Bahnchef Lutz weg: kommt der Nachfolger erst Ende September?
Bahnchef Lutz geht. Der Nachfolger oder die Nachfolgerin übernimmt verspätete Züge, marode Strecken und Finanzprobleme.
Bahn ohne Chef: Richard Lutz, seit 2017 Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn, verlässt den Konzern vorzeitig – die Suche nach einer Nachfolge läuft.
Foto: picture alliance / SZ Photo/Eduard Fiegel
Richard Lutz muss nach mehr als 30 Jahren die Deutsche Bahn verlassen, sieben davon als Vorstandsvorsitzender. Doch sein Abschied erfolgt nicht sofort, sondern mit Verzögerung. Offiziell bleibt er im Amt, bis eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger gefunden ist. Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder erklärte zwar: „Ich möchte gerne am 22. September eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger präsentieren.“ Ob dieser Zeitplan hält, ist offen.
Im Unternehmen selbst stößt diese Regelung auf Verwunderung. Ein Manager aus dem Berliner Bahntower sagte: „Den Sinn dieser Regelung versteht bei uns niemand.“ Die Kritik richtet sich nicht nur gegen die Länge der Übergangszeit, sondern auch gegen die unklare Strategie des Verkehrsministers. Viele Beschäftigte fragen sich, wie es in den kommenden Wochen weitergeht.
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Politischer Druck wächst
Für Schnieder ist der Führungswechsel Teil eines größeren Neustarts. Er forderte öffentlich: „Die Bahn muss pünktlich, sicher und sauber sein.“ Gleichzeitig stellte er klar, dass er jemanden sucht, „der umsetzt, was wir wollen.“ Damit macht der Minister deutlich, wie eng Politik und Konzernspitze künftig zusammenarbeiten sollen.
Doch die Kandidatensuche gestaltet sich schwierig. Namen kursieren zwar reichlich – vom Telekom-Chef Timotheus Höttges über den Airbus-Aufsichtsratsvorsitzenden René Obermann bis hin zu Evelyn Palla, die bei der Bahn den Regionalverkehr verantwortet. Doch ob einer von ihnen tatsächlich bereit ist, die Verantwortung zu übernehmen, ist unklar. Viele Wunschkandidatinnen und -kandidaten haben bereits abgesagt.
Ein schwieriges Erbe
Dass die Position nicht gerade attraktiv wirkt, liegt auch an den Problemen des Konzerns. Die Pünktlichkeit im Fernverkehr ist auf 62 % gesunken. Jeder zweite ICE kommt verspätet an, Züge fallen aus, Klimaanlagen streiken. Gleichzeitig steckt die Bahn tief in den roten Zahlen. Im ersten Halbjahr 2025 hätte das Unternehmen ohne den Verkauf von DB Schenker ein Minus von 760 Millionen Euro verbucht.
Hinzu kommen unzählige Baustellen im Netz. Bis Mitte der 2030er-Jahre will die Bahn mehr als 40 Hauptstrecken grundlegend sanieren. Erste Erfahrungen mit der Riedbahn zeigen, wie massiv Sperrungen den Betrieb einschränken. Für die Kundschaft bedeutet das zusätzliche Belastungen, für die Führung ein heikles Projektmanagement.
Finanzprobleme ohne Ende
Die Bahn steckt in einer angespannten Lage. Der Verkauf der Logistiktochter DB Schenker brachte zwar kurzfristig Milliarden ein. Doch dieser Einmaleffekt kaschiert nur, wie schwach das operative Geschäft läuft. Ohne diesen Erlös hätte der Konzern im ersten Halbjahr 2025 ein Minus von 760 Millionen Euro gemacht.
Besonders teuer bleibt das Großprojekt „Stuttgart 21“. Gerichte entschieden, dass die Bahn die Mehrkosten selbst tragen muss. Diese summieren sich mittlerweile auf zweistellige Milliardenbeträge. Auch andere Bauvorhaben laufen finanziell aus dem Ruder. Kritiker wie der Bundesrechnungshof zweifeln daran, dass sich die Pläne mit den vorhandenen Mitteln umsetzen lassen.
Marodes Netz, wachsende Baustellen
Ein Kernproblem liegt im Schienennetz. Jahrzehntelang wurde zu wenig investiert, viele Strecken sind überlastet oder technisch veraltet. Der Bund stellt inzwischen mehr Geld bereit, doch reicht es nicht für gleichzeitige Sanierung und Ausbau.
Für den geplanten „Deutschlandtakt“ – halbstündliche Verbindungen auf wichtigen Strecken – fehlen die Voraussetzungen. Stattdessen drohen jahrelange Sperrungen. Allein die Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim zeigt, wie sehr eine einzige Großbaustelle den gesamten Fernverkehr durcheinanderbringen kann.
Güterverkehr unter Druck
Auch DB Cargo kämpft ums Überleben. Ab 2026 muss die Gütersparte profitabel arbeiten. Eine Vorgabe der EU lässt kaum Spielraum. Besonders problematisch ist der Einzelwagenverkehr: Hierbei werden einzelne Waggons abgeholt und in Rangierbahnhöfen zusammengestellt. Er ist teuer, aber für Industrien wie Chemie, Stahl und Bau unverzichtbar. Ein Rückzug würde mehr Lkw-Verkehr auf die Straßen bringen – mit Folgen für Umwelt und Logistik.
Personalfragen und Tarifkonflikte
Die Bahn will in diesem Jahr mehr als 20.000 neue Mitarbeitende einstellen. Viele davon in Stellwerken und Werkstätten, die dringend Personal brauchen. Doch die Suche ist schwierig. Fachkräfte fehlen, und die Konkurrenz durch andere Branchen ist groß.
Hinzu kommt die Tariffrage. Ende des Jahres läuft der Vertrag mit der Lokführergewerkschaft GDL aus. Ob der neue Vorsitzende Mario Reiß denselben harten Kurs fährt wie sein Vorgänger Claus Weselsky, bleibt abzuwarten. Streiks zu Beginn einer neuen Vorstandszeit könnten den Druck auf die Bahn zusätzlich erhöhen.
Reaktionen aus Politik und Verbänden
Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG warnte bereits vor einem „Führungsvakuum“, falls sich die Nachfolgesuche bis in den Herbst zieht. Auch aus dem Bundestag kommen kritische Stimmen. Grünen-Politiker Matthias Gastel betonte: „Allein der Personalwechsel wird nichts verbessern.“ Er fordert eine klare Strategie und verlässliche Finanzierung durch den Bund.
Der Branchenverband „Die Güterbahnen“ begrüßte den Abgang von Lutz und sprach von einer Chance für neue Ansätze. Auch die GDL sieht die Möglichkeit für Veränderungen, warnt aber zugleich vor leeren Versprechen.
Historischer Blick: Bahnchefs seit 1994
Seit der Umwandlung der Bundesbahn und Reichsbahn zur Deutschen Bahn AG hatte der Konzern nur wenige Vorstandsvorsitzende. Nach Heinz Dürr (1994–1997) folgte Johannes Ludewig, dann Hartmut Mehdorn, der 2009 zurücktrat.
Rüdiger Grube führte den Konzern bis 2017, bevor Richard Lutz übernahm. Jede Amtszeit war geprägt von wirtschaftlichen Herausforderungen, Infrastrukturproblemen und politischem Einfluss – ein Muster, das sich fortzusetzen scheint.
Blick zurück: die Ära Lutz
Richard Lutz ist ein Bahn-Mann durch und durch. 1994 kam er ins Unternehmen, 2017 wurde er Vorstandsvorsitzender. In seiner Amtszeit sank die Pünktlichkeit im Fernverkehr von 78,5 % auf 62,5 %. Gleichzeitig stiegen die Ticketpreise. Für viele Kund*innen verschlechterte sich das Preis-Leistungs-Verhältnis spürbar. Ein Beispiel: Die kostenlose Familienreservierung wurde gestrichen. Eine vierköpfige Familie zahlt nun für Sitzplätze auf einer einfachen Fahrt 22 Euro statt zuvor 10,40 Euro.
Lutz setzte stark auf das Sanierungsprogramm, um das Netz langfristig zu stabilisieren. Doch die Erfolge blieben bisher aus. Die Kundschaft spürt vor allem Einschränkungen, während Verbesserungen auf sich warten lassen.
Ein Balanceakt für die Zukunft
Wer auch immer Lutz nachfolgt, steht vor einer Mammutaufgabe. Die neue Führung muss kurzfristig für sichtbare Fortschritte sorgen, gleichzeitig aber langfristige Projekte steuern. Hinzu kommen politische Erwartungen, wirtschaftliche Zwänge und das Misstrauen vieler Kund*innen.
Verkehrsminister Schnieder hat seine Forderung klar formuliert: „Die Bahn muss pünktlich, sicher und sauber sein.“ Doch bis dahin ist es ein weiter Weg.
(mit Material der dpa)
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