Verstecke Abhängigkeiten 11.08.2025, 11:30 Uhr

Seltene Erden: Warum der Engpass nicht nur in der Mine entsteht

Seltene Erden sind für Energiewende unverzichtbar. Die Abhängigkeit von China ist groß, doch die gilt nicht nur für den Rohstoff. Eine Studie deckt weitere Gefahren auf.

Elektromotor mit Permanentmagneten

Elektromotor mit Permanentmagneten: Ohne Seltene Erden wie Neodym und Dysprosium würden Antriebe für E-Autos nicht laufen.

Foto: Smarterpix / meteor

Wer über Versorgungsrisiken bei seltenen Erden spricht, denkt oft an Minen. Doch das eigentliche Nadelöhr liegt weiter hinten in der Kette: in der Verarbeitung zu Zwischenprodukten. Hier kontrolliert China nahezu den gesamten Markt – mit direkten Folgen für Europas Schlüsselindustrien.

Mehr als ein Rohstoffproblem

Die Diskussion um seltene Erden wird oft auf den Abbau reduziert. Tatsächlich sind die Lagerstätten weltweit verteilt. Doch die entscheidenden Schritte – vom Konzentrat zum einsatzfähigen Werkstoff – finden überwiegend in China statt. Laut einer aktuellen Analyse des Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII) entfallen rund 91 % der weltweiten Raffinadeproduktion auf die Volksrepublik. Diese verarbeitet nicht nur den Großteil der eigenen Förderung, sondern auch große Mengen importierter Rohstoffe.

Besonders betroffen sind sogenannte kritische Zwischenprodukte wie Dauermagnete, Spezialkeramiken oder Legierungen. Sie bilden das Herz moderner Technologien – von E-Autos über Windkraftanlagen bis zu Hightech-Elektronik. Ohne sie steht die Produktion still, selbst wenn der Rohstoff an sich verfügbar wäre.

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Was sind Seltene Erden überhaupt?

„Seltene Erden“ ist ein Sammelbegriff für 17 chemische Elemente, darunter Neodym, Dysprosium, Terbium oder Yttrium. Sie sind nicht unbedingt selten in der Erdkruste, aber oft nur in geringen Konzentrationen auffindbar. Ihr Abbau ist aufwendig, die Trennung und Reinigung erfordern spezielle Verfahren und große Mengen an Chemikalien.

Die Einsatzgebiete sind breit:

  • Neodym, Dysprosium, Terbium – für Permanentmagnete in Elektromotoren und Windkraftanlagen
  • Yttrium, Europium – für Leuchtstoffe in Displays
  • Samarium – für hitzebeständige Magnetwerkstoffe
  • Scandium – für Leichtmetall-Legierungen in der Luftfahrt

Ohne diese Elemente wären viele moderne Technologien nicht denkbar.

Chinas strategische Position

„China beherrscht vor allem die kritischen Zwischenstufen in der Produktion. Damit ist das Land längst nicht mehr nur ein Rohstofflieferant, sondern ein strategischer Gatekeeper mit erheblichem Einfluss auf die globale Versorgung mit Schlüsseltechnologien“, betont Markus Gerschberger, stellvertretender Direktor des ASCII.

Die Abhängigkeit ist messbar: 98 % der EU-Importe entlang der Magnet-Wertschöpfungskette stammen aus China. Bei Permanentmagneten – unverzichtbar für Elektromotoren, Windturbinen und Robotik – kontrolliert China rund 58 % des Rohstoffabbaus, aber 92 % der Produktion. In Deutschland kamen 2023 etwa 80 % aller importierten Magneten direkt aus der Volksrepublik. Der Rest stammt meist aus Ländern, die selbst stark auf chinesische Vorprodukte angewiesen sind.

Risiko steigt seit Jahren

Die ASCII-Studie untersuchte den Handel mit 168 produktgruppenbezogenen Waren, die seltene Erden enthalten, in 170 Ländern zwischen 2007 und 2023. Ergebnis: Das systemische Risiko für Handelsstörungen hat sich deutlich verschärft. Besonders gefährdet sind Industriestaaten wie Deutschland, die USA, Südkorea oder Taiwan. Diese Länder verfügen über kaum eigene Verarbeitungskapazitäten und sind bei vielen Zwischenprodukten auf wenige Lieferländer angewiesen.

Peter Klimek, Direktor des ASCII, warnt: „Bereits kleine Störungen in den mittleren Verarbeitungsstufen können ganze Produktionslinien lahmlegen.“ Selbst wenn Rohstoffe aus verschiedenen Quellen beschafft werden, bleibt die Abhängigkeit bestehen, solange die Verarbeitung so stark konzentriert ist.

Von der Mine zum Magnet – die Wertschöpfung in Etappen

Die Lieferkette seltener Erden besteht aus mehreren Stufen:

  1. Abbau – Rohmaterial wird aus Lagerstätten gefördert, oft als Mischkonzentrat.
  2. Trennung und Reinigung – aufwendige chemische Verfahren, um die einzelnen Elemente zu isolieren.
  3. Veredelung – Umwandlung in Oxide, Metalle oder Legierungen.
  4. Herstellung von Zwischenprodukten – z. B. Magnete, Spezialkeramiken, Phosphore.
  5. Integration in Endprodukte – vom E-Auto über Windturbinen bis zu medizinischen Geräten.

Gerade die Stufen 3 und 4 sind der Engpass. Sie erfordern technisches Know-how, spezialisierte Anlagen und eine stabile Versorgung mit Chemikalien – alles Bereiche, in denen China den Markt dominiert.

Der Bedarf an Magneten explodiert

Permanentmagnete enthalten oft bis zu 30 % seltene Erden. Ein E-Auto benötigt im Schnitt drei Kilogramm davon, eine Offshore-Windturbine mit zehn Megawatt Leistung sogar bis zu sechs Tonnen. Die Nachfrage steigt rasant: Die European Raw Materials Alliance erwartet einen Anstieg des weltweiten Bedarfs an diesen Magneten von 5000 Tonnen im Jahr 2019 auf bis zu 70.000 Tonnen im Jahr 2030.

Damit wächst auch das Risiko. China hat in der Vergangenheit mehrfach gezeigt, dass es Exportlizenzen einschränken oder verweigern kann. 2010 führte ein solcher Schritt bereits zu Lieferengpässen und steigenden Preisen. Heute wären die Auswirkungen noch gravierender, da die Abhängigkeit nicht abgenommen hat.

Exportstopps als politisches Druckmittel

Jüngste Handelskonflikte zeigen, wie schnell sich die Lage zuspitzen kann. Infolge von Zollerhöhungen durch die USA reagierte China mit neuen Exportkontrollen für seltene Erden und Magnetprodukte. Offiziell wurden Kapazitätsengpässe bei der Bearbeitung von Genehmigungen genannt, doch Branchenexperten sehen strategische Motive.

Elisa Hörhager vom Bundesverband der Industrie schildert: „Die Verfahren sind intransparent, werden verzögert und wer priorisiert wird, ist unklar.“ Für Unternehmen bedeutet das Planungsunsicherheit und wachsende Kosten. Lagerbestände können solche Störungen nur für wenige Wochen abfedern.

Industrielle Abhängigkeit – Beispiele aus Deutschland

Deutschland importierte 2023 Permanentmagnete im Wert von 922 Millionen Euro. 80 % davon kamen direkt aus China. Diese Magnete enthalten bis zu 30 % seltene Erden. Ein E-Auto benötigt im Schnitt drei Kilogramm, eine große Offshore-Windturbine bis zu sechs Tonnen.

Besonders abhängig sind Branchen wie:

  • Automobilbau – Elektromotoren, Sensoren, Batteriemanagement
  • Energietechnik – Generatoren in Windturbinen
  • Rüstungsindustrie – Präzisionslenkwaffen, Radar- und Kommunikationssysteme
  • Medizintechnik – MRT-Geräte, Laserchirurgie

Fehlen diese Bauteile, stehen ganze Produktionslinien still.

Politische Reaktionen – bisher ohne durchschlagenden Effekt

Die EU hat mit dem Raw Materials Act und verschiedenen Partnerschaften versucht, die Abhängigkeit zu reduzieren. Auch Länder wie die USA haben Minen reaktiviert. Doch an der zentralen Schwachstelle – der Verarbeitung – hat sich wenig geändert. Selbst wenn mehr Rohstoffe außerhalb Chinas gefördert werden, gelangen viele davon zur Raffination in die Volksrepublik.

Gerschberger bringt es auf den Punkt: „Nicht der Zugang zu seltenen Erden ist das größte Problem, sondern die mangelnden Möglichkeiten, sie zu verarbeiten.“ Ohne Investitionen in eigene Kapazitäten und internationale Kooperationen werde die Abhängigkeit bis mindestens 2040 hoch bleiben.

Was getan werden müsste

Fachleute nennen mehrere Handlungsfelder:

  • Aufbau eigener Verarbeitungsanlagen für Zwischenprodukte wie Magnete und Spezialkeramiken
  • Diversifizierung der Lieferländer
  • Stärkere Förderung von Recycling und Ersatzmaterialien
  • Langfristige Kooperationsabkommen mit Partnerstaaten

Ein solcher Ansatz würde nicht nur das Risiko mindern, sondern auch neue industrielle Chancen eröffnen.

Blick nach vorn

Der Bedarf an seltenen Erden wird in den kommenden Jahren weiter steigen – getrieben durch E-Mobilität, Energiewende und Digitalisierung. Das Risiko für Lieferkettenunterbrechungen wächst parallel.

Ohne eine strategische Neuausrichtung könnten Produktionsausfälle, Preissprünge und der Verlust von Marktanteilen Realität werden. Die Mitte der Wertschöpfungskette mag unscheinbar wirken – doch hier entscheidet sich, ob Europas Hightech-Zukunft stabil bleibt.

Hier geht es zur Studie

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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