Kosmische Detonationen bedrohen Erde häufiger als gedacht
Tunguska, Tscheljabinsk und mehr: Kosmische Luftdetonationen könnten häufiger sein als gedacht. Neue Beweise zeigen ihr hohes Zerstörungspotenzial.

Im Jahr 2013 explodierte ein Meteorit über der russischen Stadt Tscheljabinsk. Dabei wurden über 1000 Menschen verletzt.
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Kosmische Einschläge verbinden viele Menschen mit gewaltigen Kratern wie dem Chicxulub-Krater in Mexiko, der vor 66 Millionen Jahren das Ende der Dinosaurier einleitete. Doch es gibt eine andere Form der kosmischen Bedrohung, die oft unsichtbar bleibt: sogenannte Touchdown-Luftdetonationen. Dabei explodiert ein Himmelskörper wie ein Komet oder Asteroid nicht beim Aufprall auf der Erdoberfläche, sondern bereits in der Atmosphäre.
James Kennett, emeritierter Professor für Geowissenschaften an der University of California in Santa Barbara, warnt: „Touchdown-Ereignisse können durch sehr hohe Temperaturen und Drücke extreme Schäden verursachen. Und doch bilden sie nicht unbedingt einen Krater.“ Das macht sie schwer nachzuweisen – und möglicherweise unterschätzen wir ihre Häufigkeit.
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Wenn der Himmel Feuer spuckt
Bei einer Luftdetonation wird enorme Energie freigesetzt. Die Druckwelle breitet sich über große Entfernungen aus, Hitze setzt brennbares Material in Brand. Anders als bei einem klassischen Einschlag bleibt meist kein sichtbarer Krater zurück.
Bekanntestes Beispiel der Neuzeit ist das Tunguska-Ereignis von 1908 in Sibirien. Ein vermutlich 50 bis 60 Meter großer Himmelskörper explodierte in etwa 5 bis 10 Kilometern Höhe. Die Druckwelle war so stark, dass rund 80 Millionen Bäume auf einer Fläche von 2000 Quadratkilometern zu Boden gingen. Ähnlich verlief 2013 die Explosion eines Meteoriten über der russischen Stadt Tscheljabinsk – mit über 1000 Verletzten durch zerberstende Fensterscheiben.
Spuren in der Tiefsee
In vier aktuellen Studien präsentierte Kennett mit seinem Team neue Belege für solche kosmischen Luftdetonationen – teils tausende Jahre alt.
Ein Fund sorgt besonders für Aufsehen: In Sedimentkernen aus der Baffin Bay vor Grönland fanden die Forschenden erstmals Hinweise auf ein Ereignis, das mit der sogenannten Younger Dryas Impact Hypothesis (YDIH) zusammenhängt. Diese Theorie besagt, dass vor rund 12.800 Jahren ein fragmentierter Komet in der Atmosphäre explodierte.
Die Folgen: eine abrupte Abkühlung des Klimas, das Aussterben vieler großer Tierarten und Veränderungen in menschlichen Kulturen. Typische Spuren dieser Katastrophe sind eine kohlenstoffreiche Schicht („schwarze Matte“), geschockter Quarz (Quarzkörner mit mikroskopischen Rissen durch extreme Drücke), seltene Elemente wie Platin und Iridium sowie winzige Schmelzkügelchen.
„Das Material wurde in die Atmosphäre geschleudert, weltweit transportiert und in einer weit verbreiteten Schicht abgelagert“, erklärt Kennett. Dass sich diese Proben in Tiefen von 2.000 Metern im Meer abgelagert haben, zeigt, wie weitreichend der Effekt war.
Auf der Suche nach dem Krater
Während Krater wie Chicxulub eindeutige Beweise liefern, fehlen bei Luftdetonationen solche eindeutigen Strukturen. Umso bemerkenswerter ist der Verdacht, dass es doch einen Krater aus der Zeit der Jüngeren Dryas geben könnte – in Louisiana.
Ein flacher saisonaler See nahe der Stadt Perkins fällt durch seine kreisrunde Form und einen leicht erhöhten Rand auf. Seit den 2000er-Jahren wird er untersucht. Bohrkerne förderten winzige Schmelzgläser, Kügelchen und geschockten Quarz zutage. Radiokarbondatierungen deuten darauf hin, dass sie vor etwa 12.800 Jahren entstanden sind. Ob es sich tatsächlich um einen Einschlagkrater handelt, müssen weitere Analysen zeigen.
Tunguska und Tall el-Hammam unter der Lupe
Die Forschenden verglichen auch Proben aus Tunguska mit Funden in Tall el-Hammam, einer antiken Stadt im Jordantal. Dort könnte es vor rund 3.600 Jahren eine Explosion gegeben haben, die der in Tunguska ähnlich war.
In beiden Fällen fanden sie geschockten Quarz mit unterschiedlichen Rissmustern – parallel, netzartig, gebogen. Diese Muster deuten auf eine Kombination aus extremen Temperaturen und Drücken aus verschiedenen Richtungen hin, wie sie bei einer Explosion in der Luft entstehen.
Aus Tall el-Hammam gibt es zudem Funde von geschmolzenem Glas, seltenen Mineralien und verkohltem Material – Spuren einer plötzlichen Katastrophe, die Gebäude und Menschen gleichermaßen getroffen haben könnte.
Was diese Funde bedeuten
Die neuen Analysen zeigen, dass Luftdetonationen nicht nur häufiger auftreten könnten, als wir bisher dachten. Sie haben auch ein potenziell größeres Zerstörungspotenzial als klassische Einschläge.
„Sie sind weitaus häufiger, besitzen aber auch ein viel größeres Zerstörungspotenzial als die eher lokal begrenzten, klassischen Asteroideneinschläge, die Krater bilden“, so Kennett. Der Unterschied: Während ein Kraterereignis eine bestimmte Region stark verwüstet, kann eine Luftdetonation durch ihre Schockwellen und Brände über hunderte Kilometer hinweg Schäden verursachen.
Wie man solche Ereignisse erkennt
Das Aufspüren vergangener Luftdetonationen ist schwierig. Es fehlen eindeutige Krater, oft sind nur mikroskopische Spuren in Sedimenten oder Gestein erhalten. Typische Indizien sind:
- Geschockter Quarz – Brüche im Kristallgitter, die nur unter extremen Druck- und Temperaturbedingungen entstehen.
- Schmelzglas – aus dem Erdboden herausgeschmolzenes Material, das beim schnellen Abkühlen glasartig erstarrt.
- Metallische Kügelchen – oft aus der Verdampfung des Impaktors oder des getroffenen Gesteins.
Diese Beweise müssen oft mühsam aus Bohrkernen oder archäologischen Ausgrabungen gewonnen werden.
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