Baustoffe 07.05.2025, 14:00 Uhr

Praxistest für Biobeton aus Pipi

Beton treibt die CO2-Emissionen im Bausektor in die Höhe. Mit menschlichem Urin könnte er wesentlich umweltfreundlicher erzeugt werden.

Biobeton, hergestellt mithilfe von menschlichem Urin: den neuartigen Baustoff haben Forschende aus drei Instituten der Universität Stuttgart entwickelt. Foto: ILEK / IMB / ISWA/Universität Stuttgart

Biobeton, hergestellt mithilfe von menschlichem Urin: den neuartigen Baustoff haben Forschende aus drei Instituten der Universität Stuttgart entwickelt.

Foto: ILEK / IMB / ISWA/Universität Stuttgart

Rund 4 Mrd. t Zement verarbeitet der Bausektor jedes Jahr weltweit zu Beton. Dadurch verursacht die Branche enorme Klimagasemissionen, denn herkömmlicher Zement wird bei ca.1450 °C gebrannt. „Das verschlingt viel Energie und setzt große Mengen Treibhausgase frei“, sagt Lucio Blandini, Leiter des Instituts für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) der Universität Stuttgart. Sein Team forscht deshalb an umweltfreundlicheren Varianten. Ein Ansatzpunkt: umweltfreundlicher Biobeton aus Urin, hergestellt über biotechnologische Prozesse. An der Entwicklung beteiligt sind Forschende aus drei Instituten der Uni Stuttgart. Aktuell stehen Praxistests an.

Mikrobielle Herstellung von Beton mithilfe von menschlichem Urin ist umweltfreundlich

Dank seiner hohen Druckfestigkeit könne, so die Forscher, der neue Werkstoff nicht nur den traditionellen Sandstein und teilweise zementbasierten Beton ersetzen. Er lässt sich grundsätzlich auch vollständig aus Abfallstoffen herstellen. Ein Grund, weshalb sein ökologischer Fußabdruck deutlich geringer ausfällt als der seiner Vorgänger. Einer der Rohstoffe, ein ganz besonderer Saft, ist menschlicher Urin, der reichlich zur Verfügung steht.

„Biobeton wird durch Biomineralisierung hergestellt. Das ist ein biotechnologisches Verfahren, bei dem lebende Organismen mithilfe chemischer Reaktionen anorganisches Material produzieren“, erklärt Maiia Smirnova, wissenschaftliche Mitarbeiterin am ILEK. „Zur Grundzutat Sand geben wir ein bakterienhaltiges Pulver, füllen die Mischung in eine Schalung und spülen sie in einem automatisierten Prozess drei Tage lang mit Urin, der mit Calcium angereichert wird. Der Abbau von Harnstoff durch die Bakterien unter Zugabe von Calcium zum Urin bewirkt, dass Kristalle aus Calciumcarbonat heranwachsen. Damit verfestigt sich das Sandgemisch zu Biobeton. Am Ende des Prozesses erhält man einen Festkörper, der chemisch Ähnlichkeiten zum natürlichen Kalksandstein aufweist.“ Je nach Schalung könnten so Elemente in unterschiedlichen Formen und Größen produziert werden, momentan mit einer Tiefe von bis zu 15 cm.

Biobeton mit einer Druckfestigkeit von 20 bis 50 Megapascal

Die ersten Proben überzeugten mit ihren vielversprechenden Materialeigenschaften. Eine Druckfestigkeit von über 50 Megapascal gelang dem Team bereits mit technischem Harnstoff. Das liegt weit über den bisher verfügbaren Baustoffen auf Basis von Biomineralisierung. Mit Harnstoff in synthetisch stabilisiertem Urin gelang immerhin die Marke von 20 Megapascal. Und mit echtem, menschlichem Urin lag der Wert bei fünf Megapascal, da Bakterien nicht über die volle Biomineralisierungszeit von drei Tagen aktiv bleiben. Hier will das Stuttgarter Team jetzt ansetzen, um weitere Verbesserungen zu erzielen. Denn: Für das Mauerwerk von zwei- bis dreigeschossigen Gebäuden würde eine Festigkeit des biomineralisierten Materials im Bereich von 30 bis 40 Megapascal ausreichen. Zudem müssen weitere Experimente mit Frost- und Auftauprozessen klären, inwieweit das Material für den Einsatz im Außenbereich taugt.

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Wie kommt der Urin auf die Baustelle?

Die Forschenden haben zudem ein Konzept erstellt, wie man Urin aus dem Abwasserteilstrom an Orten mit hohem Menschenaufkommen, zum Beispiel einem Flughafen, separieren und aufbereiten könnte, um ihn als Rohstoff für die Produktion von Biobeton zu nutzen. In weiteren Laborversuchen sollen Störstoffe im menschlichen Urin identifiziert werden, die sich negativ auf die Aktivität der Bakterien und somit die Qualität des Biobetons auswirken. Basierend darauf soll der Herstellungsprozess optimiert werden.

Sobald die Laborversuche abgeschlossen sind, soll das Konzept unter realen Bedingungen getestet werden: Geplant ist, am Flughafen Stuttgart eine Versuchsumgebung zu schaffen, in der Urin gesammelt und zu Biobeton aufbereitet wird.

Ein Beitrag von:

  • Bettina Reckter

    Bettina Reckter ist Diplom-Ökotrophologin und langjährige Wissenschaftsjournalistin. Sie schreibt über Biotechnologie, Chemie, Medizintechnik und Umwelt.

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