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Strukturmechanik von Kernreaktoren 11.01.2023, 12:42 Uhr

Sicherheit kerntechnischer Anlagen bei mechanischen Einwirkungen im Blick

Was passiert bei Erdbeben, Explosionen, Flugzeugabstürzen mit der Struktur von Kernkraftwerken? Die Fachtagung für Strukturmechanik in der Kerntechnik SMiRT 26 hat vor einigen Monaten quasi an ihrem Geburtsort Berlin solche Fragen erörtert. Hier ein Rückblick auf die Diskussionen und die zahlreichen dort vergebenen Ehrungen und Auszeichnungen.

Die Fachtagung zu Sicherheit und Zuverlässigkeit bestehender und neuer kerntechnischer Anlagen SMiRT (Structural Mechanics in Reactor Technology) feierte 2022 (mit einem Jahr Corona-Verzögerung) ihr 50-jähriges Bestehen. Foto: DGZfP

Die Fachtagung zu Sicherheit und Zuverlässigkeit bestehender und neuer kerntechnischer Anlagen SMiRT (Structural Mechanics in Reactor Technology) feierte 2022 (mit einem Jahr Corona-Verzögerung) ihr 50-jähriges Bestehen.

Foto: DGZfP

SMiRT (Structural Mechanics in Reactor Technology) ist die primäre internationale Fachtagung im Bereich der Strukturmechanik in der Kerntechnik. Sie findet alle zwei Jahre abwechselnd in Amerika, Europa und Asien statt. Das wesentliche Thema ist die Sicherheit und Zuverlässigkeit bestehender und neuer kerntechnischer Anlagen für alle Arten strukturmechanischer Einwirkungen (z. B. Erdbeben, Explosion, Flugzeugabsturz, Alterung etc.).

Zur Ermittlung der Strukturantwort auf diese, meist dynamische Einwirkungen, findet ein Austausch des Standes der Forschung in Bezug auf analytische Modelle sowie ganzheitliche numerische Simulationen statt, die aufgrund von steigenden Rechenkapazitäten immer attraktiver werden. Besonders im Fokus standen innovative Konzepte zur Basisisolierung gegen seismische Einwirkungen mit Präsentationen zur zukünftigen Zusammenarbeit in Benchmarks sowie der Lastfall Flugzeugabsturz, für den interessante Diskussionen zur Bemessung betroffener Strukturen ermöglicht wurden.

Auch Analysen zu seismischen Tragfähigkeitsreserven (Seismic Margin Assessments, SMA) und probabilistische seismische Zuverlässigkeitsanalysen bildeten ein Schwerpunkt der präsentierten Vorträge. Mit diesen Analysen können „schwache Glieder“ in der seismischen Auslegungskette von Strukturen, Systemen und Komponenten identifiziert werden.

Bedeutung und Ursprung der Fachtagung

Die Konferenz leistet einen bedeutenden Beitrag zur Sicherheit und Zuverlässigkeit von kerntechnischen Anlagen auf der ganzen Welt. Sie trägt maßgeblich dazu bei, wissenschaftlich-technisches Fachwissen zu erhalten, weiter aufzubauen sowie junge Menschen auf den Gebieten des Ingenieurwesens und der Forschung zu fördern und zu unterstützen, beispielsweise durch die Vergabe von Shibata Early Career Award, Jaeger Lecture und Kennedy Award.

Initiiert wurde die Fachtagung 1971 von Prof. Thomas Jaeger (siehe Kasten unten) in Berlin und kam 2022 vom 10. bis zum 15. Juli nach 50 Jahren zurück nach Berlin (genauer: Potsdam) – aufgrund der Corona-Pandemie ein Jahr später als ursprünglich geplant. Das Motto der SMiRT 26 lautete: „Building the Future on 50 Years of Experience – It’s SMiRT to Embrace Change“.

Das 50-jährige Bestehen wurde mit Verspätung in Potsdam gefeiert.

Foto: DGZfP

Organisation – international und national

Die Dachorganisation der Fachtagung liegt bei der International Association for Structural Mechanics in Reactor Technology (IASMiRT, siehe Kasten unten).

Die 26. Auflage der Fachtagung wurde gemeinschaftlich von vier Partnern organisiert:

  • Die Deutsche Gesellschaft für Zerstörungsfreie Prüfung e.V. (DGZfP) kümmerte sich um die lokale Organisation, die Ausstellung, das Sponsoring sowie die finanzielle Rückdeckung),
  • beim TÜV Nord war der Konferenzvorsitz (Conference Chair) angesiedelt und die Einbindung der IASMiRT sowie die Gesamtverantwortung)
  • die Swissnuclear sorgte für die internationale Unterstützung und
  • die TU Kaiserslautern hatte den wissenschaftlichen Vorsitz (Chair International Scientific Committee) und war für das fachliche Programm zuständig.

Vorsitzender des International Scientific Committee (ISC Chair) für die SMiRT 26 war Prof. Dr.-Ing H. Sadegh-Azar von der TU Kaiserslauterrn.

Foto: DGZfP

Über 500 Beiträge in 11 Kategorien eingereicht

Die technischen Standardthemen (Divisionen) der SMiRT 26, zu denen ein internationaler „Call for Abstracts/Papers“ veröffentlicht wurde, lauteten:

  1. Mechanics of Materials
  2. Fracture Mechanics and Structural Integrity
  3. Computation, Simulation and Visualization
  4. External, Internal Hazards and Load Characterization
  5. Modeling, Testing & Response Analysis of Structures, Systems and Components
  6. Design Issues, Codes and Standards
  7. Safety, Reliability, Risk and Safety Margins
  8. Issues Related to Operation, Inspection and Maintenance
  9. Fuel Cycle Facilities, Waste Management and Decommissioning
  10. Advanced and Small Modular Reactors
  11. Construction Management, Cost, Scheduling and Insurance

Es wurden über 500 Beiträge eingereicht. Alle eingereichten „Abstracts“ und „Full Papers“ wurden durch das „International Scientific Committee“ rezensiert und freigegeben. Die Verteilung der Papers über die Divisionen ist im folgenden Bild dargestellt.

Anzahl der Papers pro Kategorie (Division).

Foto: DGZfP

Zahlreiche „Special Sessions“, Workshops und Tutorials

Das reguläre Tagungsprogramm wurde ergänzt durch zusätzliche 15 internationale Special Sessions, drei Workshops und ein Tutorial zu aktuellen sicherheitstechnischen Themen:

  1. Fukushima Accident – 10 years later – where we are now? (Antonio Godoy)
  2. Steam generator tube integrity (Jürgen Sievers und Xaver Schuler)
  3. Impact tests and numerical analyses (Jürgen Sievers)
  4. Application of Al in Reactor Technology (Nawal Prinja)
  5. History and State of the Art for Impact Analysis (Alexander Siefert)
  6. Concepts and methods for cooling tower blasting (Fritz-Otto Henkel)
  7. Challenges and recent advances from European Research Projects (Irmela Zentner)
  8. Seismic performance evaluation of NPP structures and equipment against high-frequency ground motion (Minkyu Kim)
  9. MECOS initiative on Seismic design of piping systems – Towards improved design criteria (Philippe Renault, Pierre Sollogoub)
  10. Capturing Data and Assessing Results of In-Service Inspections of Nuclear Structures (Julia Tcherner)
  11. Nonlinear Seismic SSI Analysis Based on Best Engineering Practices in US and Japan (Dan M. Ghiocel, Yasuo Nitta)
  12. 2019–11–11 Le Teil Earthquake: A special earthquake occurred close to a special NPP (Emmanuel Viallet)
  13. Shibata Memorial – Challenges for the coming 50 years in nuclear technology against external hazards (Hiroshi Abe)
  14. Overview of the work done in the OECD SOCRAT benchmark dedicated to the beyond design seismic behavior assessment of crane bridges (Ibrahim Bitar)
  15. Performance assessment of spent fuel in storage and transportation (Yung Y. Liu)
  16. Lessons Learned from Preparation of Nuclear Power Plants for Safe Long Term Operation (Workshop: Robert Krivanek, Martin Marchena)
  17. Nonlinear SSI Analysis (Workshop: Boris Jeremic)
  18. Nebojsa Orbovic memorial and JASMiRT Joint WS for SMiRT26 (Workshop: Naoto Kasahara)
  19. Nonlinear, Inelastic Analysis of Earthquake Soil Structure Interaction for Nuclear Installations (Tutorial: Boris Jeremic)

Ein Blick in den Vortragssaal in Potsdam während der SMiRT 26 im Juli 2022.

Foto: DGZfP

Fachprogramm

Am „International Scientific Committee“ waren wesentliche deutsche und internationale Organisationen, Behörden, Betreiber, sicherheitstechnische Gutachter, Prüfanstalten, Universitäten, Unternehmen und Hersteller aus 16 Ländern beteiligt.

In der renommierten „Jaeger Lecture“ gaben Dr.-Ing. Fritz Henkel und Dr.-Ing. Franz-Hermann Schlüter zum Thema Flugzeugabsturz auf kerntechnische Anlagen einen Überblick über den geschichtlichen Hintergrund sowie die Notwendigkeit dieses speziellen Lastfalls. Neben analytischen Methoden zur Beschreibung der Last-Zeit-Funktion, die seit den 1960er-Jahren Verwendung finden, wurden moderne gekoppelte Finite-Elemente-Simulationen vorgestellt, die eine detaillierte Abschätzung der Strukturantwort ermöglichen.

Jaeger Lecture: Dr.-Ing. Franz-Hermann Schlüter (links) und Dr.-Ing. Fritz Henkel (rechts), dazwischen der Vorsitzende des International Scientific Committee Prof. Dr.-Ing H. Sadegh-Azar.

Foto: DGZfP

Keynote-Vortragende waren:

  • Christoph Heil: Our Future Perspective – The Transformation of German Nuclear Power Generators from Baseload Suppliers to Project Experts using the Example of EnKK
  • Stefan Mohr: Nuclear safety research under phase out conditions – The BMUV project funding program
  • Abhinav Gupta: Artificial Intelligence and Augmented Reality Driven Digital Engineering for High Precision Construction safety assessment of nuclear facility structures
  • Shahrokh Ghavamian: Contribution of advanced analyses methods in post-Fukushima safety assessment of nuclear facility structures
  • Naoto Sekimura: Global Perspective on Continuous Improvement of Nuclear Safety: 10 years after the Fukushima Daiichi Accident
  • Tsuyoshi Takada: Proposal for improvement of worldwide nuclear safety: Basic concept for comprehensive safety assurance against external hazards

Auszeichnungen

Den „Kennedy Award” erhielt Dipl.-Ing. Pierre Wörndle für seinen Beitrag „Aircraft Impact: Critical Aspects of Coupled Dynamic Simulations“, der die Auslegung von Bauteilen gegen Impaktbelastungen thematisiert. Neben der Definition von relevanten Belastungsszenarien stellt er die Entwicklung von Finite-Elemente-Modellen von Flugzeug und Struktur sowie eine realistische Bewertung der Strukturschäden und induzierten Schwingungen vor.

Preisträger Dipl.-Ing. Pierre Wörndle (links) erhält die Urkunde für den Kennedy Award von Prof. Dr.-Ing H. Sadegh-Azar überreicht.

Foto: DGZfP

Mit dem „Early Career Shibata Award“ werden herausragende Arbeiten von jungen Fachleuten und Berufsanfängern gewürdigt. Neben analytischen Modellen zur Schädigungssimulation von Stahlbetonstrukturen infolge stoßartiger Belastungen thematisieren die prämierten Beiträge seismische Fragilitätsuntersuchungen sowie numerische Modellierungen zur Untersuchung der Fluid-Komponenten-Interaktion.

Die „Early Career Shibata Award“-Preisträger sind:

  • Lars Heibges: „Methods for Simulation of Hard Projectile Impact on Reinforced Concrete Structures” (1. Preis)
  • Cappa Riccardo: „Summary of EPRI 3002015993: Loss of Offsite Power Seismic Fragility Guidance” (2. Preis)
  • Genov Tsvetan: „Numerical Simulation of Seismic Response of Spent Fuel Pool considering Structure-Fluid-Structure Interaction” (3. Preis)

Prof. Dr.-Ing H. Sadegh-Azar freut sich mit den Preisträgern des Heki Shibata Award (von links): Lars Heibges, Riccardo Cappa und Dr. Jörg Aign.

Foto: DGZfP

Die Best Poster Awards gingen an:

  • Saruul Dorjipalam „Study on the Strong Ground Motion Prediction Method by HERP, Japan, to 2010 Mw8.8 Maule Earthquake, Chile” (1. Preis)
  • Alexis Fedoroff „Impact Testing in VTT” (2. Preis)
  • Eun-ho Lee „Analysis of dynamic characteristics of reactor vessel including adjacent equipment” (3. Preis)

Weitere Informationen

Ausgewählte Beiträge der SMiRT 26 werden in den Zeitschriften „Nuclear Engineering and Design“ (Elsevier), „International Journal of Pressure Vessels and Piping” (Elsevier) und „Kerntechnik – Independent Journal for Nuclear Engineering” (Walter de Gruyter) als „Special Edition” erscheinen.

Ansprechpartner ist Prof. Dr.- Ing. Hamid Sadegh-Azar (TU Kaiserslautern, Fachgebiet Statik und Dynamik der Tragwerke).

Die nächste SMiRT-Konferenz findet 2024 in Yokohama (Japan) statt.

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Von Prof. Dr.- Ing. Hamid Sadegh-Azar, TU Kaiserslautern / Karlhorst Klotz