Wasserstoff fehlt, Strom zu teuer: Scheitert die Stahlwende?
Rückschlag für grünen Stahl: Warum ArcelorMittal aussteigt, andere aber weitermachen – und was das für die Energiewende bedeutet.

Rückschlag für den «grünen» Umbau der Stahlindustrie in Deutschland: ArcelorMittal Europe verfolgt Pläne zur Dekarbonisierung der Flachstahlwerke in Bremen und Eisenhüttenstadt nicht weiter.
Foto: Smarterpix / reflex_safak
Deutschlands Weg zum grünen Stahl gerät ins Wanken. ArcelorMittal stoppt den Umbau seiner Werke in Bremen und Eisenhüttenstadt – trotz Förderzusagen von über einer Milliarde Euro. Grund sind fehlender grüner Wasserstoff, hohe Stromkosten und mangelnde Planungssicherheit.
Während andere Stahlunternehmen wie Thyssenkrupp, Salzgitter und SHS an ihren Dekarbonisierungsplänen festhalten, warnt die IG Metall vor einem Rückschritt bei Klimazielen und Beschäftigung. Der Fall zeigt: Der Umbau der Industrie ist möglich – aber nicht um jeden Preis.
Inhaltsverzeichnis
ArcelorMittal bremst Transformation – ein Warnsignal?
Eigentlich galt grüner Stahl als Schlüssel für eine klimaneutrale Industrie. Wasserstoff statt Kohle, erneuerbarer Strom statt fossiler Energie – so lautete die Vision. Doch nun hat der weltgrößte Stahlkonzern ArcelorMittal seine Umbaupläne in Bremen und Eisenhüttenstadt auf Eis gelegt. Die Ankündigung kommt überraschend. Noch vor wenigen Monaten war von ambitionierten Investitionen in Direktreduktionsanlagen und Elektroöfen die Rede.
„Die Rahmenbedingungen ermöglichen aus unserer Sicht kein belastbares und überlebensfähiges Geschäftsmodell“, sagt Reiner Blaschek, Chef der europäischen Flachstahlsparte.
Konkret bedeutet das: Die geplante Umstellung auf wasserstoffbasierte Verfahren wird nicht weiterverfolgt. Das Projekt hatte ein Fördervolumen von 1,3 Milliarden Euro. Trotzdem zieht sich ArcelorMittal zurück. Gründe seien die unsichere Versorgung mit grünem Wasserstoff, hohe Strompreise und unklare politische Rahmenbedingungen.
Fördergelder zugesagt – aber nie abgerufen
Die Entscheidung sorgt für heftige Reaktionen in Politik und Gewerkschaften. Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte nennt sie einen „schweren Schlag für den Standort und die Beschäftigten“. Auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke zeigt sich besorgt. Besonders bitter: Obwohl Fördermittel vom Bund bewilligt wurden, rief ArcelorMittal diese nie ab.
„Selbst mit der finanziellen Unterstützung ist die Wirtschaftlichkeit der Umstellung nicht ausreichend gegeben“, erklärt Geert Van Poelvoorde, CEO von ArcelorMittal Europe.
Ein Vertrag mit dem Bundeswirtschaftsministerium sah einen Baustart bis Mitte 2025 vor. Dieses Ziel wird nun verfehlt. Die Umrüstung ist gestoppt – möglicherweise dauerhaft.
Grüner Stahl in Deutschland – Investitionen und Projektstatus
- ArcelorMittal (Bremen & Eisenhüttenstadt): Rückzug vom Projekt, 1,3 Mrd. € Fördermittel zugesagt, aber nicht abgerufen.
- Thyssenkrupp Steel (Duisburg): Gesamtvolumen ca. 3 Mrd. €, davon 2 Mrd. € Förderung. Baubeginn erfolgt, Inbetriebnahme bis 2030 geplant.
- Salzgitter AG: Investition über 2 Mrd. €, davon 1 Mrd. € öffentlich gefördert. Erste Anlage ab 2027, vollständige Umstellung bis 2033.
- Stahl-Holding-Saar (Dillingen & Völklingen): Gesamtkosten rund 4,6 Mrd. €, 2,6 Mrd. € durch Bund und Land finanziert. Start für 2028/29 geplant.
Das Dilemma mit Wasserstoff und Stromkosten
Grüner Wasserstoff soll als zukunftsfähiger Energieträger fossile Brennstoffe in der Industrie ersetzen. Doch bislang ist er knapp und teuer. Seine Herstellung setzt auf Strom aus erneuerbaren Energien – der in Deutschland ebenfalls nicht im Überfluss vorhanden ist. Dazu kommt: Der Einsatz von Wasserstoff muss laut Förderung schnell und konsequent erfolgen. Eine langsame Umstellung ist nicht vorgesehen.
Die Technik wäre bereit. Doch es fehlt an Infrastruktur und planbarer Versorgung. Auch der Strompreis belastet die Kalkulationen. Der Betrieb energieintensiver Anlagen wird so zur Kostenfalle.
Thyssenkrupp und Co. halten Kurs – noch
Nicht alle Unternehmen folgen dem Beispiel von ArcelorMittal. In Duisburg treibt Thyssenkrupp den Bau eines wasserstofffähigen Stahlwerks weiter voran. Das Projekt hat ein Volumen von rund drei Milliarden Euro. Zwei Milliarden davon kommen aus öffentlichen Fördermitteln. Bis 2030 sollen zwei Hochöfen ersetzt werden.
„Wir bewegen uns derzeit auch an der Grenze der Wirtschaftlichkeit. Oder, stand heute: jenseits davon“, sagte Thyssenkrupp-CEO Miguel Lopez.
Auch Salzgitter verfolgt seine Umstellung weiter. Der Plan: Erst Erdgas, später grüner Wasserstoff. Bis 2033 soll die Produktion vollständig klimafreundlich laufen. Ähnlich sieht es bei der Stahl-Holding-Saar aus. In Dillingen und Völklingen entstehen Direktreduktionsanlagen und Elektrolichtbogenöfen – mit geplanten Investitionen von 4,6 Milliarden Euro.
IG Metall fordert Krisengipfel
Die Gewerkschaft IG Metall kritisiert den Kurswechsel von ArcelorMittal scharf. „Diese Entscheidung ist strategisch kurzsichtig, unternehmerisch falsch und mit Blick auf die Beschäftigten wie auch auf die gesamtgesellschaftlichen Folgen in höchstem Maße unverantwortlich“, erklärt Jürgen Kerner, Zweiter Vorsitzender der IG Metall.
Kerner sieht im klimaneutralen Umbau ein Jahrhundertprojekt – wirtschaftlich und gesellschaftlich. Die Bereitschaft der Beschäftigten sei da, die Fördermittel ebenfalls. Dass ein Konzern trotz dieser Voraussetzungen die Transformation abbricht, sei nicht nachvollziehbar. Die IG Metall fordert einen Krisengipfel zur Zukunft der deutschen Stahlindustrie. Ziel: Planungssicherheit schaffen und Investitionen absichern.
Zeitleiste: Grüner Stahl – wichtige Meilensteine in Deutschland
- 2023: Start des Umbaus bei Salzgitter AG
- März 2024: Thyssenkrupp-CEO warnt vor fehlender Wirtschaftlichkeit
- Juni 2024: ArcelorMittal stoppt seine Pläne in Bremen und Eisenhüttenstadt
- 2025: (ursprünglich geplanter) Baustart von ArcelorMittals DRI-Anlagen – findet nicht statt
- 2027: Erste DRI-Anlage in Salzgitter soll in Betrieb gehen
- 2028/29: Geplante Inbetriebnahme der SHS-Anlagen im Saarland
- 2030: Zwei Hochöfen bei Thyssenkrupp sollen durch Direktreduktion ersetzt werden
- 2033: Salzgitter plant vollständige Umstellung auf CO₂-reduzierten Stahl
Frankreich geht voran – Deutschland zögert
Ein Vergleich mit Frankreich zeigt: Andere Länder sind schneller. Dort gibt es bereits einen staatlich garantierten Industriestrompreis. Das schafft Klarheit für Unternehmen. In Deutschland wird noch geprüft, was europarechtlich möglich ist. IG-Metall-Vize Kerner kritisiert: „Stahl muss auch bei uns zur Chefsache werden.“
Ohne günstigen Strom, verlässliche Wasserstoffversorgung und politische Unterstützung bleibe grüner Stahl eine theoretische Möglichkeit – keine industrielle Realität.
Klimaziele in Gefahr
Die Stahlindustrie ist für rund 6–7 % der industriellen CO₂-Emissionen in Deutschland verantwortlich. Der Umstieg auf Wasserstoffverfahren könnte diese Emissionen drastisch senken. Dass nun ausgerechnet ein Pionier wie ArcelorMittal aufgibt, sendet ein fatales Signal.
Geplante CO₂-Einsparungen geraten ins Wanken. Die Umrüstung der Hochöfen in Bremen und Eisenhüttenstadt bis 2030 erscheint kaum noch erreichbar. Die nationale Klimapolitik verliert ein zentrales Element – und damit auch an Glaubwürdigkeit. (mit dpa)
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