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Hochwasserschutz 01.06.2021, 09:00 Uhr

Deiche für die Zukunft bauen

Wie ein effizienter, ressourcenschonender und smarter Hochwasserschutz funktionieren kann, das testet das Forscherteam der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe gemeinsam mit der RWTH Aachen und der Gütersloher Firma topocare im Projekt „InnKubaTubes“. In einem Großversuch ist die innovative Deichbaulösung realen Bedingungen ausgesetzt.

Im Großversuch wird das Container geflutet und der Deich getestet. Stefan Langer notiert dabei den Wasserstand. Foto: TH OWL/Pia Schlegel

Im Großversuch wird das Container geflutet und der Deich getestet. Stefan Langer notiert dabei den Wasserstand.

Foto: TH OWL/Pia Schlegel

Am Kieswerk in Lage sieht die innovative Deichbaulösung der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe (TH OWL), der RWTH Aachen und der Gütersloher Firma topocare wie übereinandergestapelte überdimensionale Sandsäcke in Schlauchform aus. Doch in den 20 jeweils 20 Meter langen Schläuchen steckt eine Technik, die in einem Großversuch getestet wird. Der Test-Deich ist so geplant, dass er im Gegensatz zur konventionellen Bauweise nicht so bereit ist. Hierdurch soll Fläche und Material gespart werden. Zudem sind so steilere Böschungsneigungen möglich, wodurch er vor Überströmungen sicher sein soll und nicht brechen kann. Für das Projekt bringen die Forschungspartner ihre unterschiedlichen Expertisen ein: die Geotechnik der TH OWL, den Wasserbau von der RWTH Aachen und der Maschinenbau der Firma topocare. Gefördert wird das Projekt „InnKubaTubes“ von 2019 bis 2022 mit insgesamt rund 1,5 Millionen Euro aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE).

Deichbau mit vorhandenem Boden

Das Forscherteam hat beim Deichbau auf Material gesetzt, das nicht aufwenig transportiert werden muss. Sie nutzen den vorhandenen Boden. Diesen bereiten sie mit Kalk auf, damit sie ihn verarbeiten können. Dann wird der Boden dreilagig mit Filtervliesstoffen aus Polypropylen umwickelt. „Dadurch, dass wir den Boden einpacken, können wir quasi jeden Boden nehmen und sind nicht wie im konventionellen Deichbau darauf angewiesen, einen Boden mit besonderen Eigenschaften zu nehmen, den man teuer anliefern lassen muss“, erklärt Projektleiter Prof. Dr.-Ing. Carsten Schlötzer vom Fachbereich Bauingenieurwesen der TH OWL. An der Verpackungsmethode ist nicht das Verpacken das Neue, sondern die Art und Weise, wie der Boden in den Schlauch gelangt. Hierzu wurde von der Firma topocare eine Maschine entwickelt. „Unser topomover löst technisch die Aufgabe, den Boden in den Schlauch zu bringen, indem er die Schläuche erst vor Ort automatisiert herstellt und direkt verlegt“, erklärt Geschäftsführer Dr.-Ing. Simon Jegelka. Durch einen Trichter wird das Material in den Schlauch eingebracht. Ein Drehkranz wickelt den Schlauch immer weiter. Dieses Vorgehen ermöglicht, dass die Maschine in der Theorie im Endlosbetrieb Schläuche produzieren und ablegen kann. Pro Stunde schafft sie bis zu 100 Meter. „Diesen Versuchsdamm hier zu bauen, hat allerdings zwei Tage gedauert, weil man hier für die recht kurzen Schläuche immer vor und zurückfahren und sich richtig positionieren muss“, sagt Jegelka.

Sensoren verstecken sich im innovativen Deichsystem.

Foto: TH OWL/Pia Schlegel

Sensoren übermitteln Daten aus dem Deichinneren

Verschiedene Sensoren im Deich messen Feuchtigkeit, Wasserstand, Druck, Verformung, Setzung und Neigung der Schläuche. Das Forscherteam nutzt diese Daten und erzeugt mit ihrer Hilfe einen digitalen Zwilling. Durch diesen können sie am Computer verfolgen, was im Deich passiert. Zudem plant das Forscherteam, den Digitalen Zwilling mit einer Simulation zu verknüpfen. Mit ihr sollen verschiedene Szenarien durchgespielt werden. Durch die Sensoren im Deich wird der Damm zu einem smarten Bauwerk. Das innovative System könnte ermöglichen, dass Änderungen im Inneren des Deiches einen Alarm auslösen, wenn etwas nicht stimmt oder der Deich gewartet werden muss. Derzeit erfolgt diese Begutachtung mit Deichläufern, die das Bauwerk nur von außen einschätzen können. „Wir wollen nicht nur prüfen, wie man so einen Damm bauen kann, sondern auch, welche Parameter wichtig sind, wenn der Damm gebaut ist. Wenn man nur an den notwendigen Stellen Sensoren einsetzt, halten wir den Unterhaltungsaufwand für die Betreiber eines solchen Bauwerks gering“, so Schlötzer.

Optimierungen der Dämme im Projektverlauf

Für den Großversuch hat das Team aus einem alten Container einen Hochwassersimulator gebaut. Diesen haben sie vor dem Deich aufgebaut. Mit einer alten Feuerwehrpumpe flutet das Team den Simulator mit Wasser aus dem See des Kieswerks. Als das Wasser über den Deich strömt, hält dieser wie geplant. Das Projektteam umfasst auch Studierende, die zu den einzelnen Themenbereichen wie der Sensorik des Deiches Bachelorarbeiten verfasst haben. Stefan Langer beschäftigte sich in seiner Masterarbeit mit den gefüllten Schläuchen und ist jetzt wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprojekt „InnKubaTubes“. „Das Beste ist zu sehen, wie man das, was man im Studium für die Klausuren gelernt hat, jetzt auch praktisch anwenden und gebrauchen kann“, sagt der Bauingenieur. „Außerdem hat diese Bauweise einen großen Nutzen: Sie ist standsicherer und vielseitig anwendbar.“ Bereits zwei Dämme konnte das Forscherteam in der Projektzeit bauen und die Verlegetechnik optimieren. Schlötzer kann daher nach gut zwei Drittel der Laufzeit zum Projekt sagen: „Ich glaube, dass wir mit unseren ganzen Vorarbeiten und dem Projektergebnis nachweisen können, dass wir eine ressourcenschonende, nachhaltige und sichere Alternative zum konventionellen Dammsystem entwickelt haben.“

Vom Forschungsprojekt zum Regelwerk

Um die neu entwickelte Technik zu etablieren, soll jetzt ein technisches Regelwerk erstellt werden. Denn zusammen mit dem Werre-Wasserverband hat das Forscherteam ein Projekt ins Auge gefasst. Sie wollen mit dem innovativen Deichbauverfahren ein Hochwasserrückhaltebecken oberhalb von Bünde an der Else bauen. „Um im Falle eines Hochwassers eine Welle zu kappen, sollen darin direkt neben dem Fluss 330.000 Kubikmeter Wasser eingelagert und dann nach und nach wieder abgegeben werden können, wenn der Pegel des Flusses wieder fällt“, stellt Schlötzer das Projekt vor. Für die Erdschläuche kann sich der Projektleiter noch weitere Einsatzmöglichkeiten vorstellen: „Wir sind nicht nur auf Hochwasserschutz fokussiert, die Technik könnte beispielsweise auch für den Lärmschutz genutzt werden.“

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Von Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe / Heike van Ooyen