Wanderndes Zeitlupen-Erdbeben verblüfft die Forscher
Langsame Erdbeben bewegen sich am Tag ein bis zwei Kilometer. Sie fungieren als Stoßdämpfer für Tsunamis, wie Forscher herausfanden.

Japan liegt auf mehreren Erdplatten und ist daher anfällig für Erdbeben. Hochsensible Messstationen vor der Küste liefern jetzt neue Einblicke in langsame Erdbeben entlang der Nankai-Verwerfung.
Foto: Smarterpix / crystaleyemedia
Forschende haben vor der Küste Japans ein sogenanntes „langsames Erdbeben“ beobachtet – ein Ereignis, das sich über Wochen ausdehnt und dabei Spannungen zwischen tektonischen Platten abbaut. Die Entdeckung liefert Hinweise darauf, dass bestimmte Zonen der gefährlichen Nankai-Verwerfung wie ein natürlicher Stoßdämpfer wirken könnten. Damit ändern sich bisherige Annahmen zur Gefahrenlage in dieser Region. Neue Sensoren auf dem Meeresboden machen diese Beobachtungen erstmals möglich.
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Langsame Erdbeben verursachen kaum messbare Erschütterungen
Erdbeben verlaufen nicht immer abrupt. Das zeigt eine neue Untersuchung von Forschenden der University of Texas in Austin. Sie haben vor der Küste Japans ein sogenanntes „langsames Erdbeben“ dokumentiert – ein Ereignis, das sich über Wochen zieht, aber kaum messbare Erschütterungen auf dem Festland verursacht.
„Es ist wie eine Welle, die sich über die Plattengrenze bewegt“, beschreibt Geowissenschaftler Josh Edgington, der das Projekt als Doktorand am Institut für Geophysik der UT Austin betreute.
Diese Art von Erdbeben – auch Slow-Slip-Ereignisse genannt – gelten als zeitverzögerte Entlastung im Spannungsfeld tektonischer Platten. Sie sind besonders schwer nachzuweisen, könnten aber eine entscheidende Rolle spielen, wenn es um das Risiko von Tsunamis geht.
Langsame vs. klassische Erdbeben – die Unterschiede
Klassische Erdbeben entstehen plötzlich und setzen innerhalb weniger Sekunden große Energiemengen frei. Sie verursachen spürbare Bodenerschütterungen und können Gebäude und Infrastrukturen schwer beschädigen.
Langsame Erdbeben (Slow-Slip-Events) dagegen laufen nahezu unbemerkt ab. Die Bewegung zwischen den Platten erfolgt in Zeitlupe – über Tage oder Wochen. Trotz fehlender Erschütterung können sie wichtige Hinweise auf Spannungsabbau im Untergrund liefern. Sie wirken oft wie ein natürliches Sicherheitsventil an aktiven Verwerfungszonen.
Nankai-Verwerfung im Fokus
Untersucht wurde die Nankai-Verwerfung – ein geologisch aktiver Abschnitt entlang des Pazifischen Feuerrings, der in der Vergangenheit bereits verheerende Erdbeben und Tsunamis ausgelöst hat. Das letzte große Beben in dieser Region ereignete sich 1946. Damals starben über 1.300 Menschen, 36.000 Gebäude wurden zerstört.
Doch nun zeigt sich: Der äußere Rand der Verwerfung könnte eine besondere Eigenschaft besitzen. Die Messungen deuten darauf hin, dass genau dieser Bereich regelmäßig Spannungen in Form langsamer Beben abbaut – und damit weniger Energie für potenziell zerstörerische Erschütterungen speichert.
Der Nankai-Graben – Japans gefährlichste Erdbebenzone
Der Nankai-Graben liegt südlich der japanischen Hauptinsel Honshū im Pazifik. Dort taucht die ozeanische Philippinische Platte unter die Eurasische Platte ab – ein Prozess, der als Subduktion bezeichnet wird. Diese Zone zählt zu den aktivsten und gefährlichsten Verwerfungen weltweit. In der Vergangenheit löste sie wiederholt schwere Erdbeben und Tsunamis aus, zuletzt 1946 mit einer Magnitude von 8.0. Forschende überwachen die Region intensiv, um besser zu verstehen, wie und wann sich dort Spannungen entladen.
Unsichtbare Bewegungen unter dem Meer
Möglich wurde diese Entdeckung durch hochsensible Sensoren, die in Bohrlöchern direkt am Meeresboden platziert wurden. „Solche Bewegungen auf der flachen Verwerfung sind für landgestützte Überwachungssysteme wie GPS-Netzwerke so gut wie unsichtbar“, erklärt UTIG-Direktor Demian Saffer, der die Studie leitete.
Die Sensoren registrierten bereits 2015 ein erstes langsames Erdbeben, das sich etwa 50 Kilometer vor der Küste entlang eines besonders flachen Abschnitts der Verwerfung ausbreitete. Ein weiteres Ereignis mit nahezu identischem Verlauf wurde 2020 gemessen. Beide Beben benötigten mehrere Wochen, um sich etwa 30 Kilometer entlang der Plattengrenze zu bewegen.
Flüssigkeiten als entscheidender Faktor
Auffällig ist, dass sich diese langsamen Beben an Stellen ereigneten, wo der Porenflüssigkeitsdruck im Gestein besonders hoch war. Das bestätigt eine seit Längerem bestehende Hypothese: Flüssigkeiten im Gestein könnten eine zentrale Rolle bei der Entstehung solcher Zeitlupen-Beben spielen.
Ein direkter Zusammenhang war bisher kaum belegbar. Die aktuellen Messungen liefern nun erste Hinweise darauf, dass der Druck durch Wasser oder andere Flüssigkeiten gezielt Spannungen abbauen kann – ohne dass es zu klassischen Erdbeben mit zerstörerischen Folgen kommt.

Sensoren und Beobachtungsinstrumente werden während einer Mission des International Ocean Discovery Program im Jahr 2016 vor der Küste Japans in eine Bohrung fast 460 Meter unter dem Meeresboden abgesenkt. Sensoren wie diese übertragen Daten in Echtzeit an Forscher in Japan und am Institut für Geophysik der Universität von Texas und ermöglichten es den Forschern, in einer neuen Studie in Science ein langsames Erdbeben in Bewegung zu erkennen und zu beschreiben.
Foto: Photo courtesy of Dick Peterse – ScienceMedia.nl
Vergleich mit Cascadia: Wo der Dämpfer fehlt
Die Forschenden sehen in ihren Ergebnissen auch einen Vergleich zur Cascadia-Subduktionszone vor der US-Westküste. Auch dort wurden bereits langsame Verschiebungen beobachtet – jedoch nicht in der kritischen Region nahe des Grabens, wo Tsunamis entstehen können.
„Cascadia ist eindeutig ein Gebiet von höchster Priorität für die Art der hochpräzisen Überwachung, die wir in Nankai als so wertvoll erwiesen haben“, betont Saffer. Denn anders als in Japan scheint die Zone dort keinen natürlichen Druckabbau durch Slow-Slip zu ermöglichen – mit potenziell schwerwiegenden Folgen im Fall eines großen Bebens.
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