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Nachhaltigkeit 20.09.2021, 09:48 Uhr

Klimaneutraler Büroturm mit Überschuss-Power in der Fassade

Wegweisend für die Dekarbonisierung von Neubauten könnte ein Büroturm sein, der seine Klimabilanz über den gesamten Lebenszyklus ausgleicht. Eine zentrale Rolle spielt dabei seine Fassade.

Das „Powerhouse Telemark“ ist bereits das vierte Powerhouse in Norwegen, jedoch das erste Bürogebäude dieser Art in einer kleineren Ortschaft. Foto: Sindre Ellingsen / Schüco

Das „Powerhouse Telemark“ ist bereits das vierte Powerhouse in Norwegen, jedoch das erste Bürogebäude dieser Art in einer kleineren Ortschaft.

Foto: Sindre Ellingsen / Schüco

Weit über den Horizont der norwegischen Industriestadt Porsgrunn hinaus ist die markante Silhouette des elfstöckigen „Powerhouse Telemark“ sichtbar. Das im Sommer 2020 fertiggestellte Nullemissionsgebäude ist in der etwa 150 Kilometer südlich von Oslo gelegenen Region zum Symbol für die Wende zu einer Green Economy geworden und nicht nur architektonisch ein Hingucker. Die kalkulierten 243.000 kWh Solarstrom, die das Bürogebäude pro Jahr erzeugt, liefert nicht nur die Betriebsenergie für das Gebäude, sondern innerhalb einer angenommenen Nutzungsdauer von 60 Jahren gerade so viel Überschussenergie, wie in den verwendeten Baumaterialien und Produkten an grauer Energie steckt – damit ist die CO2-Bilanz des Gebäudes dann ausgeglichen.

Ein integriertes Gebäude-, Energie-, Fassaden- und Innenraumdesign verringert den Energiebedarf des solaren Selbstversorgers bis zu 70 Prozent gegenüber dem vergleichbarer Neubauten.

Foto: Sindre Ellingsen / Schüco

Das Gebäudedach weist vertikale Glasschlitze zur Versorgung der darunterliegenden Räume mit Tageslicht auf.

Foto: Sindre Ellingsen / Schüco

Bei der Gebäudeeingangsseite, die eine markante Kerbe ziert, zeigt sich, dass das Fassadensystem eine große Gestaltungsfreiheit gewährt.

Foto: Sindre Ellingsen / Schüco

Die gen Süden geneigte Dachfläche mit integrierten Photovoltaik-Modulen.

Foto: Sindre Ellingsen / Schüco

Die schräg nach oben verlaufende, abgewinkelte Südostfassade wurde ebenfalls mit Photovoltaik-Modulen ausgestattet. Jährlich produzieren alle Module des Powerhouse etwa 243.000 Kilowattstunden Sonnenstrom.

Foto: Sindre Ellingsen / Schüco

Standardisierte Innenraumlösungen und Co-Working-Spaces bieten den Mietern die Möglichkeit, ihre Büroräume nach Bedarf zu skalieren, um flexibel zu sein und Remote-Working-Konzepte umzusetzen.

Foto: THT Foto / R8 Property

Im neunten Stock verbindet eine markante Holztreppe die Kantine mit den Tagungsräumen und führt hinaus auf die Dachterrasse.

Foto: THT Foto / R8 Property

70 Prozent geringerer Energiebedarf

Dies gelingt, weil ein integriertes Gebäude-, Energie-, Fassaden- und Innenraumdesign den Energiebedarf des Büroturms um bis zu 70 Prozent gegenüber vergleichbaren Neubauten verringert – für den laufenden Unterhalt des rund 8.400 Quadratmeter umfassenden Gebäudes sind lediglich knapp 50.000 kWh Elektrizität pro Jahr nötig.

Was einzigartig klingt, hat Serienreife: Das nach der Provinz Telemark, in der es liegt, benannte Powerhouse ist bereits das vierte in Norwegen, jedoch das erste Bürogebäude dieser Art in einer kleineren Ortschaft. Das mit dem Nachhaltigkeitszertifikat „Breeam Excellent“ ausgezeichnete Nullemissionsgebäude soll Vorbild für Nullemissionsgebäude gerade außerhalb großer Städte dienen, wo derartige Objekte ohnehin entstehen.

Null-Emission als Mission

Die Powerhouse-Initiative, eine von renommierten Vertretern der norwegischen Bauwirtschaft ins Leben gerufene Allianz bestehend aus dem Bauträger Entra, der Skanska-Baugruppe, der Ingenieurgesellschaft Asplan Viak, der Umweltorganisation Zero und dem auf nachhaltige Baukunst spezialisierten Architektur- und Designbüro Snøhetta, realisiert Nullemissionsgebäude, die sich durch Nutzerfreundlichkeit mit Wirtschaftlichkeit verbinden. Anders als herkömmliche Plusenergiehäuser, deren Energiekonzept primär auf eine energieeffiziente Betriebsphase und die Reduktion dabei entstehender CO2-Emissionen abzielt, fokussiert das Design eines „Powerhouse“ auf die Vermeidung von Treibhausgasen über den gesamten Lebenszyklus von der Planung über die Errichtung und Nutzung bis zum Rückbau. Folglich muss der Planungsprozess ganzheitlich und integral ablaufen, statt Gewerk für Gewerk.

Für einen Betrieb des Gebäudes mit klimafreundlicher Energie war elementar die bestmögliche Tageslichtnutzung. Snøhetta entwarf dazu ein Lichtkonzept, das lediglich 2,3 Watt pro Quadratmeter für künstliche Lichtquellen vorsah. Außerdem erhielt das Gebäudedach vertikale Glasschlitze, durch die drei obere Büroetagen mit Tageslicht versorgt werden.

Erst simuliert, dann konstruiert

Mittels BIM wurde am digitalen Gebäudemodell getüftelt, um eine sehr gut wärmegedämmte Gebäudehülle mit der Erzeugung regenerativer Energien zu kombinieren und vorrangig ressourcenschonende, rezyklierte Bau- und Werkstoffe einsetzen zu können. Für die komplexen Berechnungen kamen unter anderem die Energiesimulationssoftware Simien v 6.009 und ein auf der EU-Norm für umweltgerechte Gebäudeplanung (DIN EN ISO 11855–2) basierendes Kalkulationstool zum Einsatz.

Ausgeglichene Klimabilanz mit Solarstrom

Um möglichst viele Sonnenstrahlen einzufangen, wurde die Dachfläche um 24 Grad in Richtung Süden geneigt und mit integrierten Photovoltaik-Modulen von SolarLab (22 Prozent Wirkungsgrad bei 210 kWp Leistung) bestückt. Auch die schräg nach oben verlaufende, abgewinkelte Südostfassade erhielt eine solche Ausstattung, genauso das Dach des Carports am Gebäude.

Die insgesamt fast 1.500 Quadratmeter großen Modulfläche erzeugt jährlich nicht nur genügend Strom zur Eigenversorgung, sondern einen Überschuss von rund 193.000 kWh. Er dient nicht nur rechnerisch zum Ausgleich für die in den Baumaterialien und Produkten (samt turnusgemäßem Austausch) enthaltene graue Energie, sondern zur Versorgung von Autoladestationen über einen hausinternen 130-kWh-Stromspeicher.

Für die Lichtdachkonstruktion kam das vielfach eingesetzte Fassadensystem FWS 50.HI von Schüco zur Anwendung, mit dem sich große Spannweiten architektonisch ansprechend verwirklichen lassen. Ausschlaggebend war die Cradle-to-Cradle-zertifizierte Umweltverträglichkeit der Materialien. Solche Systeme können nach ihrer Nutzungsphase beliebig oft in den Wertstoffkreislauf zurückgeführt werden, erfüllen hohe Ansprüche bei der Einhaltung sozialer Standards sowie dem sorgfältigen Umgang mit Wasser und Energie in der Herstellung.

Um die schräg nach oben verlaufende, großflächige Fensterfront im unteren Abschnitt der Südostfassade so elegant wie möglich zu gestalten, das Tageslicht zu maximieren und dabei auf nachhaltige Produkte zu setzen, fiel auch für weitere Teile der Gebäudehülle die Entscheidung zugunsten des ebenfalls Cradle-to-Cradle-zertifizierten Fassadensystems FWS 50 SG.SI von Schüco. Die Semi-Structural-Glazing-Optik mit schmaler Ansichtsbreite von lediglich 50 Millimetern sorgt dafür, dass die Profile nur im Raum sichtbar sind und außen in flächenbündiger Ganzglasoptik mit filigranen Fugen erscheinen, was dem Powerhouse trotz seines Namens eine anmutige Erscheinung verleiht.

Die wärmegedämmten und mit Dreifachisolierverglasung versehenen Fenster und Vorhangfassaden weisen extrem niedrige thermische Kennwerte auf: Der Wärmedurchgangskoeffizient aller Fenster (Uw-Werte) und Vorhangfassaden (Ucw-Werte), einschließlich der Rahmenprofile und Verglasungen, beträgt 0,75 W/m²K, der Gesamtenergiedurchlassgrad (g-Wert) der Verglasung liegt bei 37 Prozent und hinsichtlich der Tageslichttransmission bei 63 Prozent.

Ökodesign macht den Unterschied

Auch bei der Materialauswahl hatten Umweltverträglichkeit und Langlebigkeit oberste Priorität, um möglichst viel CO2 zu sparen. Das Fassadensystem FWS aus Aluminium punktete hier nicht nur durch das Cradle-to-Cradle-Zertifikat in Silber, sondern auch durch seine vollständige Recyclingfähigkeit ohne Qualitätsverlust. Auch eine gehörige Portion Kreativität war erforderlich. Der Holzboden beispielsweise besteht aus Industrieparkett, hergestellt aus Holzabfällen. Die Teppichfliesen sind zu 70 Prozent aus alten Fischernetzen gefertigt. Rauen Charme versprüht der unbehandelte, freiliegende Beton.

Wärme aus 300 Meter Tiefe

Für Wärme im Gebäude sorgt geothermische Energie, die eine Wärmepumpe aus acht bis in 300 Meter Tiefe reichende Erdsonden holt und damit die zur Beheizung und Lüftung der Räume benötigte Energie nahezu komplett abdeckt. Die Erdbohrungen gehören zu den bisher tiefsten zur Nutzung geothermischer Wärme in Norwegen und zeigen, dass sich die Kenntnisse der Öl- und Gasindustrie für die Erschließung von Erdwärme nutzen lassen.

Innenraumgestaltung mit Bedacht

Vom Empfangsbereich im Erdgeschoss bis zur gemeinsamen Personalkantine und den Penthouse-Tagungsräumen führen zwei großzügig gestaltete offene Treppen in die obersten Etagen. Das lädt nicht nur dazu ein, den Weg zu Fuß zurückzulegen, sondern fördert darüber hinaus Begegnungen.

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