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Ökostromanteil weiter gestiegen 27.07.2022, 14:14 Uhr

Erneuerbare Energien: Bundesrat beschließt Beschleunigungspaket

Rund die Hälfte des deutschen Stromverbrauchs wurde zwischen Januar und Juni 2022 durch erneuerbare Energien abgedeckt. Und der Ökostromanteil soll weiter steigen: Dafür hat der Bundesrat ein umfangreiches Beschleunigungspaket zum Ausbau erneuerbarer Energie verabschiedet.

Foto: panthermedia.net/eyematrix

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Der Bundesrat hat die größte energiepolitische Novelle seit Jahrzehnten beschlossen: Das insgesamt fast 600 Seiten starke Gesamtpaket umfasst fünf Gesetzesnovellen zum Ausbau der erneuerbaren Energien. Daneben enthält es mit dem Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz und dem Energiesicherungsgesetz zusätzliche, kurzfristig abrufbare Instrumente für den Fall einer weiteren Zuspitzung der Lage auf den Energiemärkten. „Allein die schiere Anzahl und der Umfang der Gesetzentwürfe zeigen, wie wichtig die Energie und die Energiesicherung für Deutschland und für Europa geworden sind“, unterstreicht Klimaschutzminister Robert Habeck. Ziel sei es, den Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch innerhalb von weniger als einem Jahrzehnt zu verdoppeln. „Wir verdreifachen die Geschwindigkeit beim Erneuerbaren Ausbau – zu Wasser, zu Land und auf dem Dach. Die erneuerbaren Energien liegen künftig im öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit. Das ist entscheidend, um das Tempo zu erhöhen. Parallel erweitern wir unseren Instrumentenkasten und wappnen uns so für eine weitere Zuspitzung der Lage auf den Energiemärkten“, so der Vizekanzler.

Fünf Gesetzesnovellen zur Stärkung erneuerbarer Energien beschlossen

Das im Bundesrat beschlossene Energiepaket umfasst fünf Gesetzesnovellen rund um den Ausbau erneuerbarer Energien und damit im Zusammenhang stehende Beschleunigungen auch beim Netzausbau.

  • Die Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) verankert die neuen Ausbau- und Mengenpfade und legt Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele fest.
  • Die Novelle des Windenergie-auf-See-Gesetzes (WindSeeG) erhöht die Ausschreibungsmengen für Offshore-Wind und gestaltet das Förderregime abhängig von den Flächenarten neu.
  • Das „Gesetz zur Erhöhung und Beschleunigung des Ausbaus von Windenergieanlagen an Land“ (WindBG und BauGB) soll helfen zwei Prozent der Bundesfläche für die Windenergie an Land bereitzustellen. Diese neuen Flächenziele werden über eine Änderung im Baugesetzbuch in die Systematik des Bauplanungsrechts übertragen.
  • Die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) soll helfen Genehmigungsverfahren zu beschleunigen.
  • Das angepasste Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) regelt vor allem Maßnahmen zur Netzausbaubeschleunigung (NABEG).

BDEW fordert konsequenten Ausbau der Windkraft

Beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) treffen die Novellierungen auf Zuspruch: „Die sinkenden Gasflüsse aus Russland haben die Energieversorgung in Deutschland in eine Ausnahmesituation gebracht. Der sicherste Weg, um solche Situationen in Zukunft zu vermeiden, ist ein zügiger Ausbau der erneuerbaren Energien“, so die Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung Kerstin Andreae. Insbesondere beim Ausbau der Windenergie an Land bestehe dringender Handlungsbedarf. Der größte Hemmschuh seien hier noch immer fehlende Flächen. Die Bundesregierung sollte das Zwei-Prozent-Ziel daher möglichst bis spätestens 2025 umsetzen und dafür Sorge tragen, dass die Flächen auch tatsächlich bebaubar sind. „Zudem müssen wir die Standorte, die wir schon haben, durch Erleichterungen beim Repowering besser nutzen und unklare Regelungen im Arten- und Naturschutz präzisieren“, fordert Andreae.

Erneuerbare decken die Hälfte des deutschen Stromverbrauchs

Erst Anfang Juli hatte der BDEW gemeinsam mit dem Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) seine Berechnungen zum Ökostromverbrauch in Deutschland vorgestellt. Demnach ist der Anteil erneuerbarer Energien im ersten Halbjahr 2022 um sechs Prozentpunkte gestiegen. Rund 49 % der insgesamt in deutschen Haushalten verbrauchten 281 Milliarden Kilowattstunden, wurden mit Unterstützung von Wind, Wasser, Sonne oder Biomasse gewonnen. Insbesondere Windenergieanlagen an Land und Photovoltaik-Anlagen legten deutlich zu: Sie erzeugten jeweils rund ein Fünftel mehr Strom als im Vorjahreszeitraum. Zu verdanken seien diese Zuwächse vor allem einem windreichen Jahresbeginn im Januar und Februar sowie zahlreichen Sonnenstunden in Mai und Juni. Auch bei Windenergie auf See und Biomasse gab es leichte Zuwächse.

Photovoltaik nicht aus den Augen verlieren

Angesichts der Herausforderungen beim Ausbau der Windenergie dürfe die Photovoltaik nicht aus dem Blick geraten, fordert Professor Dr. Frithjof Staiß, geschäftsführender Vorstand des ZSW. Mit dem angestrebten Ausbaupfad auf 215 Gigawatt installierter Leistung in Deutschland im Jahr 2030 sei ein nie dagewesenes jährliches Installationsvolumen von 22 Gigawatt pro Jahr ab 2026 zu realisieren. „Der hiermit verbundene Umsatz in einer Größenordnung von 150 Milliarden Euro dürfte aber aus heutiger Sicht zu einem großen Teil nach China fließen“, fürchtet Staiß. Die Abhängigkeit von chinesischen Herstellern – bei Wafern stammen rund 96 % der Weltmarktproduktion aus China – stelle zudem ein erhebliches Risiko für die Realisierung in Deutschland zwingend zu erreichender Ausbauziele dar. „Um das Realisierungsrisiko zumindest mittelfristig zu reduzieren und gleichzeitig deutlich größere Teile der Wertschöpfung nach Deutschland und Europa zu holen, sollte Deutschland aktiv dazu beitragen, ein sogenanntes Important Project of Common European Interest (IPCEI) für die Photovoltaik auf den Weg zu bringen, das von innovativen Herstellungsverfahren bis hin zu zukunfts- und wettbewerbsfähigem Recycling die Wertschöpfungskette der Photovoltaik in Europa neu etablieren könnte“, appelliert Staiß.

Unterschiedliche Verfahren zur Identifizierung des Ökostromanteils

Um den Anteil erneuerbarer Energien zu beziffern, nutzen Experten zwei Kenngrößen: den Bruttostromverbrauch und die Bruttostromerzeugung. Den Ökostromanteil am Bruttostromverbrauch zu bemessen, ist die gängige Berechnungsgrundlage. Sie geht zurück auf europäische Vorgaben und steht im Einklang mit den Zieldefinitionen der Bundesregierung zum Ausbau der erneuerbaren Energien. Der Bruttostromverbrauch bildet das gesamte Stromsystem eines Landes ab.

Eine andere Möglichkeit ist, den Anteil der erneuerbaren Energien an der Bruttostromerzeugung zu messen. Sie umfasst die gesamte in Deutschland erzeugte Strommenge, also auch die exportierten Strommengen. Der Anteil erneuerbarer Energien im ersten Halbjahr 2022 auf Basis der Bruttostromerzeugung beträgt nach Zahlen von ZSW und BDEW rund 47 %.

Die Erzeugungszahlen en detail: Von Januar bis Juni 2022 lag die Bruttostromerzeugung bei 298 Milliarden Kilowattstunden – ein Anstieg von knapp zwei Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum (1. Halbjahr 2021: 293 Milliarden Kilowattstunden). Davon wurden rund 139 Milliarden Kilowattstunden Strom aus Sonne, Wind und anderen regenerativen Quellen erzeugt (1. Halbjahr 2021: 122 Milliarden Kilowattstunden). Rund 59 Milliarden Kilowattstunden stammten aus Wind an Land, knapp 33 Milliarden Kilowattstunden aus Photovoltaik, knapp 24 Milliarden Kilowattstunden aus Biomasse, gut zwölf Milliarden Kilowattstunden aus Wind auf See und gut neun Milliarden Kilowattstunden aus Wasserkraft. Aus konventionellen Energieträgern wurden knapp 159 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugt (Vorjahreszeitraum: 170 Milliarden Kilowattstunden).

 

 

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