Kosmische Überraschung 21.07.2025, 19:47 Uhr

Astronomen verblüfft: Stern überlebt Schwarzes Loch

Ein Stern überlebt die Begegnung mit einem Schwarzen Loch – und kehrt zurück. Ein seltenes Phänomen bringt Astrophysik-Modelle ins Wanken.

Ein Stern, der von einem Schwarzen Loch auseinandergerissen wird

Ein Stern überlebte offenbar eine Begegnung mit einem Schwarzen Loch – und wurde zwei Jahre später erneut zerrissen. Die Beobachtung bringt bestehende Theorien über Tidal Disruption Events ins Wanken.

Foto: Illustration by Ignacio de la Calle - Quasar Science Resources for ESA, Creative Commons Lizenz (CC BY 4.0)

Ein kosmisches Ereignis stellt die Regeln infrage: Ein Stern durchquert ein Schwarzes Loch, wird zerrissen – und kommt zwei Jahre später erneut an denselben Ort zurück. Die dabei registrierten Lichtsignale sind fast identisch. Forschende vermuten: Der Stern hat die erste Begegnung überlebt und wurde erst beim zweiten Vorbeiflug endgültig zerstört. Der Fall AT 2022dbl verändert die Sicht auf sogenannte Tidal Disruption Events. Viele dieser Ereignisse könnten bisher falsch eingeordnet worden sein.

Was bei einer Sternenkatastrophe im All geschieht

Im Zentrum nahezu jeder großen Galaxie sitzt ein supermassereiches Schwarzes Loch. Seine Masse ist millionen- bis milliardenschwerer als die unserer Sonne. Obwohl solche Objekte allgegenwärtig sind, bleiben sie schwer fassbar. Denn sie senden kein Licht aus. Nur wenn Materie hineinstürzt, verraten sie sich – durch helle Ausbrüche, die kurzzeitig sichtbar sind.

Ein solches Ereignis nennt sich Tidal Disruption Event, kurz TDE. Es entsteht, wenn ein Stern einem Schwarzen Loch zu nahe kommt. Die enormen Gravitationskräfte wirken dabei wie ein kosmischer Schleudergang. Die eine Hälfte des Sterns wird verschluckt, die andere wird ins All geschleudert. Dabei entstehen Strahlungsausbrüche, die auch auf der Erde beobachtet werden können – insbesondere im UV- und sichtbaren Licht.

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Solche Leuchterscheinungen erlauben Einblicke in die Umgebung Schwarzer Löcher. Gleichzeitig zeigen sie, wie sich Sterne unter extremen Bedingungen verhalten. Doch nicht alle TDEs entsprechen den Erwartungen. Viele sind zu schwach, zu kühl oder verhalten sich merkwürdig. Fachleute sprechen vom „Missing Energy Problem“ – einem Rätsel, das seit Jahren ungelöst ist.

Ein kosmisches Déjà-vu: Der Fall AT 2022dbl

Am 13. Februar 2022 registrierten Teleskope ein ungewöhnlich helles Lichtsignal aus einer Galaxie rund 400 Millionen Lichtjahre entfernt. Das Zwicky Transient Facility (ZTF) observierte das Ereignis und katalogisierte es als AT 2022dbl – ein klassischer TDE, so schien es.

Doch die Geschichte endete nicht dort. Exakt 700 Tage später, im Februar 2024, flackerte erneut ein fast identisches Signal am selben Ort auf. Die Lichtkurve, also der Helligkeitsverlauf über die Zeit, war ebenso ähnlich wie das Spektrum. Diese Wiederholung ließ sich nicht mit gewöhnlichen Vorgängen im All erklären. Weder eine Supernova noch eine Gravitationslinse kam infrage. Auch andere Störquellen konnten ausgeschlossen werden.

Das Team um Lydia Makrygianni und Iair Arcavi prüfte alle denkbaren Alternativen. Ihr Fazit: Beide Ausbrüche gehen auf denselben Stern zurück – ein Himmelskörper, der die Begegnung mit dem Schwarzen Loch überlebt hatte.

Teilzerstörung statt finalem Untergang

Normalerweise nimmt man an, dass ein Stern bei einem TDE vollständig zerstört wird. Die neue Analyse stellt diese Annahme in Frage. Der Stern in AT 2022dbl wurde beim ersten Vorbeiflug offenbar nur teilweise zerrissen. Der verbliebene Kern überstand den Vorfall – und wurde auf eine neue Umlaufbahn gelenkt. Zwei Jahre später kehrte er zurück und wurde erneut beschädigt.

Ein solcher Ablauf ist zwar selten, aber nicht ausgeschlossen. Hydrodynamische Simulationen mit dem Code PHANTOM zeigen: Ein Stern mit rund drei Sonnenmassen kann die erste Passage knapp außerhalb des sogenannten Tidal Radius überleben. Dabei verliert er große Teile seiner Hülle. Beim zweiten Durchgang kommt es dann womöglich zur endgültigen Zerstörung.

Die Forscher*innen stützen diese These auf drei zentrale Indizien:

  • Lichtkurve: Der erste Flare fiel schnell ab – ein Hinweis auf partielle Disruption.
  • Spektrale Ähnlichkeit: Beide Ausbrüche zeigten typische Linien wie Hα, He II und N III.
  • Simulationen: Die Modelle passten exakt zu einem doppelt gestörten Stern.

Das macht AT 2022dbl zu einem Sonderfall – aber möglicherweise nicht zur Ausnahme.

Stille im Radio – kein Jet sichtbar

Während optische und UV-Beobachtungen die Dramatik des Ereignisses belegen, fehlten auffällige Signale im Radiobereich. Das Very Large Array (VLA) entdeckte zwar leichte Radiowellen, aber keinen späten Ausbruch, wie er bei anderen TDEs üblich ist. Auch Röntgenstrahlen wurden nicht nachgewiesen.

Daraus schließen die Forschenden: Das Schwarze Loch schleuderte keinen sichtbaren Jet aus. Oder der Jet war vorhanden, zeigte aber nicht in Richtung Erde. Das macht AT 2022dbl zu einem der leisen, aber umso aufschlussreicheren Fälle.

Konsequenzen für die Forschung: Alte Modelle auf dem Prüfstand

Der doppelte Flare von AT 2022dbl rüttelt an den Grundlagen der bisherigen TDE-Forschung. Denn bislang gingen viele Fachleute davon aus, dass die beobachteten Leuchtausbrüche auf die vollständige Zerstörung eines Sterns zurückzuführen sind. Der neue Fall zeigt jedoch: Es kann auch anders laufen. Ein Stern kann mehrfach mit einem Schwarzen Loch kollidieren – und dabei jedes Mal nur teilweise zerrissen werden.

Das zwingt die Wissenschaft zu einer Neubewertung. Wenn sich zwei sehr unterschiedliche Szenarien – partielle und vollständige Disruption – kaum unterscheiden lassen, wird die Einordnung früherer Beobachtungen schwieriger. Viele ältere TDEs müssten unter diesem neuen Licht erneut geprüft werden. Vielleicht waren auch dort Überlebende im Spiel.

Für theoretische Modelle heißt das: Wiederholte Ereignisse müssen künftig mitgedacht werden. Ein Stern, der nach einer ersten Kollision auf einer elliptischen Bahn um das Schwarze Loch kreist, könnte später ein zweites Mal betroffen sein – oder gar ein drittes Mal. Die neue Realität: Nicht jeder TDE ist ein Endpunkt.

Wie außergewöhnlich ist AT 2022dbl?

Die beobachtete Galaxie, aus der das Doppelsignal stammt, gehört zu einem speziellen Typ: sogenannte quiescent Balmer-strong galaxies. Solche Galaxien zeigen ruhige Sternentstehung, aber eine erhöhte Tendenz zu TDEs. Das macht es statistisch gesehen etwas wahrscheinlicher, dass dort ungewöhnliche Ereignisse auftreten.

Trotzdem bleibt ein Doppel-TDE in dieser Form extrem selten. Die Wahrscheinlichkeit, dass zwei völlig unabhängige TDEs innerhalb von zwei Jahren in derselben Galaxie auftreten und dabei so ähnliche Signaturen erzeugen, liegt nach Einschätzung der Forschenden nahe bei null.

Das stärkt die Annahme, dass beide Flare-Ausbrüche vom selben Stern stammen – und dass dieser Fall kein Zufall ist. Ob er jedoch einzigartig bleibt, lässt sich nicht sagen. Möglich ist, dass ähnliche Ereignisse in bisherigen Daten übersehen wurden – weil man sie nicht erwartet hat.

Blick in die Zukunft: Drittes Flare nicht ausgeschlossen

Die Forschenden um Prof. Arcavi sind gespannt, ob die Geschichte weitergeht. Sollte im Jahr 2026 erneut ein Flare aus derselben Galaxie kommen, wäre das ein starker Hinweis darauf, dass auch die zweite Begegnung nicht endgültig war. Der Stern hätte dann zwei Teilzerstörungen überstanden – und wäre ein kosmischer Überlebenskünstler.

Bleibt der Ausbruch jedoch aus, wäre es wahrscheinlicher, dass die zweite Interaktion sein Ende bedeutete. Doch selbst dann bleibt die zentrale Erkenntnis: Ein TDE kann auch partiell sein – und mehrmals auftreten.

Prof. Arcavi bringt es so auf den Punkt: „So oder so müssen wir unsere Interpretation dieser Flares und das, was sie uns über die Monster im Zentrum von Galaxien lehren können, neu schreiben.“

Hier geht es zur Originalpublikation

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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