meeresboden dichte Rasen von hohem ökologischem Wert, etwa als Nahrung oder zum Schutz von Meereslebewesen. Im Rahmen ihrer Studie analysierten Forscher aus Barcelona Pflanzenmaterial, das sie vor Mallorcas Küsten geborgen hatten. „Alles deutet darauf hin, dass Kunststoffe von Posidonia eingefangen und physikalisch gebunden werden“, sagt Anna Sànchez-Vidal. Sie forscht an der Abteilung für Ozean- und Erddynamik der Universität Barcelona. „Unseren Analysen zufolge handelt es sich bei dem eingeschlossenen Mikroplastik hauptsächlich um Filamente, Fasern und Fragmente von Polymeren, die dichter sind als das Meerwasser, beispielsweise Polyethylenterephthalat (PET).“

Posidonia oceanica hat einen unterirdisch waschenden Spross. Dieses sogenannte Rhizom wird bei stürmischer See mitunter herausgerissen. Diese Fasern enthalten Cellulose und Lignin. Sie agglomerieren sich zu kugelförmigen Strukturen, den Seebällen. Bei starkem Wellengang landen Seebälle letztlich am Strand. Obwohl es keine Studien gibt, um zu quantifizieren, welche Mengen an Kunststoffteilchen sich entfernen lassen, wagen die Forscher eine grobe Abschätzung. Demnach kann ein Kilogramm der Pflanzenfasern 1.470 Kunststoffteilchen unterschiedlicher Größe binden. Sie müssten im nächsten Schritt eingesammelt und verbrannt werden. Sànchez-Vidal und ihre Koautoren schlagen deshalb vor, bei der Reinigung von Ozeanen auf das Neptungras zu setzen.

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Kohlendioxid mit Meerespflanzen binden

Diese Idee hätte noch einen weiteren Vorteil. Seegras-Wiesen binden große Mengen Kohlendioxid. Ein Hektar der Pflanzen speichert deutlich mehr Treibhausgas als die gleiche Fläche an tropischem Regenwald. Im Zuge der Photosynthese entstehen daraus Zucker und Biopolymere wie Cellulose. Infolgedessen sinkt die Kohlendioxid-Konzentration im Wasser.

Bleibt als Problem, dass viele Seegras-Bestände weltweit in Gefahr sind – vor allem durch Überdüngung. Bestände im Mittelmeer gelten als stark bedroht. Zur Aufforstung gibt es mehrere Strategien. Durch strengere Auflagen in der Landwirtschaft und leistungsstärkere Klärwerke haben sich Bestände in der Nord- und Ostsee wieder etwas erholt. Amerikanischen Forschern wiederum ist es gelungen, an der US-Ostküste Seegräser zu pflanzen. Die untersuchte Region ähnelt klimatisch stark der Ostsee.

Solche Aktionen gelingen nicht immer. Geht Posidonia oceanica verloren, kommt es zu starken Erosionen des Meeresbodens. Außerdem wächst die Pflanze recht langsam. Deshalb sei es immens wichtig, wie Sànchez-Vidal betont, den Eintrag von Kunststoffmüll in Meere zu minimieren: eine Aufgabe der Politik. In Deutschland dürfen ab dem 3. Juli 2021 Einweg-Kunststoffprodukte, etwa Getränkebecher, Verpackungen von Fast Food, Besteck, Teller oder Trinkhalme, nicht mehr verkauft werden.

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Von Michael van den Heuvel