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Handelsblatt-Jahrestagung: Stadtwerke 2024 18.04.2024, 09:00 Uhr

Chance Energiewende

Die Transformation hin zu einem möglichst klimaneutralen Energiesystem stellt vielfältige Herausforderungen, sei es bei der Stabilität der Stromnetze, der Versorgungssicherheit oder den Kosten. Doch sie können gemeistert und in Chancen verwandelt werden. Das zeigte auch die Handelsblatt-Jahrestagung „Stadtwerke 2024“ in Berlin.

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Wie die Energiewende gelingen kann, wurde auf der Handelsblatt-Jahrestagung „Stadtwerke 2024“ in Berlin diskutiert.

Foto: PantherMedia/oliverdelahaye

Stefanie Rajič, Leiterin Grid Software Deutschland bei Siemens, verwies auf die Chancen, die das Flexibilitätsmanagement, also die bessere Abstimmung der wachsenden dezentralen erneuerbaren Stromerzeugung mit dem Verbrauch, auf Verteilnetzebene spielen kann. Eine wichtige Rolle spielt dabei der § 14a des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG).

Temporäre Steuerung zur Netzentlastung

Demnach müssen seit Januar dieses Jahres alle leistungsstarken Verbrauchseinrichtungen wie Wärmepumpen oder Ladestationen mit mehr als 4,2 kW bei hoher Netzauslastung eine zeitweise Leistungsbegrenzung durch den Verteilnetzbetreiber zulassen, also steuerbar sein. Damit soll das Stromnetz vor Überlastung geschützt werden.

Eine Mindestleistung ist jedoch gemäß den gesetzlichen Vorgaben immer gewährleistet, eine komplette Abschaltung erfolgt nicht. Im Gegenzug wird der Netzanschluss für diese Verbrauchseinrichtungen beschleunigt und vereinfacht und die Kundinnen und Kunden profitieren von reduzierten Netzentgelten.

Hintergrund der Regelung ist die Prognose, dass durch den Zubau von dezentralen regenerativen Erzeugungsanlagen, Wärmepumpen und Ladeeinrichtungen in den kommenden Jahren rund 10 % der Niederspannungsnetze in Deutschland zeitweise überlastet sein werden.

Energiemanagement: Datenverfügbarkeit und Digitalisierung als Basis

„Der § 14a EnWG hilft uns sehr, in Sachen netzdienliches Flexibilitätsmanagement und Netzentlastung Fahrt aufzunehmen“, betonte Rajič. Durch Energiemanagementsysteme und intelligente Steuerung könne zudem in vielen Fällen vermieden werden, dass der Netzbetreiber leistungsstarke Verbrauchseinrichtungen drosseln müsse.

Wichtige Voraussetzungen dafür sind jedoch die Datenverfügbarkeit und die Digitalisierung der Netze und Messeinrichtungen. Smart Meter sind hier wichtige Bausteine, der Rollout der intelligenten Messsysteme (iMSys) nimmt nun auch in Deutschland Fahrt auf. In anderen europäischen Ländern wie Schweden oder Italien, wo der Datenschutz nicht so streng ausgelegt wird, sind sie bereits Standard.

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Smart Meter zu dynamischen Stromtarifen

Smart Meter messen den Stromverbrauch in Echtzeit und können diese Daten auch weiterleiten. Damit ermöglichen sie den Endverbraucherinnen und -verbrauchern, dynamische Stromtarife zu nutzen und den tatsächlich verbrauchten Strom zum jeweils aktuellen Strompreis abzurechnen. Dynamische Stromtarife geben zeitliche Strompreisschwankungen an die Stromkundinnen und -kunden weiter.

Ergänzend zum Smart Meter Rollout sollten Stadtwerke und Verteilnetzbetreiber auch ihre Ortsnetzstationen (mehr als 600 000 in Deutschland) mit digitaler Messtechnik ausstatten, riet Rajič. Denn so könnten sie für eine bessere Steuerbarkeit und Transparenz der Mittel- und Niederspannungsnetze sorgen. Schätzungen zufolge können die Verteilnetze durch diese Maßnahmen um rund 40 % entlastet werden.

Rajič verwies auch auf das Beispiel der italienischen Hauptstadt Rom. Durch ein umfassendes Flexibilitätsmanagement, das das Netz in Spitzenzeiten entlastet, sollen 43 % der Netzausbaukosten eingespart werden. Kundinnen und Kunden können mit ihren Erzeugungs- und Verbrauchsanlagen an einem neuen lokalen Flexibilitätsmarkt teilnehmen, indem sie ihre Lasten im Mittel- und Niederspannungsnetz des Verteilnetzbetreibers Areti modulieren. Siemens ist am „RomeFlex“-Projekt beteiligt.

Kirsten Westphal, Mitglied der BDEW-Hauptgeschäftsführung, und Markus F. Schmidt, Chief Digital Officer (CDO) von Enervie – Südwestfalen Energie, betonten die Bedeutung der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) und von Batteriespeichern für den Ausgleich in einem dezentraleren, von erneuerbaren Energien geprägten Energiesystem.

Während bei der KWK bisher die Effizienzsteigerung beispielsweise von Gaskraftwerken im Vordergrund gestanden hätte, könne sie nun zunehmend als saisonaler Speicher punkten, beispielsweise bei der Verstromung von Biogas. Zudem spiele die KWK eine zentrale Rolle für eine nachhaltige kommunale Wärmeversorgung.

Batteriespeicher als wichtiger Baustein der neuen Energiewelt

Auch Batteriespeicher seien ein wichtiger Baustein in der neuen erneuerbaren Energiewelt, so Schmidt. Sei es als Hausspeicher in Kombination mit Photovoltaik-Anlagen zur Erhöhung des Eigenstromanteils und zur Einsparung von teurem Tarifstrom oder als Großbatteriespeicher zur Erbringung von Netzdienstleistungen. Interessante Möglichkeiten für neue Geschäftsmodelle für Betreiber von Großspeichern könnten sich ergeben, wenn es gelänge, einen Terminmarkt für Flexibilitäten zu etablieren, so Schmidt.

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Energieversorgung: Erneuerbare plus flexible Backup-Kraftwerke

Die Chancen des Umbaus des Energiesystems auch für die lokale Wertschöpfung betonte auch Thorsten Kramer, Vorstandsvorsitzender der LEAG. Er zeigte sich optimistisch, dass auch in einem überwiegend regenerativen Energiesystem die Versorgungssicherheit in Kombination mit flexiblen Backup-Kraftwerken zuverlässig gewährleistet werden könne. Allerdings sei damit zu rechnen, dass Gaskraftwerke noch einige Jahre länger als derzeit geplant mit fossilen Brennstoffen betrieben werden müssten, bis ausreichend grüner Wasserstoff zur Verfügung stehe.

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„Aber die dezentrale Erzeugung und Verteilung von Energie wird in Zukunft wichtiger sein als die große zentrale Erzeugung“, betonte Kramer. Er zeigte sich auch zuversichtlich, dass die Stromkosten mit einem zunehmend regenerativen Mix sinken werden. Derzeit kämen die Kostenvorteile von Solar- und Windstrom allerdings erst zeitverzögert bei den Kundinnen und Kunden an, da sich die Versorger in der Regel im Voraus auf den Terminmärkten eindecken.

Von Hans-Christoph Neidlein