Bis zu 50%: EU verdoppelt Schutzzölle auf Stahl
Die EU-Kommission hat am Dienstag drastische Maßnahmen zum Schutz der europäischen Stahlindustrie vorgestellt: Künftig sollen bis zu 50 Prozent Zoll fällig werden, wenn Importkontingente überschritten werden. Zudem werden die zollfreien Einfuhrmengen auf 18,3 Millionen Tonnen pro Jahr begrenzt – eine Verringerung um 47 Prozent gegenüber 2024. Für Deutschland als größten Stahlproduzenten der EU hat dies besondere Bedeutung.
Die EU will die zollfreie Stahleinfuhr auf 18 Millionen Tonnen pro Jahr begrenzen — eine Halbierung im Vergleich zum Vorjahr.
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Verdopplung der Zölle und drastische Kontingentkürzung
Die EU-Kommission begrenzt die zollfreien Stahleinfuhren auf 18,3 Millionen Tonnen pro Jahr. Das entspricht einer Halbierung im Vergleich zu den Stahlkontingenten 2024 und liegt deutlich unter den 27 Millionen Tonnen, die laut Branchenverband Eurofer 2024 tatsächlich in die EU importiert wurden. Die meisten Importe kamen aus der Türkei, Südkorea, Indien, Vietnam, Taiwan und China.
Über diese Menge hinaus greift künftig ein Zollsatz von 50 Prozent – doppelt so viel wie die seit 2018 geltenden 25 Prozent. Die genauen Quoten werden pro Produktkategorie festgelegt und könnten sich im Laufe der Verhandlungen noch ändern.
Zusätzlich führt die EU eine Schmelze- und Gießen-Anforderung ein, um die Rückverfolgbarkeit zu stärken und Umgehungen zu verhindern.
Von der Leyen: „Wir müssen jetzt handeln“
„Ein starker, dekarbonisierter Stahlsektor ist für die Wettbewerbsfähigkeit, die wirtschaftliche Sicherheit und die strategische Autonomie der Europäischen Union von entscheidender Bedeutung“, erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. „Globale Überkapazitäten schaden unserer Industrie. Wir müssen jetzt handeln.“
EU-Industriekommissar Stéphane Séjourné ergänzte: „Ohne eine dynamische und widerstandsfähige Stahlindustrie ist eine industrielle Zukunft für Europa nicht möglich. Indem wir unseren Markt vor unlauterem globalen Wettbewerb schützen, bauen wir einen Weg für einen souveränen dekarbonisierten europäischen Stahl.“
Begründung: Massive Überkapazitäten
Die EU-Kommission begründet den Schritt mit „unlauteren Auswirkungen globaler Überkapazitäten“. Diese nicht nachhaltigen Überkapazitäten machen mehr als das Fünffache des jährlichen Stahlverbrauchs der EU aus – aktuell 620 Millionen Tonnen, die bis 2027 voraussichtlich auf 721 Millionen Tonnen anwachsen werden.
Die EU-Stahlindustrie hat seit 2007 rund 65 Millionen Tonnen Kapazität verloren – sie ist die einzige große Region weltweit mit diesem Negativtrend. Im Jahr 2024 erreichte die Kapazitätsauslastung nur 67 Prozent (gesunde Quoten liegen bei etwa 80 Prozent), und der Sektor verzeichnete Rekordverluste. Seit 2007 gingen zwischen 90.000 und 100.000 Arbeitsplätze verloren.
Hintergrund sind die zunehmende Abschottung des US-Marktes durch 50-Prozent-Zölle und eine daraus resultierende Welle von Billigimporten, die auf den europäischen Markt umgeleitet werden.
WTO-konform und dauerhaft
Die bisherige Schutzmaßnahme aus dem Jahr 2018 war aufgrund von Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) zeitlich begrenzt und läuft im Juni 2026 aus. Zuletzt hatten die Zölle kaum noch Wirkung gezeigt, weil die zollfreien Kontingente mehrmals erhöht worden waren.
Die neue Maßnahme ist nach Angaben der EU-Kommission vollständig WTO-konform. Nach Erhalt eines Mandats vom Rat wird die Kommission im Rahmen des Verfahrens nach Artikel XXVIII des GATT rasch mit betroffenen EU-Handelspartnern über diese Änderung der WTO-Zölle in Kontakt treten.
Ausnahmen gelten für Norwegen, Island und Liechtenstein aufgrund ihrer Integration in den EU-Binnenmarkt im Rahmen des EWR-Abkommens. Auch für die Ukraine sollen aufgrund ihrer „außergewöhnlichen und unmittelbaren Sicherheitslage“ besondere Regelungen gelten.
Internationale Koordination
EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič betonte: „Beim EU-Handel geht es um einen fairen, regelbasierten Wettbewerb, und diese Maßnahme wird unserer Stahlindustrie helfen, angesichts der zunehmenden globalen Überkapazitäten fair zu konkurrieren.“
Die Kommission fordert gleichgesinnte Länder auf, zusammenzuarbeiten, um ihre Volkswirtschaften vor globalen Überkapazitäten zu schützen. Die internationale Arbeit wird insbesondere im Rahmen des Globalen Forums für Stahlüberkapazitäten vorangetrieben, dessen Ministertagung am 10. Oktober stattfindet.
Die EU folgt damit einem Weg, den auch die USA und Kanada bereits eingeschlagen haben: Beide haben in den vergangenen Wochen ebenfalls einen Stahlzoll in Höhe von 50 Prozent eingeführt.
Atempause für die deutsche Stahlindustrie?
Die EU-Stahlindustrie ist die drittgrößte der Welt und beschäftigt rund 300.000 Menschen direkt sowie indirekt rund 2,5 Millionen in Stahlproduktionsstätten in mehr als 20 EU-Mitgliedstaaten. Innerhalb der EU hat Deutschland die mit Abstand größte Stahlindustrie.
Doch die Branche leidet unter multiplen Belastungen: der Krise in Abnehmerbranchen, vor allem der Autoindustrie, gestiegenen Energiepreisen, Billigimporten vor allem aus China und den Kosten für den Umbau hin zu einer klimafreundlicheren Stahlproduktion.
Für die deutsche Stahlindustrie könnten die neuen Zölle daher eine Atempause bedeuten. Allerdings hängt der Erfolg der Maßnahme davon ab, ob die reduzierten Importkontingente tatsächlich eingehalten werden und ob die EU-Kommission konsequent gegen Umgehungsversuche vorgeht.
Nächste Schritte
Der Vorschlag der Kommission unterliegt nun dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren. Das Europäische Parlament und der Rat müssen sich auf die endgültige Verordnung einigen. Von der Leyen forderte beide Institutionen auf, „rasch voranzukommen“.
Nach der Annahme wird die Maßnahme die auslaufende Schutzklausel für Stahl im Juni 2026 ersetzen. Die Kommission will damit einen ununterbrochenen Schutz des EU-Stahlsektors gewährleisten.
Hintergrund: EU-Zölle für Stahl im Zeitverlauf
Die aktuellen Pläne markieren eine deutliche Verschärfung der EU-Handelspolitik. Ein Überblick über die Entwicklung:
2018 – Erste Schutzzölle: Als Reaktion auf US-Zölle führte die EU im Sommer 2018 Schutzzölle von 25 % auf Stahlimporte ein.
2022 – Anti-Dumping gegen China: Die EU weitete ihre Anti-Dumping-Zölle im Februar 2022 auf spezifische Stahlprodukte aus China aus, darunter Schrauben und Verbindungselemente.
2024 – Verschärfung der Kontingente: Die zollfreien Importkontingente wurden 2024 mehrfach reduziert. Zudem schränkte Brüssel den Mechanismus für das Übertragen ungenutzter Kontingente ein.
2025 – Verdopplung auf 50 Prozent: Mit den neuen Plänen verdoppelt die EU die Zölle und halbiert die zollfreien Kontingente auf 18 Millionen Tonnen pro Jahr (im Vergleich zu 2013). Die EU plant zudem, öffentliche Aufträge und Infrastrukturinvestitionen stärker an europäische und klimafreundliche Produktion zu koppeln („Buy European“).
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